Sie haben diverse Mandate im Tourismusbereich inne. Wie beurteilen Sie den Transformationsbedarf in der gebeutelten Tourismusbranche?
Der Schweizer Tourismus hat eine Kostenstruktur, die uns klar teurer macht als unsere Mitbewerber. Leider sind wir nicht zwingend überall besser als die Konkurrenz. Und genau das müssen wir ändern. Um den Faktor, den wir teurer sind, müssen wir qualitativ auch besser werden. Das können wir nur erreichen, wenn wir ein Begeisterungsbusiness aufbauen. Das ist auch eine Führungsaufgabe. Begeisterung setzt bei Kunden dann ein, wenn die Wahrnehmung der Leistung höher ist als die Erwartung. Dann redet der Kunde über seine Begeisterung und nicht über den Preis. Auf diesem Feld haben wir im Tourismus noch grosses Verbesserungspotenzial. Da ist seit dem Frankenschock bereits einiges in Bewegung geraten, aber es muss noch viel mehr passieren. Man muss eine Kundenbeziehung entwickeln, die so weit geht, dass der Gast ein schlechtes Gewissen bekommt, wenn er nicht mehr bucht. Dafür muss ich mich, ähnlich wie bei der Führungsfrage, extrem intensiv mit der DNA meines Gegenübers befassen.
Wie soll das funktionieren?
Im Marketing der Zukunft wird es immer weniger darum gehen, mit Fragebogen die Bedürfnisse abzufragen, sondern darum, zu wissen, was der Kunde will, weil man ihn und sein Verhalten beobachtet und sich ein Bild und ein Profil der Person schafft. Das kostet zwar Zeit und Aufmerksamkeit, aber nicht unbedingt viel Geld. Und es lohnt sich, weil es das Wertschätzungsbusiness enorm verändert und sofort einen Return on Investment auslöst. Zudem geht es darum, auf der gleichen Frequenz zu kommunizieren. Die meisten Unternehmen haben ein Kommunikationsproblem, das darin besteht, dass der Chef oder Gastgeber auf einer anderen Frequenz sendet als jene, worauf der Gast oder Mitarbeiter seine Antennen eingestellt hat. Noch einmal: Die Ich-Perspektive ist sehr gefährlich.
Wie kann man sich die dafür nötige Zeit freischaufeln, wenn man vom operativen Geschäft eh schon mehr als genug absorbiert ist?
Das ist eine Frage, die ich auch in meinem Referat in Bern behandeln werde. Die meisten Menschen sind vom Moment des Aufstehens bis zu Moment, wo sie ins Bett gehen, immer in einem Spannungsmodus. Sie leisten also immer etwas. Das machen viele 16 Stunden lang und wundern sich dann, wenn sie nicht mehr aufnahmefähig und kreativ sind. Ich versuche Managern beizubringen, wieder vermehrt Ich-Zeit zu konsumieren. Also über kurze Sequenzen hinweg bewusst loszulassen, Langeweile auszuhalten und nichts zu tun. Also gewissermassen, dem Gras beim Wachsen zuzuschauen und dem Bach beim Fliessen zuzuhören. Die Einführung der Ich-Zeit ist eine Übung, die ich allen empfehle. Denn nur so komme ich in einen Energiefluss, der wieder Ideen generiert.
Haben Sie weitere Tipps auf Lager?
Wir sollten stärker überprüfen, was wir eigentlich den ganzen Tag tun. Es gibt Leute, die täglich zwei Stunden lang cc-Mails lesen. Das sind die gleichen Leute, die darüber klagen, keine Zeit zu haben. Man könnte cc-Mails ja einfach abschaffen. Man sollte sich jedenfalls fragen: Tue ich eigentlich wirklich das, wofür ich bezahlt werde, und ist es wirklich notwendig, was ich gerade mache? Wir müssen viel mehr hinterfragen, loslassen und nicht einfach blindlings machen. Ich muss den Schweizern, Deutschen und Österreichern beibringen, weniger tüchtig zu sein und dafür etwas cleverer zu agieren. Tüchtigkeit hat in unserer Gesellschaft einen enorm hohen Wert. Dabei geht es eigentlich nicht darum, noch tüchtiger zu werden, sondern darum, mit weniger Aufwand mehr zu erreichen.
