Kompetenzentwicklung wird mehr und mehr zur Privatsache
Dass Wissen für Unternehmen eine strategische Ressource darstellt, ist kaum bestritten. Doch was bedeutet dies für den Umgang mit den Wissensarbeitern? In welchem Umfang kümmern sich die Arbeitgeber um Weiterbildung und Kompetenzentwicklung? Eine Antwort auf diese Frage gibt eine aktuelle Studie – sie lautet: womöglich zu wenig. Damit gefährden sie die Loyalität der Wissensarbeiter.
Wie wichtig ist die Ressource Wissen für Unternehmen? Die Ergebnisse einer Studie¹, für die über 1200 Wissensarbeiter und Führungskräfte im deutschsprachigen Raum befragt worden sind, lassen auf einen sich weitenden Graben in der Einschätzung von Führungskräften und Fachkräften schliessen. Zwar halten beide die Wissensarbeit für eine wichtige Ressource, aber schon bei der Einschätzung des Umsetzungsgrades im Unternehmen scheiden sich die Geister markant: Während 63 Prozent der befragten Führungskräfte der Meinung sind, Wissensarbeiter hätten in ihrem Unternehmen eine herausragende Bedeutung und würden stärker gefördert als andere Mitarbeitergruppen, glaubt ein genauso hoher Anteil der befragten Fachkräfte, sie würden keine besondere Behandlung erfahren. Ein Drittel der Fachkräfte ist gar der Meinung, Wissensarbeit werde in ihrem Unternehmen nicht entsprechend ihrem strategischen Potenzial genutzt. Besonders zu denken sollte dabei geben, dass sich dieser Graben im Vergleich zu einer entsprechenden Befragung im Jahr 2013 sogar noch vergrössert hat.
Generalisten statt thematische Tiefbohrer
Einig sind sich Führungs- und Fachkräfte, dass durch die Digitalisierung und die Verbreitung agiler Methoden der Grad der Spezialisierung in der Wissensarbeit zunimmt. Dies mag zunächst sinnvoll erscheinen, doch geht dabei die nachhaltige Entwicklung der Mitarbeiter vergessen. Mit Blick auf die Kompetenzentwicklung der Wissensarbeiter birgt diese Entwicklung gar beträchtliche Risiken: Im Ergebnis sind die Mitarbeiter in ihrem Spezialgebiet zwar hochqualifiziert, ihre Beschäftigungsfähigkeit sinkt hingegen, wenn sie über Jahre hinweg als Themenspezialisten tätig sind. Aber auch für die Unternehmen selbst ist diese Entwicklung riskant, fördert sie doch das Silodenken und verhindert Innovation.
Um sich im digitalen Wettbewerb zu behaupten, sind vielmehr fachgebietsübergreifende Kenntnisse und Erfahrungen gefragt. Genau dies hatte auch unsere letztjährige empirische Erhebung zu den gefragten Kompetenzen für die Digitalisierung ergeben: Nicht thematische Tiefbohrer sind gefragt, sondern Generalisten, die über ihren fachlichen Tellerrand blicken und Themen gut umsetzen. Doch für den Aufbau der gewünschten Kompetenzen fehlen meist sowohl die Zeit als auch der Rahmen.
Bedenklicher Trend
Dass hier einiges im Argen liegt, zeigt die Tatsache, dass zwar noch magere 30 Prozent der Führungskräfte angeben, in ihrem Unternehmen würden die Zeitbudgets der Wissensarbeiter zur Kompetenzentwicklung ausgebaut, jedoch nur noch 15 Prozent der befragten Fachkräfte diesen Befund auch bestätigen.
Diese unterschiedliche Wahrnehmung deutet darauf hin, dass viele Verlautbarungen von den Wissensarbeitern als «Papiertiger» angesehen werden. Pro forma werden Zeiten für die Kompetenzentwicklung zugesprochen – bei der praktischen Umsetzung jedoch sind die Wissensarbeiter angehalten, dem operativen Geschäft Vorrang einzuräumen.
Der hieraus entstehende Trend stimmt bedenklich: Kompetenzentwicklung wird zusehends zur Privatangelegenheit der Wissensarbeiter. Zwei Drittel sowohl der Führungs- als auch der Fachkräfte sind der Meinung, dass bei Investitionen in die Kompetenzentwicklung primär die Wissensarbeiter in der Pflicht stünden.
Weiterbildung als Privatsache
Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn nach der Verantwortung für die Suche geeigneter Weiterbildungsangebote gefragt wird. Schliesslich sehen ganze 42 Prozent der Führungskräfte und selbst 29 Prozent der Fachkräfte Lernen und Vernetzen als Freizeitangelegenheit an. Und so kommt es, dass jede sechste Fachkraft ihre Themen in der Freizeit weiterentwickelt und beinahe jede zweite auf eigene Kosten in die eigene Weiterbildung investiert, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden.
Loyalität der Wissensarbeiter sinkt
Für die Unternehmen mag das Abwälzen der Verantwortung für die Kompetenzbildung auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen. Doch die Kehrseite der Medaille: Über kurz oder lang sinkt die Loyalität der Wissensarbeiter ihren Arbeitgebern gegenüber. Dass Fachkräfte schon heute in grosser Mehrheit schneller Regeln übertreten, um ihre Themen zu treiben, als dass sie dafür auf Boni und andere finanzielle Anreize verzichten, gibt zu denken.
Zudem hat die Befragung gezeigt, dass sich immerhin jeder zweite Wissensarbeiter eher seinen Themen verbunden fühlt als seinem Unternehmen – und zu einem Unternehmenswechsel bereit wäre, um sich fachlich weiterzuentwickeln. Allerdings glaubt auch nur jeder zweite Wissensarbeiter, dass er in seiner Position nur schwer durch andere zu ersetzen wäre. Interessanterweise wähnen die Führungskräfte in teilweise deutlicher Mehrzahl die Fachkräfte am längeren Hebel (siehe Abbildung).
Die Unternehmen können sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Es genügt nicht, Wissensarbeitern mehr Lern-, Austausch- und Vernetzungszeit auf dem Papier zuzugestehen. Vielmehr sollten Aufgabenzuteilung und Anreizsysteme so gestaltet sein, dass Wissensarbeiter im Rahmen ihrer täglichen Arbeit ihre Kompetenzen weiterentwickeln können.
Neue Schlüsselkompetenzen gefragt
Zudem sollten Wissensarbeiter und Unternehmen den Risiken einer noch tieferen Spezialisierung für die Beschäftigungsfähigkeit der Wissensarbeiter entgegenwirken. Abhilfe könnte die zeitweise Arbeit in anderen Abteilungen, an Projekten mit hoher thematischer Vielfalt und mit Externen schaffen.
Solche Lernumgebungen könnten helfen, das Kompetenzspektrum zu erweitern, Silodenken abzubauen sowie Lernen zu lernen – eine Schlüsselkompetenz in der digitalen Welt.
Quellen:
- ¹«Wissensarbeit im Wandel – Neue Spannungs- und Handlungsfelder», eine gemeinsame Studie der Gesellschaft für Wissensmanagement (GfWM), der Hays AG und des Beratungsunternehmens PAC. www.hays.ch/studien