HR Today 4/23: Im Gespräch

Eine Firma wandert aus

Drei Jahre dauerte die Vorbereitung, bevor sich der Traum der HelloNew-Mitarbeitenden realisierte, gemeinsam eine zweiwöchige Workation abseits der Büroräumlichkeiten in Kapstadt zu verbringen. Ein Gespräch mit David Hillmer, CEO der auf New Work spezialisierten Unternehmensgruppe.

David Hillmer

Sie verbrachten mit 19 Mitarbeitenden eine zweiwöchige Workation in Kapstadt. Was wollten Sie damit erreichen?

David Hillmer: Die Idee zur Workation hatten wir drei Gründer vor einigen Jahren während eines Strategiemeetings bei einem Glas Gin Tonic. Da zwei von uns schon tolle Erfahrungen mit einem Urlaubs- und Arbeitsmix gesammelt hatten, wollten wir das wiederholen. Die ­Kriterien: Unsere Workation sollte kein Geschäftsleitungsprivileg sein, sondern allen Mitarbeitenden offenstehen. Wirtschaftliche oder strategische Ziele hatten wir uns aber nicht gesetzt. Erst während der Planung kamen wir auf die Idee, unsere Marke und unseren Employer Brand mit der Workation zu stärken. Deshalb liessen wir das New-Work-Abenteuer von zwei Content Creators begleiten. Den entstandenen Inhalt teilten wir auf den sozialen Netzwerken und veröffentlichten eine Dokumentation auf Youtube. Das Ergebnis: Im Zeitraum von Januar bis Mai 2022 erhielten wir 50 Bewerbungen, während wir ein Jahr später mit insgesamt 416 Bewerbungen regelrecht geflutet wurden. Seither haben wir insgesamt zehn neue Kolleginnen und Kollegen angestellt.

Ihr Team bewohnte in Kapstadt zwei benachbarte Häuser, doch ein ­Ausweichen war kaum möglich. Die Effizienz litt, weil sich die Arbeit nicht strikt vom Privaten trennen liess. Jemand schaltete beispielsweise einen Mixer ein, während ein anderer sein Ladekabel suchte und ein Kind schrie. Das birgt Konflikt­potenzial – wie der Film zeigt. Wie gingen Sie damit um?

Wir wollten im einen Haus arbeiten und im anderen die beiden zweijährigen Kinder unterbringen. Eine im Nachhinein absurde Vorstellung, denn Kindern sind Grenzen völlig egal. Damit wir in die beiden Häuser passten, belegten jeweils zwei Kolleginnen oder Kollegen ein Doppelzimmer. Das war abgesprochen und klappte erstaunlich gut. Doch ein Doppelbett während zwei Wochen mit jemandem zu teilen, den man sonst nur von der Arbeit her kennt, ist nicht ohne. Trotz dieser störenden Faktoren gab es erstaunlich wenige Konflikte. Fast zu wenige für einen ordentlichen Spannungsbogen im Film. Bei der nächsten Wor­kation werden wir Arbeit, Familie und Urlaub deshalb besser voneinander trennen und in lokalen Co-Working-Offices arbeiten, um die Arbeitseffizienz zu erhöhen.

Workation-Film

Der Film über die Workation der HelloNew GmbH in ­Kapstadt zeigt das Abenteuer, auf das sich das auf New Work spezialisierte Unternehmen mit 19 von 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern begeben hat. helloagile.de/workation

 

In Kapstadt gab es ziemlich viele Stromausfälle (Load Shedding), die sich täglich etwa drei- bis viermal ereigneten und mehrere Stunden dauerten. Was bedeutete das für Ihre Arbeit?

Die Stromausfälle nervten. Das Stromnetz ist dermassen überlastet, dass es jeden Tag geplante Stromausfälle gab. In einer App wurden diese aber mehrere Tage im Voraus angezeigt. Deshalb konnten wir uns darauf einstellen und unsere Geräte noch schnell laden. Gestört hat es trotzdem – besonders, wenn das Licht morgens um vier wieder anging. Glücklicherweise waren unsere Gastgeberinnen aber darauf vorbereitet. Sie hatten eine Powerbank am Router angeschlossen, sodass das Internet meistens funktionierte. Obwohl wir uns an die Situation gewöhnt hatten, waren wir doch dankbar, als wir in Deutschland wieder den Luxus des durchgehenden Stroms hatten.

