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Führen im Nebel erfordert Learning Agility

Die Welt von heute ändert sich rasant. Altbekannte Märkte ver
lieren an Bedeutung und weichen neuen, bislang kaum beachteten Regionen. Prognosen zu erstellen, ist schwierig. Spitzenleute müssen darum vor allem eines können: Entscheidungen zügig treffen und Erfahrungen auf neue Situationen ummünzen.

«VUCA» (volatile, uncertain, complex, ambiguous) ist ein typisches Akronym unserer Zeit. Der Begriff stammt aus dem Englischen und bezeichnet ein volatiles, ungewisses, komplexes und mehrdeutiges Umfeld. Von «VUCA» sind die unterschiedlichsten Branchen betroffen; vom Energiesektor über die Finanzwelt bis hin zur Logistik. Sie alle werden durch Faktoren wie sich rasant verändernde Rahmenbedingungen, kulturelle Einflüsse, Wirtschaftskrisen, Naturkatastrophen oder neue Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) beeinflusst, also oft spontane Ereignisse, die sich unserer Kontrolle entziehen. Dies verlangt von den heutigen Führungspersönlichkeiten eine wesentliche Eigenschaft: Learning Agility.

Vom Bekannten ins Unbekannte

Die Adaption von Erfahrungen vom bekannten ins unbekannte Umfeld gelingt nur Menschen mit einer ausgeprägten Learning Agility, denn unbekannten Situationen kann nur bedingt mit Routine und Gewohnheit begegnet werden. Learning Agility bezeichnet die Flexibilität, mit unvorhergesehenen Problemen zurechtzukommen und Chancen zu erkennen. Diverse Studien des Korn/Ferry Institutes zeigen, dass Learning Agility der entscheidende Faktor ist, damit man erfolgreiche Führungskräfte identifizieren und High Potentials von High Performers differenzieren kann. Nicht weil sie klüger sind, sondern weil sie Erkenntnisse aus früheren Erfahrungen ziehen. So können sie herausfinden, was zu tun ist, wenn sie nicht wissen, was zu tun ist. Dafür muss eine Persönlichkeit vor allem anpassungsfähig und lernbereit sein. Nur so bringt sie das Unternehmen auch in stürmischen Zeiten sicher ans Ziel.

Eine Frage des Charakters?

Führungskräfte werden nur selten als erfolgreiche Führungskräfte geboren. Im Gegenteil: Sie haben durch kontinuierliches Lernen und Selbstreflexion gelernt, gute Entscheide zu treffen. Dabei spielt die Fähigkeit und Bereitschaft, aus Erfahrungen zu lernen und diese für künftige Situationen zu nutzen, eine zentrale Rolle. Generell können bei Personen mit Learning Agility folgende sechs Merkmale identifiziert werden:

  • 
Sie zeigen keine Angst, den Status quo herauszufordern
  • 
Sie bewahren Ruhe, auch wenn Schwierigkeiten auftreten
  • 
Sie nehmen sich Zeit, über Erfahrungen zu reflektieren
  • 
Sie suchen aktiv Herausforderungen
  • 
Sie sind lernfreudig
  • 
Sie verhalten sich bei Schwierigkeiten niemals defensiv

Die Bedeutung 
für das Talentmanagement

Für das erfolgreiche Talentmanagement ist es wichtig, dass das HR die Kandidaten schon zu Beginn ihrer Laufbahn auf Learning Agility prüft. So kann sichergestellt werden, dass genügend geeignete Fachleute für Führungspositionen in der Pipeline sind. Während bis anhin vor allem auf Faktoren wie erstklassige Abschlüsse von Top-Universitäten geschaut wurde, müssen die HR-Fachleute heute auf andere Kriterien achten.

Diese Erfahrung machte auch ein führendes Unternehmen. Traditionell stammten die Kandidaten dieses Unternehmens von bekannten Elite-Universitäten, welche vor allem traditionelle Werte und Fähigkeiten fördern. Während dieser Ansatz sicherlich dafür sorgte, dass intelligente Leute angestellt wurden, zeigte sich doch, dass sie den Anforderungen des sich schnell und dynamisch ändernden Umfelds der Firma oft nicht gewachsen waren. Deshalb begann das Unternehmen, seinen Fokus auch auf andere Universitäten auszuweiten und bei der Rekrutierung auch Learning Agility als ausschlaggebenden Faktor einzubeziehen. 

Zwei unterschiedliche Lerntypen

Intelligenz, akademische Titel, technische Skills oder Kommunikationsfähigkeiten sind nicht die alleinigen Kriterien der heutigen Anforderungen an Führungspersönlichkeiten. Personen ohne Learning Agility sind jedoch nicht unbedingt lernunfähig. Denn jeder Mensch kann lernen. Wenn von Learning Agility die Rede ist, ist damit ein bestimmter Lerntypus gemeint. Dieser unterscheidet sich vom traditionellen Lernenden, bei welchem Faktoren wie Gedächtnis, Analyse und das Verarbeiten von neuer Information zentral sind.

