HR Today Nr. 12/2016: Generation 50+

Die Fakten sprechen eine klare Sprache

Dass ältere Arbeitnehmer trotz Demografiewandel und verschärftem Fachkräftemangel bei Stellenbesetzungen oft immer noch übergangen und frühpensioniert werden, erstaunt und emotionalisiert die Betroffenen zunehmend. Eine Ursachenforschung.

«Weil genügend andere Arbeitskräfte zur Verfügung stehen», lautet die beinahe lapidare Antwort auf die Frage, weshalb Unternehmen über 50-jährige Mitarbeiter verschmähen. Die Antwort ist einer Studie des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) aus dem Jahr 2012 zu entnehmen, worin knapp 2000 Unternehmen zur Beschäftigung älterer Mitarbeitender befragt wurden. 75 Prozent der Befragten begründeten darin die Nichtanstellung älterer Mitarbeitender. An zweiter und dritter Stelle nannten die Unternehmen: «Dies entspricht nicht unserer Personalpolitik» und «Ältere Arbeitnehmende kosten das Unternehmen mehr». Über 50-Jährige würden dieselben Firmen nur beschäftigen, um «den Know-how-Transfer an jüngere Mitarbeitende sicherzustellen» und um «die besonderen Kompetenzen älterer Arbeitnehmer länger nutzen zu können». Rekrutierungsschwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt waren für die Mehrheit jedenfalls kein Kriterium, um ältere Arbeitnehmende zu beschäftigen.

Fachkräftemangel doch ein Mythos?

Damit scheinen viele Unternehmen den Fachkräftemangel als Folge des demografischen Wandels nicht zu bestätigen. Doch können sie es sich noch leisten, ältere Arbeitnehmende ins Aus zu befördern? Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: So umfasste die Altersgruppe der 40- bis 54-Jährigen 2015 mit 1,51 Millionen Menschen etwa 38 Prozent aller Schweizer Erwerbstätigen. Zusammen mit den 55- bis 64-Jährigen stellen sie mit 54 Prozent bereits die Mehrheit der Arbeitnehmenden in der Schweiz. Dabei schreitet die Alterung rasch voran, denn 2015 betrug der Altersdurchschnitt aller Erwerbstätigen 41,6 Jahre, 0,7 Jahre mehr als noch fünf Jahre zuvor. Diese älteren Arbeitnehmenden sind nicht etwa schlecht qualifiziert: 2015 verfügten 32 Prozent von ihnen über einen tertiären Abschluss. Schenkt man den demografischen Szenarien des Bundesamts für Statistik (BFS) Glauben, wird sich der Anteil der Hochqualifizierten dieser Altersklassen bis 2025 sogar auf 40 Prozent erhöhen.

Obwohl zwischen 2005 und 2015 mit 176 000 Stellen keine andere Altersgruppe wie die der über 50-Jährigen von einem so grossen Stellenzuwachs profitieren konnte, vermochte das Stellenwachstum mit der Alterung der Arbeitnehmer nicht Schritt zu halten. So stieg gemäss BFS die Erwerbsquote der über 50-Jährigen zwischen 2005 und 2015 zwar um 5,3 Prozent auf 75,8 Prozent an, dennoch liegt diese deutlich unter der Erwerbsbeteiligung der 25- bis 54-Jährigen, die 91 Prozent beträgt. Auch bei der Arbeitslosenquote zeigt sich ein etwas getrübtes Bild. Zwar waren 2015 nur 3,9 Prozent der 55- bis 64-Jährigen erwerbslos, was unter der Gesamtarbeitslosenquote von 4,5 Prozent liegt, dennoch hat die Arbeitslosigkeit bei älteren Arbeitnehmenden zugenommen: Dies entgegen sinkenden Trends in den OECD-Ländern, wie der Seco-Studie «Indikatoren zur Situation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem Schweizer Arbeitsmarkt» zu entnehmen ist. Zugleich hat sich der Trend zu Frühpensionierungen aufgrund des enger gewordenen Handlungsspielraums der Pensionskassen verringert, weshalb ältere Mitarbeitende bei Restrukturierungen häufiger entlassen als in die Frühpension geschickt werden, wie die Studie ebenfalls festhält. Als primären Grund für die zunehmende Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmender nennen die Autoren die erneute Aufwertung des Schweizerfrankens gegenüber dem Euro.

Unschöne Tatsachen

Je älter ein Erwerbstätiger bei seiner Entlassung sei, desto gefährdeter sei er, über ein Jahr arbeitslos zu sein, so die Autoren. Diese Aussagen unterstreichen auch die Statistiken des BFS: So waren 2015 rund 43 Prozent der Langzeitarbeitslosen über 50 Jahre alt, während 6400 ausgesteuert wurden. Diese unschönen Tatsachen widerspiegeln sich auch in der steigenden Sozialhilfequote dieser Altersklasse, denn diese ist zwischen 2005 und 2014 von 1,9 auf 2,7 Prozent gestiegen. Mit diesen Zahlen gehört die Schweiz bei der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer unter den OECD-Ländern nicht zu den Erstplatzierten. Das zeigt etwa die PwC-Studie «Golden Age Index», die einen Vergleich vornahm, wie verschiedene Länder den demografischen Wandel bewältigen. Darin belegte die Schweiz lediglich den elften Platz, hinter Japan und Korea sowie vor Dänemark.

