Hundert Prozent weiblicher
Seit einem Jahr ist Nicole Burth CEO von Adecco Schweiz, der Marktführerin der Temporärindustrie. Ein Gespräch über Fussstapfen, Farbenlehre und warum sie HR-Themen zur Chefsache macht.
Nicole Burth, CEO von Adecco Schweiz: «Es sollte auch für einen Mann möglich sein, Teilzeit zu arbeiten. Entsprechende Wünsche erhalten meine volle Unterstützung.» (Bild: Katharina Wernli)
Frau Burth, Sie haben vor gut einem Jahr als Nachfolgerin von Michael Agoras die Stelle als CEO von Adecco Schweiz angetreten, der diesen Job 13 Jahre lang gemacht hat. Wie war es, in seine Fussstapfen zu treten?
Nicole Burth: Er hat eine komplett andere Schuhform (lacht). Es ist klar, dass die Situation heute völlig anders ist, aber das ist auch gut so. Er ist ein anderer Typ mit einem anderen Ansatz. Er war insgesamt 25 Jahre bei der Adecco Schweiz und hat die Firma enorm geprägt. Wer mein Vorgänger ist, war für mich keine relevante Frage, als ich mich für die neue Aufgabe entschied. Wichtiger waren persönliche Fragen, etwa, ob sich der Job mit meiner Familie vereinbaren lässt. Ich habe mich jedenfalls sehr über das Angebot gefreut und die Herausforderung auch mit Freude angenommen.
Apropos Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Wie wird dieses Thema in der Adecco gelebt?
Das Thema liegt mir sehr am Herzen. Vereinbarkeit gelingt nur, wenn die ganze Familie mithilft. Sechs von zehn Frauen arbeiten heute Teilzeit, während es bei den Männern nicht einmal zwei Prozent sind. Es sollte auch für einen Mann möglich sein, Teilzeit zu arbeiten. Das propagiere ich auch bei uns. Eine Reduktion auf 80 Prozent ist in fast allen Fällen möglich und entsprechende Wünsche erhalten meine volle Unterstützung.
Wie sieht Ihre persönliche Lösung aus?
Mein Mann arbeitet Teilzeit in einem 60-Prozent-Pensum. Insofern habe ich gute Voraussetzungen und auch das Glück, dass sich auf beiden Seiten die Grosseltern sehr stark engagieren. Ich versuche, mir Zeit für die Familie herauszunehmen, fokussiere mich aber momentan natürlich voll auf die neue Aufgabe.
Sie blicken auf eine über zehnjährige Karriere bei Adecco zurück und wurden intern befördert. Welche Bedeutung hat Talentmanagement?
Es ist der ideale Fall, wenn man Stellen intern besetzen kann, denn es ist eine Win-win-Situation für alle. Auch wegen des Signals, das so an die Mitarbeiter gesendet wird. Es zeigt, dass man sie ernst nimmt und sie wirklich weiterentwickeln sowie ihnen Karrieren eröffnen will. Zudem behält man so wertvolles Know-how im Unternehmen. Punkto Talentmanagement macht die Adecco Gruppe global schon sehr viel. In der Schweiz bauen wir zurzeit gerade ein neues Talentmanagementprogramm auf. Dieses Thema ist für mich extrem wichtig.
Um damit auch der hohen Fluktuation etwas entgegenzusetzen?
Absolut. Wobei die Fluktuation innerhalb der Adecco nicht höher ist als im Branchenvergleich. Wir haben in unserer Branche generell eine sehr hohe Fluktuation.
Weshalb? Weil es ein Verschleissjob ist?
Gute Frage. Wann will jemand den Job wechseln? Entweder hat der Betreffende vom Job eine falsche Vorstellung gehabt, er wurde nicht gut angelernt, damit er im Job auch Zufriedenheit erlangt, oder hat einen schlechten Chef.
Oder in umgekehrter Reihenfolge.
Möglicherweise (lacht). Jedenfalls sind das drei Hauptgründe, eine Arbeitsstelle zu verlassen. Kostentechnisch ist es natürlich denkbar schlecht, wenn jemand innerhalb der ersten zwei Jahre wieder geht. Entsprechend arbeiten wir daran, diese Prozesse zu verbessern. Es lohnt sich, Kandidaten sehr pointiert aufzuzeigen, worauf sie sich einlassen. Genauso wichtig ist es, die Leute dann auch gut zu begleiten, weiterzubilden und zu entwickeln. Dabei ist auch das Thema Performance Review für mich ein ganz wichtiger Punkt. Dass man sich für die Mitarbeiter also Zeit nimmt und schaut, was gut und weniger gut gelaufen ist.
Sie wollen eine neue Feedbackkultur etablieren?
