Im Reisefieber
Durch einen zerplatzten Traum entdeckte André Lüthi vor über 30 Jahren seine Leidenschaft fürs Reisen. Heute ist er CEO der Globetrotter Group und möchte Leute in seinem Unternehmen, die ebenfalls fürs Reisen brennen. Sie alle können deshalb jedes Jahr sieben Wochen unbezahlte Ferien nehmen.
«Wir sprachen vor allem die Alternativen an, die mit dem Rucksack, den Birkenstöcken und dem Joint im Mund – einer von denen war ich damals auch»: André Lüthi, CEO, Globetrotter Group. (Bild: HR Today)
«In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst.» Dieses Motto zieht sich durch das Leben von Globetrotter-CEO André Lüthi. Dass in ihm die Leidenschaft fürs Reisen lodert, ist deutlich spürbar: Der Mann war am Nordpol, vier Mal in Nordkorea und 46 Mal in Nepal. Mit dem «Reisevirus» infiziert hat sich Lüthi bereits in jungen Jahren. Alles begann mit einem zerplatzten Traum.
Lüthi wächst in einfachen Verhältnissen auf und setzt schon früh auf die Karte Spitzensport: «Ich war Ringer – mein Ziel waren die olympischen Spiele.» Um dieses Ziel auch neben seiner Ausbildung verfolgen zu können, entscheidet er sich, eine Berufslehre als Bäcker-Konditor zu machen: «Ich bin am Morgen früh aufgestanden und konnte am Nachmittag trainieren.» Als Lüthi 19 ist, «geht alles in die Brüche»: Für den Spitzensport reicht es nicht – «ich war zu wenig gut». Die harte Erkenntnis: «Ich hatte im Sport nicht reüssiert und zudem den falschen Beruf gelernt.»
Entflammte Reise-Leidenschaft
Zwei Jahre später trifft Lüthi eine Entscheidung, die sein Leben nachhaltig verändern sollte. Wir schreiben das Jahr 1982, China hat gerade zaghaft begonnen, sich gegenüber dem Westen zu öffnen. Am Bahnhof in Bern verlangt André Lüthi ein «One-Way-Ticket nach Peking». Trotz ungläubiger Blicke am Bahnschalter hält er dieses einen Monat später tatsächlich in den Händen. Er fährt von Bern nach Moskau, dann mit der transsibirischen Eisenbahn durch Sibirien und die Mongolei bis Peking. Weil er sich Zeit lässt, ist Lüthi neun Monate in Asien unterwegs.
Als Lüthi zurück in der Schweiz ist, führt die so entflammte Leidenschaft fürs Reisen dazu, dass er bei Baumeler Reisen eine Stelle als Sachbearbeiter antritt. 1987 – drei Jahre später – stösst er zu Globetrotter Travel Services – damals ein kleines Unternehmen mit zehn Mitarbeitenden. «Wir sprachen vor allem die Jungen an – die Alternativen, die mit dem Rucksack, den Birkenstöcken und dem Joint im Mund», erzählt Lüthi und fügt schmunzelnd hinzu: «Einer von denen war ich damals auch.» Er sei aber schon damals überzeugt davon gewesen, dass die Reiseform, die Globetrotter nach dem Motto «selbst die Welt entdecken, aber gut beraten» anbietet, auch für ein breiteres Publikum interessant sein könnte: «Für Familien, für ältere Menschen und auch für Leute, die im Hotel und nicht in der Jugi übernachten wollen.»
In jenen Anfangszeiten habe er viele Gespräche mit dem Globetrotter-Gründer Walter Kamm geführt, erinnert sich Lüthi. «Ich habe ihm gezeigt, dass ich gerne anpacke und die Verantwortung übernehme, um etwas zu verändern.» Im Gegenzug erntet er grosses Vertrauen: 1989 wird Lüthi zum Leiter der Globetrotter-Filiale in Bern ernannt – und bereits drei Jahre später zum CEO der Globetrotter Travel Services, die damals vier Filialen umfasste. «Danach folgten 20 Jahre Aufbauarbeit. Hier eine Filiale, dort eine Filiale, Sportreiseabteilung, Geschäftsreiseabteilung – so habe ich mit einem tollen Team die Firma aufgebaut. Aus dem Bauch und aus der Leidenschaft heraus.»
