HR Today Nr. 12/2016: Debatte

Gesetz gegen Altersdiskriminierung?

Während Heidi Joos, Geschäftsführerin einer Lobby-Organisation für die 50+-Generation, Altersdiskriminierungen mit verschärften Gesetzen bekämpfen möchte, appelliert HR-Fachfrau Alessandra Zito Rickenbacher an das HR. Dieses habe die Aufgabe, die Linie zu beraten, die Führungskräfte zu schulen und so latente Diskriminierungen abzubauen.

Heidi Joos

Unser Verein reichte vor einem Jahr in Bern eine Petition ein, die ein flächendeckendes Antidiskriminierungsgesetz verlangt, das auch Schutz vor Altersdiskriminierung gewährt. Dass es in der Schweiz an der Tagesordnung ist, Ältere auf dem Arbeitsmarkt zu benachteiligen, stellte auch die OECD immer wieder fest. So schalten viele Unternehmen im elektronischen Jobselektionsprozess sogenannte Bewerbungsfilter vor, die älteren Jobsuchenden aufgrund des Alters unmittelbar Absageschreiben zustellen. Immer mehr Arbeitgeber geben zudem offen zu, dass Ältere aufgrund der höheren BVG-Beiträge zu teuer sind. Sie bevorzugen jüngere und billigere Arbeitskräfte – auch aus dem Ausland. Seit der Einführung der Personenfreizügigkeit steigt die Anzahl der beim Seco gemeldeten Stellensuchenden der Generation 45+ überdurchschnittlich. Wer einmal arbeitslos ist, bleibt länger erwerbslos als in anderen OECD-Ländern. Ein Indikator dafür, dass die von Bund und Arbeitgebern in Aussicht gestellten Massnahmen zur Arbeitsmarktintegration von Älteren in der Praxis nicht greifen. Im April dieses Jahres legte der Bundesrat dem Parlament nun einen Bericht vor, in dem er entgegen früherer Äusserungen eingesteht, dass die geltende Rechtsordnung den Schutz vor Diskriminierung nicht ausreichend gewährleistet. Der in der Bundesverfassung verankerte Diskriminierungsschutz lässt sich zwingend nur im öffentlichen Recht anwenden. Im Privatrecht hingegen (zu dem auch das Arbeitsrecht gehört) gibt es grosse Lücken. In Bezug auf die Kriterien Behinderung und Gleichstellung wurden zwar entsprechende Gesetze geschaffen. Deren Wirksamkeit ist jedoch aufgrund zahlreicher Verfahrenshürden wie der Beweis- und Kostenlast nicht zufriedenstellend. Das erklärt auch, warum es kaum zu Klagen kommt. Trotz seiner Zugeständnisse lehnt der Bundesrat ein Antidiskriminierungsgesetz nach dem Muster der EU weiterhin ab. Seine Ängste, wonach die Schaffung einer umfassenden Gesetzgebung die sektoriellen Lösungen gefährde, sind jedoch unbegründet. Der von der EU jüngst eingeleitete Optimierungsprozess der Antidiskriminierungsgesetzgebung belegt, dass das Bewusstsein für einen wirksamen Schutz durch eine umfassende Gesetzgebung wächst. Die Gründe für die ablehnende Haltung des Bundesrats liegen eher darin, dass er die Profite nicht gefährden will, die unser liberaler Arbeitsmarkt mit diskriminierenden Spezifitäten wie «Arbeit auf Abruf» oder «nicht BVG-pflichtige Teilzeitarbeit» macht. Die Zeche dafür zahlen viele Ältere, auf welche Altersarmut wartet. Dem Anliegen nach einem Schutz der Älteren vor Diskriminierung kommt der Bundesrat insofern nach, als er das Schweizerische Kompetenzzentrum beauftragt, innert Zweijahresfrist einen Bericht über die Diskriminierung von Älteren in der Schweiz vorzulegen. Ein Schritt in die richtige Richtung. Doch eine wünschbare griffige Gesetzgebung, die Älteren im Arbeitsrecht ein wirksames Klagerecht einräumt, wird somit erneut herausgezögert.