Es ist nicht so, dass wir keine Feedbackkultur gehabt hätten. Aber man kann dieses Thema mehr oder weniger ernst nehmen und sich unterschiedlich stark engagieren. Wir können an unserer Feedbackkultur jedenfalls noch einiges verbessern.
Damit machen Sie klassische HR-Themen zur Chefsache. Welche Bedeutung hat HR auf Kundenseite für Sie?
Aufgrund unserer Kundengespräche komme ich zum Schluss, dass HR immer wichtiger wird und in der kontinuierlichen Beziehungspflege immer stärker involviert ist. Früher hatten wir oft nur mit der Linie zu tun.
Was ist von den Unkenrufen zu halten, wonach das Procurement, also die Einkaufsabteilungen, immer einflussreicher wird?
Bei den grösseren Kunden geht in der Tat nichts mehr ohne das Procurement. Die Einkaufsabteilungen haben in der Schweiz allerdings nur die Aufgabe, die drei- bis fünfjährigen Verträge zu verhandeln und den Einkauf abzuwickeln. Danach läuft die Beziehungspflege stark über das HR. Dies im Gegensatz zu den USA, wo das Procurement auch operativ noch viel länger in den Folgeaufgaben aus dem Temporäreinkauf involviert ist. In der Schweiz entwickelt sich der Markt längerfristig auch in diese Richtung.
Worauf führen Sie diese Entwicklung zurück?
Es hat etwas mit einem generellen Trend hin zu einem «Total Workforce Management» zu tun. Früher ging es vielleicht noch, dass man quasi «nebenher» temporär Beschäftigte unter Vertrag hatte. Inzwischen ist es so, dass zunehmend auch höher qualifizierte Fachkräfte aus dem Temporärmarkt rekrutiert werden. Umso wichtiger wird es, diese Fachkräfte mit einem professionellen HR zu begleiten. Nicht zuletzt aus Gründen der Wertschätzung, die man solchen Temporärmitarbeitern angesichts der angespannten Fachkräftesituation entgegenbringen sollte.
Das White Collar-Segment ist für Sie also ein Wachstumsmarkt?
Absolut. Obwohl in der Schweiz die sogenannten Blue-Collar-Verträge mit Industriearbeitern immer noch mehr als zwei Drittel unseres Umsatzes ausmachen, dürfte dieser Anteil aufgrund der Digitalisierung und Automatisierung künftig eher sinken. Infolge der Frankenstärke wurden in den letzten zwei Jahren vermehrt Produktionsstätten ins Ausland verlagert. Namentlich in der metallverarbeitenden Industrie, wo der Stellenrückgang 15 Prozent betrug. Dies belegt auch der Adecco Swiss Job Market Index, mit dem wir die Bewegungen im Markt untersuchen. Dagegen beobachten wir bei den White-Collar-Verträgen im Office-Bereich eine deutliche Zunahme. Immer öfter ist heute in unseren Aufträgen auch vom sogenannten Black Collar-Segment die Rede, also von spezialisierten Profilen mit einem technischen Background wie Ingenieure, IT-Spezialisten oder Controller, namentlich in den Sektoren Finance, Lifescience und Pharma. Entsprechend richten wir uns mit der Adecco neu aus und investieren stark in den White- und Black-Collar-Bereich. Man muss dorthin, wo der Markt ist.
Was waren die wichtigsten Themen in Ihrem ersten Jahr als CEO von Adecco?
Wir haben anfangs Jahr gewisse Strukturen angepasst. Die Grosskunden mit grossen Produktionsstandorten bedienen wir neu von sieben Hubs aus. Damit wollen wir kompetitiver werden und der Nachfrage effizienter entsprechen – etwa, wenn auf einen Schlag 20 Leute gesucht werden und Kräfte gebündelt werden müssen. Es entspricht auch der globalen Strategie, die verschiedenen Kundensegmente in ihren Bedürfnissen abzuholen. Die anderen Filialen werden entlastet und kümmern sich um die mittelgrossen sowie kleineren Kunden. Kleine Firmen haben einen eher geringen Bedarf an unseren Dienstleistungen. Dafür eignen sich Online-Modelle besser, die wir derzeit am Entwickeln sind. Unser Angebot in diesem Bereich heisst My Adecco. Damit stellen wir einen Kandidaten-Pool zur Verfügung für Kunden, die temporär mit hohen Spitzen konfrontiert sind. Die Kandidaten in unserem Pool haben bei uns ein Assessment durchlaufen und wurden individuell interviewt. Der Kunde nimmt bei Interesse an einem Profil mit dem Kandidaten direkt Kontakt auf. Wir haben eine Lösung gewählt, die es auf dem Markt bereits gibt, und diese weiterentwickelt.
Hat die neue Hub-Struktur auch zu Schliessungen und Entlassungen geführt?