Nummer vier der Reisebranche
Unter Lüthis Führung wird Globetrotter immer grösser. 2009 baut er das Unternehmen zu einer Holding um und beginnt, Unternehmen zu kaufen, die Nachfolgefragen haben. «Mit diesem Ansatz versuchen wir, verschiedene touristische Nischen zu bedienen.» Seit 2012 führt Lüthi als CEO der Globetrotter Group die Holding. Seinen vorherigen Posten als CEO der Globetrotter Travel Services gibt er an Dany Gehrig ab.
André Lüthi ist stolz darauf, was aus Globetrotter entstanden ist: Das kleine alternative Reiseunternehmen von damals umfasst heute 14 Firmen, hat rund 430 Mitarbeitende und ist in der Schweiz die Nummer vier der Reisebranche – nach Kuoni, Hotelplan und Tui. «Zum Erfolg braucht es immer auch Glück», sagt er. «Und ich glaube, ich hatte das Glück, die richtigen Menschen zusammenzuführen.»
Zur Person
André Lüthi (57) wächst in Schmitten (FR) in einfachen Verhältnissen auf. Sein Vater arbeitet als Eierhändler. Lüthi entscheidet sich für eine Lehre als Bäcker-Konditor und strebt eine Spitzensport-Karriere als Ringer an. Nach Abschluss seiner Ausbildung macht Lüthi 19-jährig eine neunmonatige Reise.
1984 steigt er als Sachbearbeiter bei Baumeler Reisen in die Reisebranche ein. Er absolviert ein Studium zum eidg. dipl. Tourismusexperten und beginnt 1987 eine steile Karriere bei Globetrotter Travel Services. Er steigt vom Reiseberater zum Filialleiter und 1992 zum CEO auf. In den folgenden zwanzig Jahren baut er das Unternehmen stark aus. 2009 gründet er mit Globetrotter-Gründer Walter Kamm die Holding Globetrotter Group. Seit 2013 ist Lüthi Verwaltungsratspräsident von Globetrotter Travel Services und CEO der Holding.
2010 wird André Lüthi mit dem «Travel Manager Personality Award» als Branchenpersönlichkeit des Jahres ausgezeichnet. 2012 erhält er den Unternehmerpreis «Entrepreneur of the Year» in der Kategorie Dienstleistungen und Handel von Ernst & Young. 2017 wird Lüthi «für eine kontinuierliche, authentische und überzeugende» Kommunikation mit dem Berner Kommunikationspreis ausgezeichnet.
Lüthi lebt von seiner Frau getrennt und hat einen Sohn (16) und eine Tochter (18).
Vertrauen und Ungeduld
Apropos Menschen: Wie muss man sich die Organisation der Gruppe vorstellen? Alle 14 Firmen der Globetrotter Group haben eigene CEOs, die jeweils André Lüthi rapportieren. Zum Kader dieser CEOs gehört in einigen der Firmen auch HR. So auch in der grössten Firma der Holding, der Globetrotter Travel Services mit 260 Mitarbeitenden. HR-Leiterin ist Sybille Spengler, die zwei Mitarbeitende hat. In seinen monatlichen Meetings mit den CEOs – die ihrerseits eng mit ihren HR-Verantwortlichen zusammenarbeiten – bekommt Lüthi viele HR-Themen mit: «Die entscheidenden Sachen besprechen wir in diesen Meetings: Anpassung des Lohns, Veränderung des Spesenreglements, Veränderung der Arbeitszeiten, Ferienregelungen, Lehrlingsausbildung.»
Stark beschäftigt ist Lüthi in seinem Alltag mit Führungsthemen: «Ich sehe es als meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer fit bleiben», erklärt er. «Ich coache sie, betreue sie – und wenn ein CEO in Pension geht, muss ich einen neuen suchen.» Das sei in den letzten sieben Jahren fünf Mal der Fall gewesen. Ebenfalls ein wichtiges Thema ist für André Lüthi die Konsolidierung der Gruppe. «Wir möchten hinter den Kulissen Synergien schaffen.»
So sollen die Firmen etwa auf der gleichen IT-Plattform arbeiten, gleiche Finanzbuchhaltungs-Strukturen nutzen, im Einkauf zusammenarbeiten und mit Cross-Marketing-Abkommen operieren. Die Herausforderung dabei: «Gegen aussen ist jede Firma eigenständig, mit ihrem Profil, ihrem Leitbild, ihrer Identität. Ich möchte Synergien schaffen, und die Firmen trotzdem ihre Identität bewahren lassen. Nicht reinreden und trotzdem zusammenarbeiten.»
