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Aus welchem Holz muss der Leader von morgen geschnitzt sein?

Gemäss einer Studie des Lausanner Hochschulinstituts für 
öffentliche Verwaltung IDHEAP wird die grösste Herausforderung für Führungskräfte in Zukunft darin liegen, in einem komplexen Umfeld mit beschränkten Ressourcen zurechtzukommen. 
Und: Sie werden in einer zunehmend vernetzten Welt mehr denn je unternehmerisch denken und handeln müssen.

Die Frage brennt der HR-Gemeinde seit einiger Zeit unter den Nägeln: Welches Kandidatenprofil ist geeignet, uns aus dieser Krise in eine goldene Zukunft zu führen? In Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen Vicario Consulting SA hat ein kleines Forschungsteam des IDHEAP unter der Leitung von HRM-Professor Yves Emery und 
Koorosh Massoudi, Dozent für Psychologie an der Universität Lausanne, in einer Studie mit dem Titel «Le leadership dans une société en réseau» (dt: «Leadership in einer vernetzten Gesellschaft») Antworten auf diese Frage gesucht. Zu diesem Zweck wurden zwanzig Gespräche mit CEO, HR-Leitern und Personalentwicklungsverantwortlichen von öffentlichen und privaten Schweizer Unternehmen geführt. Die Ergebnisse wurden den Studienteilnehmern Ende 2012 im Rahmen einer Podiumsdiskussion in Lausanne präsentiert. Nachfolgend eine Übersicht über die wichtigsten Erkenntnisse.

Netzwerker hoch im Kurs

Der Leader von morgen muss die Dynamik von Netzwerken verstehen und erfolgreich nutzen. Darin sind sich alle Befragten einig. Intern bilden diese Netzwerke ein Geschäftsführungsgremium aus Experten und Spezialisten. Darüber hinaus gilt es auch, die einzelnen Abteilungen durchlässiger zu machen – aus abgeschotteten Einheiten soll eine offenere Organisation entstehen. «Vom ‹Territoriumsdenken› im Stile eines Gentlemen Agreements (‹Du mischst dich nicht in meine Angelegenheiten, und ich lass dich auch in Ruhe›) haben wir uns hin zu einer Kultur des Austauschs und des Infragestellens entwickelt», erläutert Philippe Hebeisen, CEO der Vaudoise Versicherungen, der an der Umfrage beteiligt war. Auch externe Netzwerke gewinnen zunehmend an Bedeutung.

Die Partner eines Unternehmens – etwa Kapitalgeber, Kunden und Lieferanten –  müssen vermehrt angehört werden. Ein HR-Leiter meinte: «Unsere Manager sollten in der Lage sein, potenzielle Kooperationen und Synergien – auch mit Konkurrenten – zu erkennen. Sie müssen überholte Denkweisen überwinden und ausgetretene Pfade verlassen, um die Verkaufskanäle zu vervielfachen.» Doch das Funktionieren in Netzwerken hat auch seine Grenzen. «Auch wenn Entscheidungen vermehrt im Gremium getroffen werden, bleibt die Verantwortung im Falle des Scheiterns immer noch einzig und allein am Chef hängen», betonte ein Diskussionsteilnehmer.

Das neue Leader-Umfeld

GesternHeute und morgen
Stabilität / VorhersehbarkeitBeschleunigung / Krise
SicherheitUnsicherheit / Angst
Die Firma kümmert sich um mich   Unternehmergeist
Ich bringe meine Zeit / mein Know-how einIch erreiche meine Ziele / meine Ergebnisse
HomogenitätVielfalt
UnabhängigkeitKomplexität / Interdependenz
Wissen / SicherheitenLernprozess / Zugang zu Wissen / Unsicherheiten
Viele RessourcenNachhaltigkeit
Total Quality / ProzessOrganisatorische Flexibilität
Territorien / Bunker / DominanzNetzwerke / Kooperation
Too big to failInnovation

KMU-Patron als Vorbild

Das persönliche Engagement und der Unternehmergeist des Leaders bilden zwei weitere Schlüsselaspekte, die aus der Studie hervorgehen. In einem schwierigen ökonomischen Umfeld muss ein erfolgreicher Leader in der Lage sein, mit weniger mehr zu erreichen. Er wird demnach wie ein KMU-Patron agieren und innovative Lösungen finden müssen. «Ein Manager wird es sich nicht mehr leisten können, in seinem Elfenbeinturm zu verharren. Er muss auf externe und interne Kunden zugehen, um deren Bedürfnisse wirklich verstehen zu können», meinte ein Direktor. Ein weiteres Votum verwies darauf, in Zukunft müsse ein Leader «authentisch sein und angemessen reagieren – von Grund auf ehrlich und unabhängig von antrainierten Techniken».

