Gekonnt durch unsichere Zeiten steuern
Die Versicherungsbranche verändert sich. Das erfordert eine Mannschaft, die rasch auf Marktveränderungen reagiert, Innovationen hervorbringt und den Kunden ins Zentrum rückt. Deshalb setzt Helvetia Versicherungen seit 2016 auf Agilität, Innovation und Kundenzentrierung – und damit auf eine neue Mentalität.
Zwischen Bewegung und Stillstand. (Bild: 123rf)
Mehr als je zuvor gilt es bei Helvetia, eine Balance zwischen der Optimierung des Kerngeschäfts (Exploit) und der Versorgung der Organisation mit Innovation (Explore) zu schaffen. Mit der Entwicklung der Strategie «helvetia 20.20» hat der Versicherer den Fokus auf neue Geschäftsmodelle und Ökosysteme, aber auch auf die Erneuerung des Kerngeschäfts gelegt. So sollen nicht nur neugegründete Unternehmensbereiche wie Corporate Venturing Innovation hervorbringen, sondern auch Umdenken und Experimentieren sind in den traditionsreichen Sparten des Versicherungsgeschäfts gefragt. Das ist eine Herausforderung für eine Organisation, die ihren Kunden Sicherheit und Stabilität verspricht, in der Entwicklung neuer Ideen aber wenig Übung hat und sich eine traditionell geprägte Führung gewohnt ist.
Dem neu einberufenen Helvetia-HR-Projektteam ist rasch klar, dass das Umsteuern des Unternehmens und das Halten des neu eingeschlagenen Kurses nur durch die geschickte Verknüpfung von organisationalen Stellhebeln und Massnahmen zur Führungskräfteentwicklung gelingt. Der Grundstein für ein konzernweites Leadership-Development-Programm ist damit gelegt. Leadership@helvetia soll das Bewusstsein für notwendige Veränderungen schaffen, einen Dialog über Führung anstossen und eingeübte, mittlerweile hinderliche Organisationsmuster in Frage stellen.
Von der Idee zum digitalen Wandel
Zur Konzeption und Umsetzung hat das HR-Projektteam des Versicherers mit osb international Consulting eine externe Organisationsberatung mit systemischem Hintergrund beigezogen. Der enge Schulterschluss zwischen Projektteam und externen Begleitern von der Konzeption bis zum Ausrollen trägt wesentlich zum Erfolg des Leadership-Developments bei. Interne und externe Berater verstehen sich als Team, arbeiten eng abgestimmt und auf Augenhöhe zusammen und verbinden ihre jeweilige Expertise. So entsteht nicht nur ein Rollenmodell für eine gelungene Kooperation, sondern auch für ein abgestimmtes Programm.
Zunächst ging es darum, die aktuelle Lage und die Erwartungen an die Führung zu verstehen. Aus der unternehmenseigenen Mitarbeiterbefragung, qualitativen Interviews mit Führungskräften aller Hierarchie-Ebenen und zahlreichen Beobachtungen wurden folgende Handlungsfelder identifiziert, die im Einklang mit der Unternehmensstrategie von Helvetia stehen:
- Veränderungsfähigkeit des Führungssystems erhöhen
- Bereichsübergreifende Zusammenarbeit verbessern
- Eigenverantwortung der Führungskräfte stärken
- Kluges Zusammenspiel von Bewährtem und Neuem
Entstanden ist ein Programm mit drei Modulen, das die Herausforderungen der digitalen Transformation adressiert sowie die strategischen Setzungen der Organisation aufnimmt und verarbeitet: Modul 1 widmet sich den Herausforderungen von Führung in der digitalen Transformation und Modul 2 legt den Schwerpunkt auf Change-Management, während Modul 3 klassische Führungstools in Verbindung mit den gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnissen bringt. Unternehmensinterne Aktivitäten wie Leadership Lunches und Wikipedias unterstützen die Vernetzung im Nachgang zum Programm.
Kulturelle Unterschiede berücksichtigen
Wegen der internationalen Ausrichtung von Helvetia wird das Leadership-Development-Programm in vier Sprachen ausgerollt und die kulturellen Unterschiede der sechs Ländergesellschaften werden berücksichtigt. Das Von- und Miteinander Lernen der Führungskräfte sowie ihr Umgang untereinander sind geografisch unterschiedlich ausgeprägt. Im Führungstraining, das ein hohes Mass an Eigeninitiative erfordert, kommen diese Nuancen zum Tragen. Lokale Besonderheiten und inhaltliche Schwerpunkte werden mit dem lokalen Management und den HR-Vertretern gesetzt. Während in einer Markteinheit beispielsweise Innovationsmanagement im Vordergrund steht, wird das Themenfeld in einem anderen mit Konfliktmanagement ergänzt. Dadurch sind individuelle Entwicklungsprogramme mit einem konsistenten Kern an Handlungsfeldern entstanden, die durch die vermittelten Bilder eine gemeinsame Führungssprache unterstützen.