Ernst Wyrsch
Ernst «Aschi» Wyrsch (55) absolvierte die Hotelfachschule Luzern. Nach verschiedenen Stationen in der Hotellerie – unter anderem als HR-Chef im Hotel Waldhaus in Sils Maria – führte er von 1996 bis 2011 gemeinsam mit seiner Frau während 15 Jahren als Direktor das Steigenberger Fünfsternehotels Belvédère in Davos – im eigentlichen Epizentrum des World Economic Forums. Mit 50 Jahren entschied er sich, die sichere Karriere zugunsten der Selbständigkeit als Leadership-Coach, Trainer und Speaker aufzugeben. Heute bekleidet er zudem verschiedene Mandate in Tourismus und Gastronomie und ist Präsident von Hotelleriesuisse Graubünden. Wyrsch ist verheiratet, begeisterter Golfspieler und Ehrenpräsident des HC Davos.
Am Berner Wirtschafts- und HR-Forum der WKS KV Bildung vom 23. Januar 2017 hält Ernst Wyrsch zum Thema «Change or Die – Transform and Fly» eine Keynote.
Welche Bedeutung haben für Sie HR-Themen?
So wie ich HR verstehe, geht es zwar durchaus auch um technische, rechtliche und finanzielle Fragen, aber im Grunde geht es darum, Mitarbeiter abzuholen und zu schauen, wie es ihnen geht. Werden sie noch am richtigen Ort eingesetzt? Oder drängt sich eine Veränderung auf? Braucht es ein Gespräch? Braucht es Nähe oder Distanz? Da senden alle Menschen andere Signale aus. Und diese Signale zu interpretieren, an die Führungskräfte weiterzuleiten und so Einfluss zu nehmen, das macht für mich den kreativen Teil von HR aus. Das setzt für mich viel Intuition voraus, was ich für eine ausgesprochen weibliche Kompetenz halte.
Haben Sie selber Erfahrungen mit der HR-Rolle?
Ich war Personalverantwortlicher im Fünfsternehotel Waldhaus in Sils Maria. Dabei haben mich weniger die technischen Aspekte fasziniert, sondern mehr die Frage, wie man das Beste aus den Mitarbeitern herausholen kann. Egal ob sie Diven, Cashcows oder Perfektionisten sind, bei denen man aufpassen muss, dass sie sich nicht ins Burnout verabschieden. Ob es Leute sind, die zwar eine hohe Motivation an den Tag legen, aber nur eine kleine Leistung bringen, oder Leute, die innerlich gekündigt haben. Aus Untersuchungen wissen wir, dass dies bei bis zu zehn Prozent der Mitarbeiter der Fall ist. Das deutet stets auf ein Führungsproblem hin. Umso wichtiger ist es, zu fragen, wo noch ein Funke Leidenschaft brennt und ob allenfalls mit Coachings, Trainings und Seminaren noch etwas zu holen ist. Das sind alles spannende Felder.
Wie lautet Ihre Botschaft ans HR?
Modernes HR sollte sich als Coach, Trainer, Seelsorger oder auch als Brückenbauer verstehen und so die Betriebsatmosphäre beeinflussen. Ich bin davon überzeugt, dass diejenigen Unternehmen die Digitalisierung überleben werden, welche die beste Betriebsatmosphäre aufweisen. Denn nur in einer guten Atmosphäre entstehen kreative Ideen, die im Zeitalter der Digitalisierung der einzige Garant für Erfolg sind. HR sollte zudem weniger in Befehlsform und über Dienstanweisungen kommunizieren, sondern viel stärker Sinn, Hintergrund und Nutzen einer Anweisung erklären. Viele Anweisungen seitens HR kommen immer noch sehr belehrend und schulmeisterlich daher. HR ist wichtig und würde insofern durchaus auch etwas mehr Selbstmarketing vertragen.