HR Today Nr. 6/2020: swissstaffing-News

Flexible Arbeitsmodelle – ist unser Arbeitsrecht flexibel genug?

Die Welt der Arbeit befindet sich im Umbruch. Die Durchdringung der Wirtschaft mit neuen Technologien in Produktion, Handel, Dienstleistung und Konsum hat sich weiter intensiviert und damit auch die Entstehung alternativer Arbeitsmodelle. Wie tragen wir diesen neuen, flexiblen Arbeitsformen in rechtlicher Hinsicht Rechnung?

Vielen Arbeitnehmenden fällt es dank flexibler Arbeit leichter, ihr individuelles Leben zu gestalten und ihre berufliche Tätigkeit mit privaten Engagements besser unter einen Hut zu bringen. So können Arbeitnehmende autonomer über die Gestaltung ihres Arbeitsalltags entscheiden. Dies stärkt ihre Motivation und trägt beispielsweise dazu bei, dass Kinder und Angehörige einfacher betreut und der Freundeskreis aktiver gepflegt werden kann. Sogenannte Flexworker sind Menschen, die flexibel arbeiten möchten, damit ihre Arbeit im Einklang mit ihrem Privatleben steht und weil es ihrer Lebensphilosophie entspricht. In Folge des kulturellen Wandels und der wirtschaftlichen Entwicklung nimmt ihre Zahl stetig zu. Damit verbunden sind aber auch Fragen zu arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen und zur sozialen Absicherung.

Spezifische rechtliche Fragestellungen bei Flexwork

Die Flexibilisierung der Arbeit führt in bestimmten Fällen dazu, dass die zuvor klaren Grenzen zwischen Angestellten und Selbständigen aufbrechen. Konkret steht die Gesellschaft vor zwei Herausforderungen: Sind flexibel arbeitende Menschen hinreichend abgesichert? Gefährdet die Flexibilisierung der Arbeit die Beitragsgrundlage für die sozialen Sicherungssysteme?

Zur Gestaltung seines Lebensentwurfs stehen einem Flexworker rechtlich drei Arbeitsformen zur Verfügung: Er kann seine Arbeit als klassischer Arbeitnehmender, als Temporärarbeitender oder als Selbständigerwerbender ausführen. Ein Vergleich der sozialen Absicherung zwischen den verschiedenen Arbeitsformen zeigt, dass Selbständigerwerbende in weiten Teilen nicht obligatorisch gegen soziale Risiken abgesichert sind, während Temporärarbeitende im Vergleich zu Arbeitnehmenden nach OR eine gleichwertige soziale Absicherung geniessen, die auf die Bedürfnisse flexibel schaffender Menschen zugeschnitten ist. In diesem Kontext wird oftmals eine Arbeitsform gefordert, welche die Flexibilität der Selbständigkeit mit der sozialen Sicherheit der Festanstellung verbindet. Mit dem Personalverleih kennt das Schweizer Recht bereits eine solche Zwischenform.

Eine weitere Fragestellung in diesem Zusammenhang ist, ob die rechtlichen Rahmenbedingungen im Hinblick auf diese neue Arbeitsform revidiert werden müssten, denn das geltende Recht enthält keine spezifischen Regelungen zu Flexwork. Grundsätzlich kann diese Arbeitsform aber durch die geltenden Bestimmungen sachgerecht erfasst werden. Bezüglich einiger spezifischer Punkte können sich jedoch Probleme ergeben:

1. Vertragsqualifikation und ­Scheinselbständigkeit

Entscheidend ist, den Einzelarbeitsvertrag eines Flexworkers von anderen Vertragstypen abzugrenzen; insbesondere vom Auftrag und vom Werkvertrag. Welche Vertragsart zur Anwendung kommt, hängt aber grundsätzlich davon ab, wie die betreffende Person in die Organisation eingebunden und wie das Weisungsrecht des Arbeitgebers ausgestaltet ist. Selbständige organisieren ihre Arbeit eigenhändig und tragen das unternehmerische Risiko. Arbeitnehmende befolgen hingegen die Weisungen ihrer Vorgesetzten und tragen kein finanzielles Risiko. Die Grenzen können in der Praxis mitunter verschwimmen und Einsätze oft weder Arbeitnehmenden noch Selbständigen eindeutig zugerechnet werden. Diese Unterscheidung ist jedoch insbesondere in Bezug auf die soziale Absicherung besonders wichtig.

