Interne Untersuchungen
Stehen Vorwürfe im Raum – etwa bei sexueller Belästigung – sind Unternehmen dazu angehalten, diese Vorfälle intern zu untersuchen. Um Stolperfallen dabei bestmöglich zu umgehen, sind einige Punkte zu beachten.
«Der mit einem Vorfall konfrontierte Arbeitgeber muss von Anfang an die richtigen Weichen bei einer internen Untersuchung stellen», gibt Rechtsanwalt Michael Daphinoff zu bedenken. (Illustration: Jonas Raeber)
Eine interne Untersuchung ist eine private Untersuchung innerhalb eines Unternehmens, das einen spezifischen Vorfall zum Gegenstand hat. Um einen Sachverhalt zu klären, werden namentlich Arbeitnehmer befragt und elektronische sowie physische Daten ausgewertet. Darauf basierend wird ein Abschlussbericht verfasst, in dem der Sachverhalt festgehalten und rechtlich gewürdigt wird und Schlussfolgerungen oder Empfehlungen abgegeben werden.¹
Dabei ist der Sachverhalt aus einer objektiven Sicht aufzuklären. Je unabhängiger eine interne Untersuchung ist, desto mehr Glaubwürdigkeit geniessen die Resultate. Deshalb sollte ein Unternehmen externe Spezialisten wie Anwälte beiziehen. Besonders dann, wenn dem Unternehmen das nötige Know-how fehlt oder es sich um komplexe Fälle handelt.²
Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
Richtschnur für den Arbeitgeber bildet die allgemeine Fürsorgepflicht (Art. 328 OR), die besagt, dass der Arbeitgeber die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers zu wahren und seine Rechte gegenüber dem Arbeitnehmer schonend auszuüben hat.³ Der Umfang der Fürsorgepflicht ist im Einzelfall nach Treu und Glauben zu bestimmen, was eine Interessenabwägung voraussetzt.⁴ Generell können aber folgende Eckpunkte festgehalten werden:
- Der Arbeitgeber muss bei Verdacht auf eine strafbare Handlung innerhalb des Betriebs sorgfältige, umfassende Abklärungen treffen, bevor er zu Disziplinarmassnahmen greift (beispielsweise einer Kündigung).⁵
- Der Arbeitgeber hat bei einer internen Untersuchung dafür zu sorgen, dass keine Vorverurteilung oder Rufschädigung erfolgt. Diskretion, Sachlichkeit und Schnelligkeit sind zentral. Zu vermeiden ist insbesondere, dass vertrauliche Untersuchungsdaten im Unternehmen breit zirkulieren.
- Bei überwiegenden Interessen des Arbeitgebers kann – je nach Fall und zeitlich beschränkt auf die Anfangsphase – eine heimliche Untersuchung zulässig sein, damit die Untersuchung beispielsweise nicht vereitelt wird.
- Der Arbeitgeber muss den verdächtigten Arbeitnehmer aber im Laufe der Untersuchung zwingend anhören.⁶
- Zudem hat der Arbeitgeber dem betroffenen Arbeitnehmer bei der internen Untersuchung Gelegenheit zur Wahrnehmung seiner Verteidigung zu geben. Was darunter genau zu verstehen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.⁷
- Eine effektive Verteidigung setzt jedenfalls voraus, dass der Arbeitgeber dem betroffenen Arbeitnehmer mindestens die Grundzüge der Vorwürfe vor der Befragung bekannt gibt.⁸ Zudem muss dem Arbeitnehmer in der Untersuchung die Möglichkeit eingeräumt werden, entlastende Beweismittel zu bezeichnen.⁹
- Der Arbeitnehmer ist sodann über den Zweck der internen Untersuchung aufzuklären sowie darüber, wie und wo die Resultate der Befragung Verwendung finden sollen.¹⁰
- Dem Arbeitnehmer ist auf Verlangen Einsicht in die ihn betreffenden Untersuchungsakten zu gewähren.¹¹ Während einer laufenden Untersuchung besteht jedoch die Möglichkeit, die Einsicht zu verweigern, um die Untersuchung nicht zu gefährden. Nach der abgeschlossenen Untersuchung ist eine generelle Verweigerung in der aber Regel nicht zulässig.