Das Helvetia-Top-Management kennt nicht nur die Inhalte des Programms, sondern hat es selbst erfahren. Denn die lokalen Führungsteams durchlaufen das Programm vor der Lancierung in ihrem Land in verkürzter Form. Auf Konzernstufe finden zudem regelmässig Leadership-Tage statt, an denen nebst den Programminhalten auch Beobachtungen und Vorhaben der Führungskräfte adressiert werden. Damit wird ein Grundstein für eine gemeinsame Führungssprache gelegt und es werden gleichzeitig Möglichkeiten für eine aktive Kommunikation über die Führung geschaffen.
Konzernweit haben bei Helvetia bisher rund 300 Führungskräfte das Leadership-Development-Programm absolviert, bis Mitte 2020 werden es über 500 Mitarbeitende sein. Die Hierarchie-Ebenen wurden dabei bewusst getrennt, bei gleichzeitiger vertikaler Verschränkung mit Formaten wie die Leadership-Dialoge mit der Konzernleitung. Ziel ist, einen geschützten, hierarchiefreien Rahmen für Führungskräfte zu schaffen, horizontale Verbindungen über die Unternehmensbereiche zu stärken und den Dialog und den Diskurs mit dem Top-Management zu gestalten.
Referenzen
- Tushman/O’Reilly: Lead and Disrupt, 2016
- Schwab: Die Vierte Industrielle Revolution, 2016
- Petry: Digital Leadership, 2016
- Digital Vortex: https://www.imd.org/research-knowledge/articles/digital-vortex-in-2017/
Erfahrungen auf den Punkt gebracht
Strategiebezug herstellen: Aus Organisationssicht ist das Programm in die Konzernstrategie einzubetten und der Fokus aller personal- und organisationsentwicklerischen Massnahmen eng zu halten. Durch die konsequente Ausrichtung an den Schwerpunkten Agilität, Innovation und Kundenzentrierung kann eine sinnstiftende Klammer um alle Aktivitäten gespannt und die Kräfte auf ein gemeinsames Ziel gebündelt werden.
Das eigene Format finden: Es fiel den Projektbeteiligten bei Helvetia nicht leicht, im aktuellen Diskurs über Selbstorganisation und Agilität den eigenen Weg nicht aus den Augen zu verlieren und Idealvorstellungen auf der Seite zu lassen. Besonders heftig diskutiert wurden die Trennung der Führungsebenen und die Gestaltung als modulares mehrtägiges Präsenztraining. Das so umzusetzen, war im Rückblick richtig und wichtig, um die Anschlussfähigkeit des Programms an das Führungssystem zu gewährleisten und dem Bedürfnis der Führungskräfte nach persönlichem Austausch gerecht zu werden.
Den Diskurs über Führung gestalten: Die begleitende Kommunikation über das Programm durch interne formale Kommunikationskanäle, die Teilnehmenden als Multiplikatoren in ihrer Führungsrolle und die Bezugnahme zu Programminhalten durch das Top-Management an Mitarbeiterveranstaltungen sorgten für eine zunehmend aktivere Auseinandersetzung mit der Führung bei Helvetia. Damit wird sichtbar, dass diese als relevanter Faktor für die Zukunftssicherung gesehen wird. Wenn es dabei gelingt, Botschaften zur künftigen Ausrichtung abgestimmt zu vermitteln, entsteht für die Mitarbeitenden nebst der Gewissheit, dass das Führungssystem konzertiert handelt, auch eine inhaltliche Orientierung.
Im Tandem extern-intern arbeiten: Von der Konzeption bis zum Ausrollen des Projekts aktiv dabei zu sein und in eine interne Co-Trainerrolle einzusteigen, hat den HR-Projektmitarbeitenden von Helvetia die Grenzen ihrer Ressourcen aufgezeigt. Auf der anderen Seite hat es ihnen wertvolle Einblicke in die Organisation gegeben und das HR in einen guten Kontakt mit den Führungskräften gebracht, der nun hilft, die Bedürfnisse der Kunden besser zu verstehen und den organisationalen Diskurs zum Thema Leadership weiter zu gestalten.