Flexworker sind in ihrer Arbeitszeitgestaltung zwar weitgehend frei, wirtschaftlich dennoch stark vom Arbeitgeber abhängig. In diesem Zusammenhang wirft das neu entstehende Modell der Plattformarbeit neue Rechtsfragen auf. Derzeit sehen sich die meisten dieser Arbeitsplattformen als reine Vermittler und überlassen Anbietern wie Nachfragern die Wahl der Vertragsform. In der Regel entstehen Werk- und Auftragsverhältnisse, die in den sozial kaum abgesicherten Bereich der Selbständigkeit fallen.

Auch mit der zunehmenden Bedeutung des «Portage salarial» (Lohnträgerschaft) gibt es für die Flexworker rechtliche Herausforderungen. Hier geht es oft um Selbständigerwerbende, die bei einem Kunden zum Einsatz kommen, sich aber von einem Personaldienstleister anstellen lassen und für diesen in der Folge beim Kunden eine Dienstleistung erbringen. Je nachdem, ob die Arbeitskraft in den Betrieb eingebunden wird und der Kunde über sie ein Weisungsrecht ausübt oder nicht, werden die Flexworker eher als Arbeitnehmende oder als Selbständige definiert.

2. Arbeitszeitenregelung

Die Regelung der Arbeitszeit und der entsprechenden Ruhezeit ist bei der flexibilisierten Arbeit von zentraler Bedeutung. Die Bestimmungen des Obligationenrechts (OR) und des Arbeitsgesetzes (ArG) scheinen auf den ersten Blick allgemein und flexibel genug, um diese neue Arbeitsform zu erfassen. Die Grundlagen des ArG gehen aber auf die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts zurück und waren ganz auf die Industrie ausgerichtet. Die starren Wochenarbeitszeiten werden den Anforderungen der steigenden Flexibilität nicht mehr gerecht.

Folglich wäre es prüfenswert, ob die bestehenden Bestimmungen nicht so angepasst und ausgelegt werden können, dass daraus angemessene Vorschriften für Flexworker abgeleitet werden können, ohne dass die maximalen Arbeitszeiten erhöht oder die Schutzbedürfnisse nach Branchen tangiert würden. Zu diesem Zweck ist die Stossrichtung von laufenden politischen Vorstössen, wie beispielsweise die parlamentarische Initiative von Konrad Graber zur Teilflexibilisierung des ArG, eindeutig richtig, um moderne Familien- und Lebensbedürfnisse bei der Gestaltung der Arbeitszeit zu berücksichtigen.

3. Homeoffice und Nutzung von Privatgeräten

Nicht eindeutig ist auch die Frage, ob und wie die Nutzung von Privatgeräten bei Homeoffice entschädigt werden soll. Art. 327a OR regelt diese Frage widersprüchlich: Während Spesen grundsätzlich zu vergüten sind, gilt dies nicht für den Einsatz von privaten Arbeitsgeräten. Das wirft zudem weitere juristische Fragen auf; unter anderem in Bezug auf die Haftung für Schäden und den Datenschutz. Vor diesem Hintergrund wird Betrieben aktuell lediglich empfohlen, gut abzuklären, ob die Betriebshaftpflichtversicherung spezielle Risiken bei der Arbeit im Homeoffice deckt und arbeitsvertragliche Regelungen mit den Mitarbeitenden für diese Fragen zutreffen.

Fazit

Die Dynamik der technischen Entwicklung soll in den nächsten Jahren nicht gebremst werden. Umso wichtiger ist es, den rechtlichen Rahmen so zu gestalten, dass die Vorteile der Flexibilisierung nicht abgeblockt werden, der Schutz der Erwerbstätigen aber dennoch gewährleistet bleibt oder sogar verbessert wird. Um eine ausgewogene Balance von Berufs- und Privatleben sowie einen genügenden sozialen Schutz der Erwerbstätigen sicherzustellen, braucht die geordnete Gestaltung der Arbeitswelt von morgen nicht nur eine Kultur, in der flexibles Arbeiten und der dynamische Wechsel zwischen den Erwerbsformen akzeptiert ist. Es braucht auch eine klare Zuordnung neuer Dienstleistungsverhältnisse der Plattform-Ökonomie auf bestehenden Arbeitsformen. Zudem wären «Best Practices» für Plattform-Start-ups zur Einhaltung des Schweizer Arbeitsrechts (wie z. B. die Nutzung von Temporärarbeit) wünschenswert.

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Boris Eicher ist Leiter des Rechtsdiensts bei swissstaffing, dem Verband der Personaldienstleister der Schweiz.

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