Diese Einstellung lasse sich auch übertragen auf seine Zusammenarbeit mit den einzelnen CEOs: «Die Herausforderung ist, den Leuten Vertrauen und Freiheit zu geben – und doch zu spüren, wann es wichtig ist, zu steuern.» Wenn er mit den richtigen Menschen zusammenarbeite, könne er ihnen schnell vertrauen. Das zählt Lüthi zu seinen Stärken. Wer als Führungsperson das Gefühl habe, immer alles wissen, entscheiden und kontrollieren zu müssen, «ist entweder nicht geeignet als Führungsperson oder hat nicht die richtigen Leute gefunden, denen er vertrauen kann». Kontrollfreaks sollten sich in Lüthis Augen überlegen, ob sie überhaupt Chef sein wollen – «und nicht bloss Chef sein, weil es auf dem Visitenkärtli und dem Lohnkonto gut aussieht».
Eine weitere Stärke von Lüthi: Er sieht sich als Schnelldenker und Umsetzer. Dass er die Dinge selbst in die Hand nimmt, zeigte sich auch in der Tsunami-Krise von 2004. Mit einem der ersten Jets der Schweizerischen Rettungsflugwacht Rega flog Lüthi mit nach Thailand, um vor Ort Hilfe zu leisten. «Wenn ich etwas will, dann mache ich es», sagt er. «Dafür brauche ich nicht einen Businessplan, 27 Reportings und zwei Abklärungen.»
Mit dieser Stärke einher geht auch eine Schwäche, die Lüthi selbst als «ganz schlimm» bezeichnet: seine Ungeduld. «Da können Sie meine Assistentin fragen, die mich seit 20 Jahren kennt.» Er versuche sich zu verbessern, «aber ich bringe es nicht weg». Es helfe aber, authentisch zu sein. Seine Leute würden ihn kennen und wüssten seine Ungeduld einzuordnen, à la: «Achtung, der Helikopter kommt – wir warten mal, bis er gelandet ist.» Und manchmal müsse er auch über sich selbst lachen.
Keine Work-Life-Balance
André Lüthi hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. «Deshalb habe ich heute auch keine Work-Life-Balance. Ich habe eine Life-Balance.» Für ihn würden Arbeit, Leidenschaft, Hobby, Führen und Reisen verschmelzen. Bringt diese Vermischung von Beruf und Privatleben auch Abgrenzungsschwierigkeiten mit sich? «Nein, überhaupt nicht», sagt Lüthi. «Ich habe kein Problem damit, an einem Sonntag einen Text zu schreiben oder ein Mail zu beantworten. Aber ich habe auch kein Problem damit, an einem sonnigen Mittwochmorgen die Tourenski hervorzunehmen und auf eine Skitour zu gehen.» Schnell fügt er hinzu: «Das ist natürlich ein Privileg. Wenn das alle meine Leute so handhaben würden, wäre es nicht gut.»
Die Möglichkeit zu reisen haben die Globetrotter-Mitarbeitenden allerdings auch – satte zwölf Wochen im Jahr. Fünf davon seien bezahlt, sieben könnten sie zusätzlich unbezahlt nehmen. «Wir wollen Leute, die fürs Reisen brennen, und wir möchten ihnen die Möglichkeit geben, diese Leidenschaft zu leben.» Das wirke sich positiv auf die Firma aus, verlange dem HR aber einiges ab: «Weil aufgrund unseres Konzepts immer jemand auf Reisen ist, haben wir etwa 35 Stellen ‹zu viel›.» Für das HR bedeute dies zweifellos mehr Aufwand und mehr Administration. «Aber die Investition lohnt sich enorm.»
Selbst reist André Lüthi etwa acht bis zehn Wochen im Jahr. Geschäftlich und privat unterscheidet er auch hier nicht. «Es ist immer ein bisschen von beidem – egal, ob es sich nun um eine Spezialreise, eine Reise mit Journalisten oder eine Reise mit meinen Kindern handelt.» Lüthi hat einen 16-jährigen Sohn und eine 18-jährige Tochter. «Ich mache jedes Jahr mit einem der beiden eine Reise.» Ein Ritual, das er jeder Führungsperson empfehle. Ob mit der Harley durch die USA oder mit dem Jeep durch Australien oder Namibia: Das sei echte «Papazeit».
Globetrotter Group
Die Globetrotter Group bildet das Dach für die 14 angegliederten Firmen. Die unterschiedlichen Unternehmen sind eigenständig und operieren mit eigenen Geschäftsleitungen. Die Gruppe beschäftigt rund 430 Mitarbeitende und erwirtschaftete 2016 einen Umsatz von 265 Mio. Franken.