- Ob der Arbeitnehmer einen Anspruch darauf hat, sich bei der Befragung durch eine Vertrauensperson wie einen Anwalt begleiten zu lassen, ist umstritten. Nach der hier vertretenen Auffassung kann ein Anspruch auf einen Beistand nicht generell bejaht werden.¹² Je schwerer die Vorwürfe sind, umso eher dürfte der Anspruch auf eine Begleitung jedoch gegeben sein.¹³
- Eine weitere hochumstrittene Frage ist, ob der Arbeitnehmer bei internen Untersuchungen ein Schweigerecht hat und ob der Arbeitgeber diesen darauf hinweisen muss. Grundsätzlich ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber über alle wesentlichen Aspekte seiner Arbeitstätigkeit wahrheitsgetreu, vollständig und von sich aus zu berichten.¹⁴ Dazu zählen auch Mitteilungen über eigene Verfehlungen. Für ein Recht auf Aussageverweigerung besteht im Arbeitsrecht keine gesetzliche Grundlage.¹⁵
- Das Vorenthalten der Vorwürfe oder Drohkulissen, um den Arbeitnehmer zu einem Geständnis zu bewegen, sind zu unterlassen. Ebenfalls zu unterlassen sind übertriebene Handlungen wie das Einsperren von Arbeitnehmern bis zur Befragung, Kontaktverbote oder die Durchsuchung der Privatwohnung. Derartige Handlungen könnten strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.¹⁶
Wichtig: gute Planung
Eine durchdachte Planung ist entscheidend. Der mit einem Vorfall konfrontierte Arbeitgeber muss von Anfang an die richtigen Weichen bei einer internen Untersuchung stellen. Er muss sich unter anderem überlegen, ob er eine interne Untersuchung durchführen muss, wen er damit beauftragt, was der Untersuchungsumfang sein soll und was der Zweck der Untersuchung ist. Schon zu Beginn ist auch an Detailfragen zu denken. Beispielsweise, inwiefern das Anwaltsgeheimnis gedeckt ist, wenn externe Anwälte mit der Untersuchung beauftragt werden, oder ob Aussagen aus der internen Untersuchung in einem nachgelagerten Strafverfahren verwertet werden dürfen. Interne Untersuchungen durch den Arbeitgeber kommen heute immer häufiger vor und können für den Arbeitnehmer wie für den Arbeitgeber einschneidende Folgen haben. Es ist deshalb wichtig zu wissen, was es zu berücksichtigen gilt, um eine Untersuchung korrekt und ohne Reputationsschaden durchzuführen.
Quellen:
- ¹Michael Mráz, Kuckuckseier im Strafprozess «Interne Untersuchungen», forumpoenale 2S/2020, S. 170.
- ²Romerio/Bazzani/Groth, Interne und regulatorische Untersuchungen, in: Romerio/Bazzani (Hrsg.), Interne und regulatorische Untersuchungen, 2015, S. 63 ff.
- ³BSK-OR I Portmann/Rudolph, 6. Aufl. 2015, Art. 328 N 3 f.; BGE 132 III 115, E. 2.2.
- ⁴BK OR Rehbinder/Stöckli, Art. 319–330b OR, Bern 2010, Art. 328 N 2.
- ⁵4A_694/2015 vom 4. Mai 2016, E. 2.3 f. und 4.2.
- ⁶Portmann/Dobreva, Abklärungs- und Anhörungspflichten des Arbeitgebers vor ordentlichen und ausserordentlichen Verdachtskündigungen, ARV 2016, S. 95 f.
- ⁷4A_694/2015 vom 4. Mai 2016, E. 2.4.
- ⁸Portmann/Dobreva, a.a.O., S. 99.
- ⁹OGer ZH, Urteil vom 8.2.2017, UE160149., E. 7.2.
- ¹⁰Othmar Strasser, Interne Untersuchungen: Compliance im Spannungsfeld zwischen Verwaltungsrat, Geschäftsleitung und Mitarbeitenden, in: Susan Emmenegger (Hrsg.), Banken zwischen Strafrecht und Aufsichtsrecht, 2014, S. 279.
- ¹¹Roger Rudolph, Interne Untersuchung durch den Arbeitgeber: Zulässigkeit und Grenzen, ARV 2018, S. 38.
- ¹²Ähnlich auch Streiff / von Kaenel / Rudolph, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319–362 OR, 7. Auflage 2012, N 8 zu Art. 328b OR.
- ¹³Portmann/Dobreva, a.a.O., S. 99.
- ¹⁴Portmann/Rudolph, a.a.O., Art. 321a N. 12.
- ¹⁵Roger Rudolph, a.a.O., ARV 2018, S. 37 f.
- ¹⁶ Roger Rudolph, a.a.O., ARV 2018, S. 32 f.