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Gelänge es, jeden Neurentner nur zwei Monate länger im Arbeitsprozess zu behalten, könnten im Nu 5000 Vollzeitstellen besetzt werden, ohne dass die Unternehmen irgendein Kontingent beanspruchen müssten, kommentiert Jérôme Cosandey von Avenir Suisse in der 2015 erschienen Studie «Altersarbeit in den Kinderschuhen» den Fachkräftemangel. Würde jeder ältere Mitarbeiter um ein weiteres Jahr zu einem Arbeitspensum von 50 Prozent beschäftigt, könnte man sogar 15 000 Stellen besetzen.

Viele Arbeitgeber haben das interne Fachkräftepotenzial jedoch nicht erkannt: So scheiden gemäss des Forschungsberichts 2012 «Altersrücktritt im Kontext der demografischen Entwicklung» des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) immer noch 40 Prozent der Erwerbstätigen vor dem ordentlichen Pensionsalter aus dem Arbeitsleben aus, 20 Prozent werden ordentlich pensioniert und ein Drittel arbeitet über das Pensionsalter hinaus. Diese Personalpolitik schätzt Avenir Suisse als riskant ein. Ab einem gewissen Alter bilde sich ein abrupter Einschnitt, zugleich fehle der Nachwuchs. Um den Fachkräftemangel zu mildern sowie Wissensverluste und Rekrutierungsengpässe zu vermeiden, seien flexible Pensionierungslösungen notwendig.

Am Willen der Mitarbeitenden zur Weiterbeschäftigung liegt es nicht. Viele würden gerne länger arbeiten: Laut der BSV-Studie, in der 1292 Personen zwischen 58 und 70 Jahren befragt wurden, gaben 69 Prozent der Frauen und 57 Prozent der Männer an, sie würden gerne bis zur Pensionierung arbeiten, wenn ein gutes Arbeitsklima herrsche, 68 Prozent der Frauen und 60 Prozent der Männer, wenn sie Freude an der Arbeit hätten sowie 67 Prozent der Frauen und 60 Prozent der Männer, wenn die Arbeit gesundheitlich nicht belastend sei.
Ältere Arbeitnehmende leisten einen Wertschöpfungsbeitrag, gibt sich Avenir Suisse in ihrer Studie überzeugt. Doch damit die Lohnkosten älterer Mitarbeitender gegenüber jüngeren konkurrenzfähig blieben, sei es wenig zielführend, den Lohnanstieg weiterhin an das Alter zu koppeln, was immerhin noch 26 Prozent der Schweizer Unternehmen praktizierten. Ähnlich verhalte es sich mit zusätzlichen Ferienwochen mit steigendem Alter, was die Firmenpolitik von zwei Drittel aller Unternehmen darstelle. Kumulierten sich jedoch altersabhängige Löhne, Sozialbeiträge und Ferienansprüche, könne das die Lohnkos­ten eines 60-Jährigen um über zehn Prozent verteuern, so der Think-Tank.

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Seniorenjobs schaffen

Andererseits seien ältere Mitarbeitende mit den Betriebsabläufen und Prozessen vertraut und im Unternehmen integriert. Mit der Bindung älterer Mitarbeitender erhielten sich die Unternehmen zudem wertvolles Wissen und es sei wenig wahrscheinlich, dass diese Mitarbeiter kündigten. Um das Wissen älterer Mitarbeitender bestmöglich zu nutzen, seien «Seniorenjobs» zu schaffen: Nicht nur für Top-Kader mit akademischem Hintergrund, sondern über alle Hierarchiestufen und Branchen hinweg im Dienstleistungssektor wie in der Industrie. Ältere Mitarbeitende sollten dort eingesetzt werden, wo sie ihre Erfahrung am besten nutzen könnten. Etwa im Offertwesen oder im Kundendienst, wo sie ihr Produktwissen und ihr Kundenverständnis einbringen könnten, oder bei der Instandhaltung älterer IT-Systeme, wo es kostspieliger sei, neue Mitarbeitende für wenig Einsätze auszubilden.

Eine altersneutrale HR-Politik, die allen Mitarbeitenden zugute komme und nicht auf einzelne Mitarbeitergruppen ausgerichtet sei, erhöhe hingegen nicht nur die Chancen älterer Erwerbstätiger zur Weiterbeschäftigung, sondern auch zu deren Neueinstellung.

Buchtipp

Seit langem sind die Folgen des demografischen Wandels bekannt. Mit wenigen Ausnahmen schieben Arbeitgeber und Politik das Handeln jedoch auf die lange Bank, bleiben passiv gegenüber irreversiblen Entwicklungen, lassen kein neues Bild von Alter entstehen und verhindern den Mix der Generationen. Die Auseinandersetzung mit dem Arbeitsmarkt und der Demografie ist komplex. Das Buch «Von der Entdeckung älterer Mitarbeitender» verschafft zusammen mit den Kommentaren des Autors einen Überblick für alle, die sich mit dem Thema Altern im Arbeitsmarkt auseinandersetzen.

Franz Ebner: Von der Entdeckung älterer Mitarbeitender. Verlag Publications.ch, 2015

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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