«Eine Art von Bevormundung»
Einmal arbeitslos, haben es ältere Arbeitnehmende nachweislich schwerer, im Arbeitsmarkt wieder Fuss zu fassen. Doch wie erlebt ein Betroffener die Situation? Der ehemalige HR-Chef von Alstom Schweiz, Peter Leutwiler, gibt im Interview offen Auskunft.
Einmal arbeitslos, haben es ältere Arbeitnehmende schwerer, im Arbeitsmarkt wieder Fuss zu fassen. Die Sicht eines Betroffenen. (Bild: 123RF)
Peter Leutwiler, Gründer, HRM Quant.
Herr Leutwiler, Sie haben fast zehn Jahre bei Alstom gearbeitet und waren HR-Leiter, als Ihnen nach verschiedenen Restrukturierungen gekündigt wurde. Wie haben Sie die Situation erlebt?
Peter Leutwiler: Meine Entlassung kam für mich nicht überraschend, da einige Wochen zuvor bereits der Präsident der Firma gehen musste. Man begründete diese Kündigungen mit der Absicht, in der Schweiz eine neue Firmenkultur schaffen zu wollen. In der Folge mussten weitere Geschäftsleitungsmitglieder ihren Sessel räumen. Bei meinem Abgang war ich 54 Jahre alt. Ich hatte einen riesigen Erfahrungsschatz in meinem Rucksack. Also kein Problem für eine Anschlusslösung – dachte ich. Es gab ja viele offene Stellen auf dem Markt und ich hatte noch mindestens elf Arbeitsjahre vor mir. Da ich ja bei Alstom selbst auch über 60-Jährige eingestellt hatte, war das Alter für mich einfach kein Thema. Klar, hatte ich davon gelesen, dass es für ältere Arbeitnehmende schwieriger werden könnte, aber ich fühlte mich davon nicht betroffen. Ich merkte dann aber schnell, dass man auf dem Arbeitsmarkt nicht auf ältere, erfahrene Personaler gewartet hatte.
Woran zeigte sich das?
Ob die längere Stellensuche eine Folge meines Alters war, ist schwierig zu beweisen, in manchen Fällen bin ich aber überzeugt, dass es der Grund für die Absage war. Üblicherweise wurden in den Absagen die Begriffe «überqualifiziert» oder «zu teuer» genannt, ohne dass die Rekrutierer nur einmal nachgefragt hätten. Wenn man in einem Grossunternehmen in einer höheren Kaderposition war, scheint es für viele nicht nachvollziehbar, dass man mit viel Elan zu einem tieferen Lohn in einem KMU arbeiten könnte. Das wird einem einfach nicht geglaubt. Dann wird aufgrund von solchen Mutmassungen über eine Nichtanstellung entschieden. Das ist eine Art von Bevormundung. Wenn es dann doch zu Vorstellungsgesprächen kam, sassen mir manchmal 25- bis 30-jährige Recruiter gegenüber, die gerade erst ihr Studium abgeschlossen hatten und über wenig Berufs- und Lebenserfahrung verfügten. Für eine erfolgreiche Rekrutierung braucht es neben fundiertem Fachwissen jedoch auch Lebenserfahrung und Menschkenntnisse. Daher stellt sich für mich die Frage, inwiefern Rekrutierungsabteilungen heute richtig aufgestellt sind.
Wie gingen Sie mit dieser Situation um?
Um ehrlich zu sein, ich war überrascht und auch frustriert! Ich stellte mir mehrfach die Frage, wie es sich die Wirtschaft heute noch leisten kann, auf so viel Fachwissen und Erfahrung zu verzichten. Eine Antwort darauf habe ich bis heute nicht gefunden, denn bekanntlich herrscht ja seit Jahren ein Fachkräftemangel. Die gute Nachricht ist, dass spätestens ab 2020 aufgrund der demografischen Entwicklung der wirkliche War for Talents einsetzen wird und dann auch ältere Talente wieder umworben werden.
Inwiefern haben Sie bei Ihrer Stellensuche Unterstützung gesucht und erhalten?
Meine Austrittsvereinbarung beinhaltete ein sechsmonatiges Outplacement. Gerade für Menschen mit fortgeschrittener Erfahrung und wenigen Stellenwechseln braucht es eine solche Begleitung. Es hilft, seine Bewerbungsunterlagen auf den aktuellen Stand zu bringen, gibt mit der Tagesstruktur einen Halt und auch ein soziales Umfeld. Als ehemaliger Personalchef brauchte ich keine fachliche Unterstützung. Persönlich haben mir die Gespräche mit der Outplacement-Beraterin aber geholfen zu verstehen, was auf dem Arbeitsmarkt gerade so läuft, und wir haben gemeinsam neue Optionen entwickelt, die schliesslich zum Erfolg geführt haben.
Wo stehen Sie heute?
Nach zwei befristeten Projekten im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) und einer weiteren Festanstellung in einem Industriekonzern habe ich mit 60 Jahren entschieden, nochmals etwas Neues anzufangen, und mit HRM Quant eine eigene Firma gegründet. Ich berate mittelständische Firmen im Personalmanagement, denn ich bin überzeugt, dass auf diese Firmen schwierige Zeiten zukommen werden. Einerseits aufgrund der demografischen Entwicklung und dem damit verbundenen verstärkten Fachkräftemangel, andererseits wegen der Industrie 4.0 mit auslaufenden und neuen Berufsbildern sowie der Entwicklung hin zu agilen Organisationsformen, nicht zuletzt aber eben auch in Bezug auf das Generationenmanagement. Diese massiven Veränderungen erfordern Fachwissen und zusätzliche Kapazitäten und sind nicht nebenbei erfolgreich zu bewältigen.
Was würden Sie anders machen, wenn Sie die Uhr zurückdrehen könnten?
Vermutlich nichts! Ich bin mit meiner beruflichen und privaten Situation sehr zufrieden, das HRM ist und bleibt meine Passion. Ich habe nun zum Schluss meiner Karriere als Berater ein Arbeitsumfeld, das mir weit über die Pensionsaltersgrenze hinaus Sinnhaftigkeit gibt, und eine Arbeitsform gefunden, die mir die lang gesuchte Life-Balance ermöglicht.