Von den ursprünglich 58 Filialen haben wir zwei geschlossen. Früher haben Jobsuchende unsere Filialen besucht und ihren CV deponiert. Heute bewerben sich Kandidaten online oder via Social Media. Gerade im IT-Bereich rekrutieren wir heute auch viele Leute aus dem Ausland. Ausländische Fachkräfte etwa werden per Telefon oder Skype interviewt. Wir brauchen also weniger Standorte und haben noch weiteres Zentralisierungspotenzial. Wobei es gewisse Grenzen gibt. Ein Standort für die ganze Schweiz wäre sicher zu wenig. Die Kunden sind doch sehr regional verankert.
Haben Sie auch Personal abgebaut?
Unser Markt war leicht rückgängig und entsprechend mussten wir auch beim Personal Anpassungen vornehmen. Allerdings gibt es in unserer Industrie eine hohe Fluktuation, wodurch dies ziemlich reibungslos umgesetzt werden konnte. Heute beschäftigen wir über 500 Personen, was 450 Full Time Equivalents entspricht.
Auf welche Leistungen an der Spitze von Adecco Schweiz sind Sie nach Ihrem ersten Jahr besonders stolz?
Neben der Einführung der sieben Hubs und der Lancierung des My Adecco Tools investieren wir auch viel stärker in den Markt der Feststellenvermittlung. Besonders im Kaderbereich, wo der Markt stark wächst. Da waren wir früher nicht so stark. Unter der Marke Badenoch & Clark sind wir auf diesem Gebiet nun auf Expansionskurs. Dabei geht es um die Vermittlung von Kaderprofilen mit einer Jahreslohnsumme von 100 000 Franken und aufwärts. Es funktioniert so, dass wir auf bestimmte Fachrichtungen spezialisierte Teams aufbauen – beispielsweise in den Sektoren Finance, Supply Chain, Procurement, Real Estate oder auch im HR-Bereich.
Apropos Tochterfirmen: Wie sind diese eigentlich mit der Adecco Gruppe verbandelt?
Die Marken Badenoch & Clark, Euro Engineering, Lee Hecht Harrison und Pontoon gehören zu unserer regionalen Struktur. Während die ersten beiden direkt an mich rapportieren, werden die letzten beiden global gemanagt. Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Marken klappt sehr gut.
Auf Gruppenebene sitzt mit der neuen HR-Chefin Shanthi Flynn gerade mal eine Frau in der Konzernleitung. Wie steht es um die Gender Diversity in der 15-köpfigen Geschäftsleitung der Adecco Schweiz?
Aktuell sind wir vier Frauen. Immerhin hundert Prozent mehr als zum Zeitpunkt, wo ich angefangen habe. Und mit Danica Ravaioli konnten wir auch den HR-Chefposten neu mit einer Frau besetzen. Ich bin sehr froh, dass wir sie an Bord haben. Sie ist ein HR-Profi und kennt wirklich alle Facetten von HR. Es freut mich, mit ihr das Talentmanagement aufbauen zu dürfen. HR ist absolut zentral für mich. Wir vermitteln Menschen, dann brauchen wir auch gute Menschen, die diese Arbeit machen.
Welche strategischen Prioritäten haben Sie sich für die nächsten Jahre gesetzt?
Als Marktführer müssen wir uns mit unserer Expertise auch bei Arbeitsmarktthemen noch stärker positionieren. Wir nennen das intern «Thought Leadership». Darin habe ich bereits im vergangenen Jahr viel Zeit investiert. Namentlich beispielsweise beim Thema der Masseneinwanderungsinitiative (MEI). Wir müssen noch besser aufzeigen, dass wir den freien Zugang für Talente brauchen. Wir können die offenen Stellen nicht nur mit Schweizern besetzen. Dabei spreche ich nicht nur von Berufen, wo Fachkräftemangel herrscht. Die Grenzregionen könnten ohne Grenzgänger schlicht nicht überleben. Gerade auch in der Produktion. Deshalb ist es mir wichtig, dass wir gemeinsam mit dem Branchenverband swissstaffing auf die Umsetzung der MEI so Einfluss nehmen, dass es für den Schweizer Arbeitsmarkt Sinn macht und die Unternehmen immer noch genügend Zugang haben zu Leuten, die sie wirklich brauchen. Zu diesem Thema engagiere ich mich auch bei Economiesuisse.
Viel Zeit bleibt nicht mehr. Welche Art der Umsetzung schwebt Ihnen vor?
Wir müssen die Initiative so umsetzen, dass wir uns keine Restriktionen einhandeln, welche die Besetzung von Stellen beeinträchtigt. Die Umsetzung muss sehr unbürokratisch sein. Es ist mir wichtig, dass gehört wird, dass wir nicht genügend Leute finden. Gelingt die Umsetzung nicht, wird dies zur weiteren Abwanderung von Firmen führen.