HR Today Nr. 12/2016: Generation 50+

Das meinen die Coaches

Der Arbeitsmarkt hat sich in den vergangenen Jahren drastisch verändert. Arbeitsuchende der Generation 50+ spüren den Druck besonders stark. Dadurch hat sich auch ein Beratermarkt entwickelt. Mit Erich Weber und Michael Weiss geben zwei Coaches Einblick in ihre Berufspraxis.

Für Erich Weber, der seit bald 25 Jahren als Laufbahncoach ältere Mitarbeitende und Kader unterstützt, markiert das Jahr 2008 den Wendepunkt in der Anstellungspolitik von älteren Mitarbeitenden: «Mit der Finanzkrise haben viele Firmen von heute auf morgen einen Personalstopp ausgerufen.» Die Aufwertung des Schweizer Frankens habe die Situation noch weiter verschärft, denn die Unternehmen stellten die relativ hohen Löhne älterer Mitarbeiter zunehmend in Frage. In diesem Kontext erweise sich das traditionelle Modell des kontinuierlichen Lohnanstiegs mit fortschreitendem Alter als besonders fatal: «Das verteuert die Löhne der älteren Mitarbeitenden noch mehr» und habe dazu geführt, dass diese aufgrund des Spardrucks vermehrt entlassen worden seien.

Auch Michael Weiss, der seit 2013 über 50-Jährige bei der beruflichen Neuorientierung coacht, hält die Lohnkosten oft für ausschlaggebend, wenn Firmen ältere Mitarbeitende einsparen: «Insbesondere, wenn die Geschäftsleitung das Gefühl hat, dass die Leistungen des Mitarbeitenden nicht mehr stimmen.» Vor allem in Grossunternehmen sei dann der Reflex gross, ältere Mitarbeitende nicht weiter zu fördern, sondern ihnen zu kündigen. KMU hielten dagegen deutlich länger an ihren älter werdenden Mitarbeitenden fest, konstatieren die beiden Coaches übereinstimmend.

Die Kosten sind jedoch nicht der einzige Grund, weshalb ältere Angestellte Sparmassnahmen zum Opfer fallen. So sind für Erich Weber viele über 50-Jährige nicht ganz unschuldig an ihrer Situation: «Sie überschätzen sich und halten sich für unersetzlich.» Oft stimme auch ihr Preis-Leistungs-Verhältnis nicht mehr, etwa weil sie sich kaum weitergebildet hätten. Zudem habe über die Jahre die Erstausbildung oft an Wert verloren, ergänzt Michael Weiss. Als Beispiel dafür nennt er einen Maschinenbauer, der zwar über viel Know-how auf älteren Maschinen verfügt, dessen Qualifikationen in der Elektrotechnik aber mangels Weiterbildung nicht mehr den aktuellen Erfordernissen entsprechen. Solche Mitarbeiter würden bei einer technischen Erneuerungsphase durch jüngere ersetzt, die breiter ausgebildet seien.

Es sind jedoch auch strukturelle Veränderungen, die ältere Arbeitnehmer gefährden. «Derzeit werden ganze Führungsebenen ausgedünnt», sagt Michael Weiss. Damit entfielen viele Stellen im mittleren Management, wovon besonders Ü50-Kaderleute betroffen seien. Eine Wahrnehmung, die auch Erich Weber teilt: «Sie fangen zu spät an, sich umzusehen, und treten als Laien auf einem professionellen Arbeitsmarkt auf», so die ernüchternde Feststellung von Erich Weber auf die Frage, weshalb ältere Stellenlose Schwierigkeiten haben, rasch eine neue Stelle zu finden. «Sie setzen sich zu wenig mit den Stellen und den Arbeitgebern auseinander und nehmen kaum Bezug zum Stellenanforderungsprofil.»

Weil viele ältere Arbeitnehmer ihre wirklichen Stärken und ihre Werte nicht kennen würden, falle es ihnen dann enorm schwer, sich richtig zu präsentieren. Es mangle nicht nur an der Selbsterkenntnis, sondern auch am taktischen Vorgehen im Arbeitsmarkt, ergänzt Michael Weiss: «Viele suchen im altbekannten Umfeld, weil sie dort ihr soziales Netzwerk haben.» Das mache sie weniger flexibel, wenn es darum gehe, neue Bewerbungsansätze zu finden, zumal im Bewerbungsprozess heute «hart gesiebt» werde. Gesucht seien «junge, top ausgebildete, preiswerte, mobile und formbare» Mitarbeiter. «Ist der HR-Verantwortliche oder der neue Chef zudem deutlich jünger als der Stellensuchende, finden die Generationen im Vorstellungsgespräch oft schlecht zueinander.»

Um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, müssten ältere Arbeitnehmende davon überzeugt sein, was sie tun wollen, und dies auch überzeugend vermitteln, sind sich Michael Weiss und Erich Weber einig. Daneben sollten ältere Bewerber aber vor allem «sich selbst gegenüber ehrlich sein», so Weber. «Erst dann können sie im Gespräch authentisch auftreten und den Eindruck vermeiden, dass etwas mit ihnen nicht stimmt.» Trotz aller zu überwindenden Bewerbungshindernisse hätten auch über 50-Jährige auf dem Arbeitsmarkt in fast allen Branchen und Hierarchie-Ebenen durchaus Chancen, angestellt zu werden, sofern sie sich mit sehr guten Bewerbungsunterlagen hervortun, sich für passende Stellen «preisgerecht» bewerben sowie mental trainiert und vorbereitet sind.

Dass die Firmen einen Nachteil erleiden, wenn sie keine älteren Arbeitnehmenden beschäftigen, davon sind beide Experten überzeugt: «Ältere Mitarbeitende können Gefahren und Risiken besser einschätzen, zudem kennen sie die Märkte und Kunden», sagt Erich Weber. Damit liessen sich viele Fehlerquellen reduzieren. Etwa jene, am Markt vorbeizuproduzieren. Gemäss Weiss kommt das Erfahrungswissen von älteren Mitarbeitenden besonders in jenen Situationen zum Tragen, «wo Erfahrung, Ruhe und Gelassenheit notwendig sind, um die richtigen Entscheidungen zu treffen und den vielleicht rettenden Handgriff zu betätigen». Beispielsweise im Umgang mit einem schwierigen Kunden im Kundenservice oder bei der Reparatur einer Maschine, die einen Produktionsbetrieb lahmlegt.

Zudem seien ältere Mitarbeiter «nicht mehr so ambitioniert». Das erweise sich für viele Unternehmen als Vorteil, weil sich mit der Verpflichtung älterer Mitarbeiter viele Statuskämpfe vermeiden liessen, in die sich junge ambitionierte Mitarbeiter gerne verwickeln würden, um ihre Position im Unternehmen zu sichern. Dabei gehe viel Energie verloren. «Energie, die ältere Mitarbeitende lieber investieren, um eine Sache voranzubringen.»

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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