Die Mischung macht’s
Viele Firmen beklagen sich über den zunehmenden Fachkräftemangel und fokussieren dennoch hauptsächlich auf jüngere Mitarbeitende. Doch es gibt auch andere Beispiele. Wir haben mit drei HR-Chefs über die Vorteile einer altersneutralen HR-Politik gesprochen.
Drei HR-Chefs über die Vorteile einer altersneutralen HR-Politik. (Bild: 123RF)
«Ältere Mitarbeitende stehen mit beiden Beinen im Leben und wissen, was sie können», sagt Sonya Schürmann, HR-Leiterin der Stadt Zug. Daneben schätzt sie deren hohe Motivation und Loyalität. Ähnliche Worte findet Deutschland-Personalchef Frank Zils von Janssen-Cilag, wenn er die Vorzüge älterer Mitarbeitender beschreibt. Als weiterer Pluspunkt kommt für ihn das interne und externe Netzwerk mit Kunden und anderen Stakeholdern hinzu, das sich langjährige Mitarbeitende aufgebaut haben. Wenn sie dieses zu nutzen verstehen, würden sie damit ihre Ziele häufig schneller erreichen als Neueintretende. «Um Probleme zu lösen, hilft die Erfahrung, diese aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten», ergänzt Rolf Fuhrer, HR-Chef der St. Galler Kantonalbank (SGKB). Dazu gehöre, verschiedene Meinungen zu berücksichtigen und die Fähigkeit, eine gewisse Gelassenheit in brenzligen Situationen zu bewahren. Mit diesen Eigenschaften seien viele ältere Mitarbeitende in der SGKB Vorbilder und Sinnstifter für Jüngere. Dass diese die Zusammenarbeit mit den «Seniors» ausserordentlich schätzten, hätten einmal mehr kürzlich durchgeführte Mitarbeiterbefragungen gezeigt.
Altersguillotine
Doch zeigt sich diese Wertschätzung auch bei der Rekrutierung? Alterseinschränkungen à la «bis 35» oder «ab 40», wie sie in Schweizer Stelleninseraten häufig vorkämen, sind bei Janssen-Cilag Deutschland schon aus gesetzlichen Gründen undenkbar. «Diese Angaben verletzen das europäische Antidiskriminierungsgesetz und könnten zu Gerichtsklagen führen», erklärt Deutschland-Personalchef Frank Zils. Alterseinschränkungen entsprächen aber auch nicht der Unternehmenskultur. Deshalb schreibe Janssen-Cilag Stelleninserate ohne Alter und Geschlecht aus. Um angestellt zu werden, muss ein Kandidat vor allem mit seiner Persönlichkeit überzeugen: «Mitarbeitende müssen wissen, was und wie etwas zu tun ist.» Das werde wichtiger, je höher jemand die Karriereleiter erklimme. Etwa dann, wenn es darum gehe, Projekte zusammen mit Mitarbeitenden unterschiedlichster Herkunft und Altersstufen umzusetzen und dabei unternehmensübergreifend zusammenzuarbeiten. «Ich stelle jene Person an, die für die ausgeschriebene Funktion geeignet ist und die benötigten Kompetenzen hat, ungeachtet dessen, ob sie 30 oder 50 Jahre alt ist», beschreibt Rolf Fuhrer seine Rekrutierungsstrategie und verweist auf die Stelleninserate der SGKB, auf denen Mitarbeitende aller Altersgruppen abgebildet sind. Eine sogenannte Altersguillotine kenne auch die Stadt Zug nicht, betont HR-Leiterin Sonya Schürmann. In bestimmten Bereichen stellt sie sogar ausschliesslich erfahrenere Leute ein. Etwa im Bau, wo viele Ingenieure und Architekten bei ihrer Anstellung über 40 Jahre alt sind. «Wenn wir bauen, geht es um risikoreiche Grossprojekte, die viel Geld kosten», so Schürmann. Deshalb müssten Projektleiter über eine ausgewiesene Projekterfahrung verfügen, die sie befähigten, die Kosten realistisch einzuschätzen.