Vertrauensbeziehungen schaffen

Unternehmerisches Denken bedingt auch eine hohe Sozialkompetenz und ein gutes Beziehungsnetz. Das Agieren in einer vernetzten Welt verlangt vom Leader der Zukunft den fruchtbaren Umgang mit ganz unterschiedlichen Playern und den Aufbau von Vertrauensbeziehungen zu eben diesen Akteuren. Die Gewichte zwischen den hierarchischen Ebenen haben sich, insbesondere seit dem Arbeitsmarkteintritt der Generation Y, verschoben. Anstatt zu befehlen, gilt es in Zukunft, zu erklären und mit einzubeziehen. «Runde Tische, Zufriedenheitserhebungen, Fachkräftemangel und neue Kommunikationsmittel haben die Spielregeln verändert – die Manager müssen jetzt die Bedürfnisse der Mitarbeitenden vermehrt berücksichtigen, insbesondere das Bedürfnis nach Wertschätzung», erläutert ein Firmenchef.

Dialog- und Synthesefähigkeit

In einem zunehmend komplexen Umfeld die Übersicht zu bewahren, wird in Zukunft ebenfalls eine Schlüsselkompetenz darstellen. Von einem Manager wird nicht mehr erwartet, über Fachwissen in allen Unternehmenssparten zu verfügen. Vielmehr muss er die Gesamtübersicht haben und die zuweilen widersprüchliche Dynamik verstehen und bewältigen. Dazu braucht es die Fähigkeit zu systemischem Denken. In Zukunft dürften die Entscheidungsträger mit zunehmend vielschichtigen und komplexen Problemsituationen konfrontiert werden, die nur durch eine ausgeprägte Dialog- und Synthesefähigkeit gelöst werden können. In der gelebten Praxis ist solch umsichtiges Agieren jedoch noch nicht wirklich erkennbar, wie ein Diskussionsteilnehmer bemerkte: «Das Bewusstsein für die Komplexität und die dafür verfügbaren HR-Tools ist wohl vorhanden, doch in der Praxis wird noch zu oft zu wenig davon umgesetzt.» 

Mit der Ehefrau ans Vorstellungsgespräch

Wie lässt sich ein Fehler beim Besetzen einer Vakanz vermeiden? Die Teilnehmer am runden Tisch zum Thema «Leadership in einer vernetzten Gesellschaft» gaben ohne Ausnahme zu, sich schon zumindest einmal in ihrer Wahl vergriffen zu haben. Wie können solche Flops vermieden werden? Bei allen steht am Anfang ein Assessment, gefolgt von mehreren Interviews. «Bei den Genfer Verkehrsbetrieben TPG laden wir auch die Ehepartnerin des Kandidaten zum Gespräch ein», berichtet TPG-Generaldirektor Philippe Bozon, «um sicherzustellen, dass auch sie die Arbeitsbedingungen mit unregelmässigen Arbeitszeiten, Nacht- und Wochenendeinsätzen kennt und akzeptiert. Wir wissen, dass diese Arbeitsbedingungen das Familienleben wesentlich prägen werden. Es ist deshalb normal, dass die Ehepartnerin in den Entscheidungsprozess mit einbezogen wird.»

Ausgewogene Work-Life-Balance

Schliesslich wird der Leader von morgen über eine ausgewogene Work-Life-Balance verfügen müssen. Dies impliziert unter anderem die Fähigkeit, sich in Frage zu stellen und seine Kompetenzen durch Weiterbildung auszubauen. Eine gesunde Work-Life-Balance bedeutet aber auch, loslassen zu können. Anstatt als Alleinherrscher zu agieren, muss der erfolgreiche Leader seinem Team eine Vision vorleben, die alle teilen und umsetzen. Es gilt also einerseits, zu delegieren, zu kontrollieren und zu motivieren, und andererseits, seine Grenzen zu akzeptieren und diese dem Team zu kommunizieren. Und er muss Prioritäten setzen und seine Zeit effizient nutzen und einteilen können. Abschliessend meint ein Diskussionsteilnehmer: «Der Gesundheit wird in einer überalterten Gesellschaft eine immer wichtigere Rolle zukommen.» Will für den Leader heissen: in Form und fit bleiben sowie der Gesundheit der Mitarbeiter gebührend Rechnung tragen.

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Marc Benninger ist Chefredaktor der französischen Ausgabe von HR Today.

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