 

Alessandra Zito

Ein Gesetz allein vermag die Diskriminierungsproblematik nicht zu lösen. Wir haben bereits ein Diskriminierungsverbot. Die schweizerische Bundesverfassung postuliert in Artikel 8 das Gleichheitsgebot, das Diskriminierungsverbot, das Gleichstellungsgesetz für Frau und Mann sowie das Behindertengleichstellungsgesetz. In Artikel 8 werden Merkmale wie Geschlecht, Alter, psychische wie auch körperliche Einschränkungen, religiöse und politische Überzeugungen, Lebensformen, Herkunft oder soziale Stellung genannt, aufgrund derer niemand diskriminiert oder schlechtergestellt werden darf. Trotz Gesetz findet Diskriminierung statt und das nicht nur wegen des Alters. Wir dürfen uns nicht nur auf Gesetze stützen und dem Irrglauben verfallen, damit alle Missstände zu beheben. Was wir brauchen, sind Sensibilisierung und Aufklärung. Ich habe in der Rekrutierung zahlreiche Situationen erlebt, in denen Führungskräfte auf den ersten Blick ein diskriminierendes Denken und Verhalten an den Tag legten und erst auf den zweiten Blick deutlich wurde, dass sie es nicht besser wussten. Entscheidungsträger bemerken oft nicht, welche Stereotypen sie mit sich herumtragen und wie eingeschränkt ihre Vorstellungen von Szenarien und Alternativen sind. Ich habe mehr als eine Situation erlebt, bei der nicht Gesetze, sondern offene Gespräche zu einer besseren Lösung führten. Beispielsweise, indem in einem Bewerbungsgespräch über eine anstehende Schwangerschaft gesprochen wurde, obwohl dies gemäss Gesetz nicht zulässig ist.

Was das Alter angeht, erscheint es mir wichtig, sich seinen eigenen diskriminierenden Überzeugungen bewusst zu werden. Alter wird tabuisiert: In vielen Unternehmen und Köpfen erscheint es immer noch undenkbar, dass etwa über 55-Jährige ihre Führungsfunktion abgeben möchten, um sich anderen Aufgaben zu widmen, ohne dadurch Wertschätzung und Anerkennung zu verlieren. Es gilt, die Vorstellungen vom vermeintlich idealen Karriereverlauf zu überdenken. Zu viele glauben, dass Leistung vom Alter abhänge und wir ab einem gewissen Alter weniger leistungsfähig seien. Glaubt man aktuellen Studien, gibt es diesbezüglich jedoch keinen direkten Zusammenhang. Was wir nicht kennen oder was uns fremd ist, lehnen wir in der Regel fast instinktiv ab. Erst wenn wir genug Hintergrundwissen und erste Erfahrungen gesammelt haben, können wir uns ein klareres Bild machen. Das schafft ein Gesetz nicht. Es wäre somit für ein Unternehmen ratsam, nicht nur die Führungskräfte bezüglich der Altersthematik zu sensibilisieren und zu schulen, sondern auch die HR-Verantwortlichen. HR-Leute spielen eine Schlüsselrolle, denn als Berater  der Linie können sie einen wesentlichen Beitrag leisten, um den Mindset der Entscheidungsträger zu öffnen und sie dabei zu unterstützen, neue Wege zu gehen und latente Diskriminierung abzubauen. Diskriminierungen schaden nicht nur den Betroffenen, sie bremsen ein Unternehmen auch in seiner Entwicklung aus.

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Alessandra Zito Rickenbacher arbeitet in einem Teilzeitpensum für den Kanton Luzern im Bereich HR-Projekte und -Beratung und ist daneben als Unternehmens- und Laufbahnberaterin sowie als Coach tätig.

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Heidi Joos ist Inhaberin eines Consulting-Unternehmens und Geschäftsführerin des Vereins «50plus out in work Schweiz», der die Interessen von Erwerbslosen und Arbeitnehmenden vertritt.

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