Man hatte den Eindruck, dass sich alle erst zum Ende der ­Workation ­«gefunden haben». Waren zwei Wochen zu kurz?

Gegen Ende sind wir in einen Flow gekommen, nachdem wir uns erst zurechtfinden mussten. Es dauert eben, den Alltag zwischen neuen Arbeitszeiten, einer neuen Arbeitsumgebung, Ausflügen und unendlich vielen Eindrücken zu schaffen. Am Schluss fanden wahrscheinlich alle, die Zeit sei zu schnell vorübergegangen.

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HelloAgile

Eine neue Umgebung kurbelt die Kreativität an. (Bild: zvg)

 

Was hat sich in der Zusammenarbeit seither geändert?

Workation bedeutet Teambuilding rund um die Uhr. Das war deutlich spürbar. Dass nicht alle Kolleginnen und Kollegen zu besten Freunden wurden, war übrigens auch nicht unser Anspruch. Dennoch weiss man nach zwei Wochen gemeinsam verbrachter Zeit sehr viel über alle anderen. Man lernt deren Stärken kennen – genauso wie deren Schwächen, Eigenarten und Macken. Das ist ein riesiger und vor allem langfristiger Vorteil im Alltag. Besonders bei schnell wachsenden Teams hilft die miteinander verbrachte Zeit, eine gemeinsame Blickrichtung zu Werten, zu Zielen, zum Sinn des Unternehmens sowie zu den Teams zu finden.

Wie zeigt sich das im Alltag?

Durch reibungslosere und effizientere Abläufe. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Mitarbeitenden und den Abteilungen läuft insgesamt runder. Prozesse finden sich intuitiv.

Wie stärken Sie den Zusammenhalt sonst noch?

Unsere Beraterinnen und Berater sind oft unterwegs. Hinzu kommt unsere Homeoffice-Regelung, die allen ermöglicht, oft von zu Hause aus zu arbeiten. Montag ist der einzige Tag, an dem wir alle vor Ort sind. Um ein Gefühl von Gemeinsamkeit zu erzeugen und unsere auf Freundschaft basierende Kultur zu stärken, entwickelten wir viele Formate. Beispielsweise den «Think Monday». Dafür treffen wir uns alle zwei Wochen montags ab 17 Uhr zu einem Bier, um über ein bestimmtes Thema zu sprechen. Dafür laden wir meist einen externen Experten ein. Oder unser «Funday»: Alle sechs Wochen organisieren wir donnerstags einen Überraschungsabend. Dafür bekommt ein Kollege oder eine Kollegin ein Budget von 500 Euro. Mit diesen und anderen Massnahmen wachsen wir als Team zusammen, stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl und tragen dazu bei, dass alle gerne zur Arbeit gehen.

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Gemeinsam Essen, Spass haben und dabei zu arbeiten hat das Team zusammengeschweisst. (Bild: zvg)

 

Jene, die nicht an der Workation teilnahmen, ­befürchteten, «abgehängt» zu werden, weil alle anderen in Kapstadt die ­Gelegenheit hatten, engere Bande zu knüpfen. Wie nahmen Sie das wahr?

Obwohl wir durch tägliche Meetings und ein eigens dafür angeschafftes Konferenzsystem die gefühlte Distanz zwischen Kapstadt und Deutschland verkürzten, konnten wir nicht verhindern,dass die Zurückgebliebenen nicht Teil der Gruppe waren. Für die Kolleginnen und Kollegen in der Heimat fühlte es sich an, als ob Freunde in den Urlaub gegangen wären. Es ist zwar schade, dass sie nicht mitgehen konnten, es wird aber keine weiteren negativen Folgen haben, da sich das Team auf Dauer immer wieder durchmischt und es daher neue Kolleginnen und Kollegen gibt, die auch nicht dabei waren. Bei den nächsten Workations ist es jedoch die höchste Priorität, alle mitzunehmen.

Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis aus der Workation?

Dass eine Workation möglich ist, obwohl uns alle möglichen Menschen davon abrieten: die steuerlichen und arbeitsrechtlichen Auflagen seien zu aufwendig. Wir machten es trotzdem. Natürlich ist die Planung aufwendig. Meine Officemanagerin-Kollegin Caroline Krause investierte etwa 200 Stunden in die Planung. Zudem trafen wir uns mehr als einmal mit unserem Steuerberater. Das Resultat war ein Abenteuer, an das sich alle, die dabei waren, ein Leben lang erinnern werden und zu dem es einen Film gibt, der andere inspiriert, unserem Beispiel zu folgen.

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Manchmal war die Grenze zwischen Arbeit, Familie, Freizeit und Entspannung nicht ganz einfach einzuhalten. (Bild: zvg)

 

Tipps an Unternehmen, die eine Workation planen?

Es ist wichtig, das Team in die Planung einzubeziehen und mit den mitreisenden Mitarbeitenden regelmässig zu sprechen. Vorbehalte, Bedenken und auch Ängste können so frühzeitig aufgegriffen und gelöst werden. Eine Workation sollte zudem auf Freiwilligkeit beruhen und eine grosse Vorfreude mit sich bringen. Nicht nur die Arbeit, auch die Freizeit muss geplant und im Vorfeld abgestimmt werden. Ausserdem sollten die Ziele einer Workation geklärt werden. Geht es um den Spass, ums Teambuilding, die Bearbeitung bestimmter Themen, das Image und die Bekanntheit des Unternehmens oder die Arbeitgeberattraktivität? Je mehr Zeit und Gedanken sich ein Unternehmen im Vorfeld dazu macht, desto gelungener die Workation.

Wann macht eine Workation Sinn?

Für kleine ortsunabhängig arbeitende Unternehmen eignet sich eine Workation am besten, da Mitarbeitende ihre Arbeit mitnehmen können. Die Hürden dafür sind überwindbar. Teams in grösseren Unternehmen werden dagegen mit komplizierten Prozessen oder eingerosteten Strukturen konfrontiert. Doch auch in einem Umfeld, in dem eine Workation nicht infrage zu kommen scheint, kann man sie in angepasster Form umsetzen. Beispielsweise mit einem verlängerten Wochenende in einem Airbnb oder einer selbstorganisierten Projektwoche.

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Der Vorteil am Workation? Kolleginnen und Kollegen lernen sich von verschiedenen Seiten kennen. (Bild: zvg)

 

Sie planen eine Fortsetzung: Was machen Sie dann anders?

Nebst einer transparenten Kommunikation und besseren Beteiligungsmöglichkeiten werden wir den Wohn- und den Arbeitsort voneinander trennen, um «Work» und «Vacation» klarer zu leben. Daneben planen wir unsere Arbeitszeiten besser. Es muss an jedem Tag klar sein, wann gestartet wird, wann Feierabend ist und wann es zu den jeweiligen Ausflügen geht. Ausserdem werden unsere Mitarbeitenden mehr Freiraum bekommen. Alle haben ihr eigenes Zimmer und wir planen weniger Programm und mehr Freizeit an den Abenden.

Wohin soll es gehen?

In einer Rückschau nach unserer Workation stellten wir uns genau diese Frage. Die Antworten hätten nicht weiter auseinander liegen können. Von A wie Australien bis Z wie Zypern war vieles dabei und jeder Kontinent vertreten. Demnächst machen wir eine Liste mit den Top-Destinationen und lassen im Anschluss das Team entscheiden. Voraussichtlich bleiben wir 2024 in Europa. Ganz egal, wo es hin geht: Wir erleben ein neues Abenteuer, das wir nie vergessen werden.

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Wohin zieht es das Team von HelloNew wohl als nächstes? (Bild: zvg)

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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