Jeder Mensch besitzt bis zu einem gewissen Grad beide Lernfähigkeiten. Bloss die Ausprägung ist unterschiedlich. Bei einem traditionellen Lerner sind Faktoren wie Intelligenz, der akademische Grad, technische, verbale und analytische Skills sowie die Fähigkeit, Probleme zu lösen, stark ausgeprägt. Personen mit Learning Agility hingegen sind schnelle Denker, übernehmen gerne die Initiative, sind neugierig, fragen nach dem Weshalb und Wie, machen neue Bekanntschaften, lernen rasch neue Regeln und Prinzipien und sind sich ihrer eigenen Stärken und Schwächen bewusst (siehe Tabelle).

Die Tabelle zeigt auf, dass Learning Agility mehr bedeutet als Intelligenz oder Belesenheit. Es ist einfacher, sich beispielsweise in einen neuen Beruf einzuarbeiten, als das persönliche Verhalten, die Ansichten oder Perspektiven zu ändern. Gesunder Menschenverstand oder simple Lebenserfahrung stammen schliesslich nicht aus Schulbüchern und haben nichts mit der Intelligenz zu tun, wie sie bei klassischen IQ-Tests gemessen wird.

Beide Lernfähigkeiten sind wichtig und Teil des Erfolgs. Es kommt auf die Balance an. Für ein erfolgreiches Talentmanagement zahlt es sich für die Firmen aus, auf Kriterien wie beispielsweise Neugierde oder Interesse am Erlernen von neuen Dingen zu achten. Dafür lohnt sich schon ein Blick in den Lebenslauf eines Kandidaten. Was für Aktivitäten betreibt er ausserhalb seiner beruflichen Tätigkeiten? Sie können einen Hinweis auf die Agile-Learning-Fähigkeiten geben.

Unter dem Deckmantel Businesslook

Während geografische Grenzen zunehmend irrelevanter werden, bleiben kulturelle Differenzen weiterhin bestehen und werden erfolgreichen Führungskräften sogar oftmals zum Hindernis. Hier sind Cultural-Agility-Fähigkeiten gefragt. Gerade für Firmen, welche ausserhalb ihres Heimatmarktes tätig sind und dort weiterhin wachsen wollen, zahlt es sich aus, ihre Fachkräfte darauf zu testen. Denn kulturell agilen Personen fällt es leichter, unabhängig vom kulturellen Kontext effizient zu arbeiten.

Dabei ist wichtig zu verstehen, dass die Cultural Agility einer Führungsperson nicht unbedingt von deren internationalen Erfahrungen stammen muss. Menschen, die international tätig sind, sind nicht selbstverständlich auch kulturell agil. Reist eine Führungsperson viel, kann dies sogar Nachteile haben. Je mehr ein Manager in unterschiedlichen Kulturen unterwegs ist, desto weniger sieht er oft die kulturellen Unterschiede und ist folglich der Meinung, dass diese nicht wirklich zählen. Das Problem liegt darin, dass die Führungsperson in den jeweiligen Firmensitzen Mitarbeitende antrifft, die sich gleich kleiden und unter Umständen auch die gleichen Schulen und Universitäten besucht haben wie er. Dies lässt darauf schliessen, dass kulturelle Unterschiede kaum vorhanden sind. Was die Führungspersonen dabei jedoch vernachlässigen, sind die wahren, tief verankerten kulturellen Werte unter der Oberfläche.

Eine kulturell agile Führungskraft sollte nicht nur über eine globale Denkweise verfügen, sondern auch fähig sein, auf Menschen der unterschiedlichsten Kulturen eingehen zu können. Dabei hilft es, wenn man von seinen Erfahrungen als Outsider lernt und Wege findet, darüber zu reflektieren und diese Erfahrungen optimal wieder einzusetzen. Dazu braucht es nicht einmal unbedingt einen Auslandsaufenthalt. Es reicht auch schon, lokal mit einem Team aus verschiedenen Kulturkreisen zusammenzuarbeiten.

Auf andere eingehen können

Agility – ob die lernende oder die kulturelle – ist jedoch weit mehr als nur die Fähigkeit, in ungewissen Situationen erfolgreich zu sein. Zentral dabei ist die Begabung, seinen eigenen Stil den Bedürfnissen anderer anzupassen und offen zu sein gegenüber unterschiedlichen Perspektiven und Ansichten. Dies ist jedoch nicht nur im Umgang mit den eigenen Mitarbeitenden zentral. Auch bezüglich bestehender und potenzieller Kunden sollte ein erfolgreicher Manager seinen Stil der Umgebung entsprechend anpassen können. Wichtig ist dabei das Verständnis, dass -jeder Mensch Informationen unterschiedlich aufnimmt und verarbeitet. Es bedarf hoher Empathie, zu verstehen, wie Mitmenschen Information aufnehmen und verarbeiten. Sie hilft jedoch, die Kommunikation um einiges effi-zienter zu gestalten.

Um erfolgreich zu sein und vor allem um eine Firma erfolgreich führen zu können, braucht man demzufolge viel mehr als nur Intelligenz oder technisches Know-how. Die Ma-nager der Zukunft müssen über Learning Agility verfügen: Sie müssen fähig und bereit sein, aus Erfahrungen und Fehlern zu lernen und diese Erkenntnisse künftigen Situationen anzupassen. Nur so schaffen sie es, trotz Nebel den Weg zu finden und ihre Firma auch im heutigen schwierigen Umfeld zum Erfolg zu führen.

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Stefan Steger ist Managing Director bei Korn/Ferry Switzerland und leitet den europäischen Hauptsitz in Zürich. Der gebürtige Österreicher ist auf Industrieunternehmen spezialisiert.

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