Das «zu teuer»-Todschlagargument
Dem «Zu teuer»-Totschlagargument, dem vielfach höheren Lohn mit steigendem Alter, kommen Fuhrer und Schürmann zuvor, indem sie die Löhne nicht an das Alter koppeln. Bei der St. Galler Kantonalbank sind es die Berufsbilder, die Funktionsbeschreibungen und die damit verbundenen Lohnbandbreiten, die bestimmen. Allerdings seien Letztere so breit, dass sie es einem Mitarbeitenden ermöglichen, in eine andere Funktion zu wechseln, ohne grosse Lohneinbussen zu erleiden. Die Stadt Zug hingegen kennt Klassen und Stufen, in welche die Mitarbeitenden aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer Erfahrung eingeteilt werden. Je nach Leistungsbeurteilung kann sich ein Mitarbeitender pro Jahr etwa um eine Stufe «verbessern». Die Haltung der befragten Organisationen zum Alter ihrer Mitarbeitenden zeigt sich in deren Altersstruktur: So sind rund 22 Prozent der 1234 Mitarbeitenden der St. Galler Kantonalbank über 50 Jahre alt. «Das ist zwar leicht unterdurchschnittlich im Vergleich zu anderen Arbeitgebern, wo dieser bei 25 Prozent liegt», erklärt Rolf Fuhrer. Das habe aber damit zu tun, dass die St. Galler Kantonalbank von den jährlich über 30 Lehrabgängern viele weiterbeschäftige. Das senke den Altersdurchschnitt, welcher derzeit bei 37 Jahren liege. Bei Janssen-Cilag beträgt der Anteil der über 50-Jährigen 33 Prozent und wird sich gemäss Frank Zils weiter erhöhen, wenn die über 50-Jährigen im Unternehmen verbleiben. Bei 770 Angestellten und einem Altersdurchschnitt von 46 Jahren stellen die Ü55 bei der Stadt Zug mit 42 Prozent sogar einen Altersrekord auf. Auch bei der Stadtverwaltung sind es denn auch mehrheitlich die «Langjährigen», die den Altersdurchschnitt erhöhen.
Alterneutrale HR-Politik
Eine altersneutrale HR-Politik besteht für Sonya Schürmann grundsätzlich darin, «ältere Bewerber überhaupt ins Rennen zu lassen». Rolf Fuhrer betont zudem die Wichtigkeit, sämtliche HR-Prozesse von der Gewinnung, der Beurteilung, der Entlöhnung und der Entwicklung bis hin zum Austritt ohne Alterseinschränkungen zu gestalten. «So vermeidet man Diskriminierungen.» Nebst diesen strukturellen Voraussetzungen ist gemäss Frank Zils eine altersneutrale HR-Politik auch Ausdruck einer Denkhaltung: «Die Erfahrungen und Kenntnisse älterer Mitarbeitenden muss man tatsächlich nutzen wollen.» Weitere Aspekte seien, Mitarbeitende generationenübergreifend zu führen, mit ihnen zusammenzuarbeiten sowie allen Mitarbeitenden unabhängig von Alter und Geschlecht Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Letzteres tut Janssen-Cilag für die Ü50-Generation mit dem sogenannten «Silverpreneur-Programm», einem Entwicklungsprogramm für Mitarbeitende mit mehr als 25 Jahren Berufserfahrung, wofür sich Interessierte bewerben können. Die aus unterschiedlichsten Bereichen zusammengewürfelten «jungen 50er» halten nicht etwa Kaffeekränzchen ab, sondern erarbeiten Programme, die das Unternehmen wirklich vorwärtsbringen sollen. Etwa in Form sogenannter «ProMentoring»-Programme, woraus Kaderschulungen zur Führung von Mitarbeitenden unterschiedlichster Generationen entstanden sind. Nicht alle älteren Mitarbeitenden sind gleich, sind sich alle drei Befragten einig. Deshalb sollten «Arbeitsmodelle sich nach der Lebenssituation und der Persönlichkeit eines Mitarbeitenden ausrichten und nicht nach dessen Alter», sagt Zils. «Meist wollen die Älteren gar nicht kürzertreten.» So habe eine Mitarbeiterin, die mit 65 Jahren kurz vor der Pension gestanden habe, angefragt, ob sie länger bleiben könne. «Das war vor drei Jahren. Sie ist mittlerweile 68 Jahre alt und immer noch bei uns beschäftigt.» Dass man nicht alle Mitarbeitenden gleich behandeln sollte, findet auch Rolf Fuhrer: «Karriere machen heisst nicht, einen starren Sprint nach vorne mit Scheuklappen auf den Augen hinzulegen.» Besser gefällt ihm das Bild eines Walzers: «Man dreht sich einmal nach links und einmal nach rechts und sammelt dabei seine Joberfahrungen.»
Flexible Modelle gefragt
Während gewisse Mitarbeiter mit 50 eine Führungsausbildung absolvieren, wollen andere ihre Führungsfunktion abgeben, in einer Stabstelle arbeiten oder in Teilpension gehen. Auch Sonya Schürmann setzt sich für flexible Arbeitsmodelle ein und legt dabei ein besonderes Augenmerk auf «Seniorfunktionen»: Ältere Mitarbeitende, die wollen, sollen ihre Führungsfunktion an jüngere abgeben und in einer Stabstelle oder in einem Teilzeitpensum arbeiten können. Dass eine Führungskraft einen Schritt zurück gehe und wieder eine Bereichsleitung übernehme, sei jedoch ebenfalls denkbar, weil «alle Mitarbeitenden der Stadtverwaltung über vertieftes Fachwissen verfügen und sich weiterbilden».