HR Today Nr. 1&2/2020: Personalentwicklung

«Man kann den Mitarbeitenden das Lernen nicht abnehmen»

Nicht alle Arbeitnehmenden werden von Arbeitgebenden gleichermassen gefördert. Das hat einen gesellschaftlichen Preis. Wir haben uns mit Raphael Golta, Vorsteher des Sozialdepartements der Stadt Zürich, über Verantwortlichkeiten zur Arbeitsmarktfähigkeit unterhalten.

Herr Golta, Firmen scheinen nur wenig in Geringqualifizierte zu investieren. Wie beurteilen Sie das als Vorsteher des Sozialdepartements der Stadt Zürich?

Raphael Golta: Generell stehen die Schweizer Unternehmen mit ihrem Engagement hinsichtlich der Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden gut da. Grössere Firmen haben in der Regel jedoch mehr Möglichkeiten und ein entsprechend grösseres Bildungsangebot als kleinere Betriebe. Gesamthaft kommen Höherqualifizierte aber eher in den Genuss von Weiterbildungen als Menschen mit einer niedrigeren Qualifikation …

Wovon ist die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktfähigkeit abhängig?

Es ist eine Kombination verschiedener Faktoren, die den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt oder den Verlust der Arbeitsmarktfähigkeit ausmachen. Zunächst geht es um harte Faktoren wie eine Ausbildung, die berufliche Erfahrung oder spezifisches Fachwissen. Daneben spielen persönliche Eigenschaften eine Rolle, die weniger fassbar sind: etwa Flexibilität, Neugier oder die Fähigkeit, sich auf Veränderungen einzustellen. Grundsätzlich geht es aber darum, dass Arbeitnehmende bestehende Chancen und neue Perspektiven erkennen. Das ist vor allem für Menschen, die schon seit Jahrzehnten berufstätig sind, keine leichte Aufgabe. Niemand packt eine berufliche Neuorientierung leichtfertig an, wenn er älter ist.

Es entsteht oft der Eindruck, Arbeitnehmende seien für ihre Arbeitsmarktfähigkeit allein verantwortlich …

Der Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit ist eine gemeinsame Verantwortung von Arbeitnehmenden, Arbeitgebenden und dem Staat. Es liegt im gemeinsamen Interesse aller Akteure, den zentralen Rohstoff «Bildung» genügend zu fördern und möglichst vielen Menschen zu ermöglichen, ihre Existenz durch eine Erwerbsarbeit selbständig zu sichern. Besonders anspruchsvoll ist das für Menschen mit geringen finanziellen Mitteln und einem kleineren Bildungsrucksack.

Diese Menschen zu unterstützen, dafür stehen wir als Gesellschaft und letztlich auch als Staat in der Pflicht. Unternehmen können ihren Mitarbeitenden das Lernen zwar nicht abnehmen, haben aber dennoch eine Mitverantwortung. Sie kennen ihre Beschäftigten und können deren Fähigkeiten und Potenzial aus Arbeitgebersicht beurteilen. Ausserdem wissen Arbeitgebende, welche Fähigkeiten in ihrer Branche künftig gefragt sein werden und welche nicht. Deshalb sind sie prädestiniert, ihre Mitarbeitenden bei der Planung der Erwerbslaufbahn zu unterstützen.

Muss die Politik die Weiterbildung von Arbeitnehmenden ­fördern?

Die Stadt Zürich sieht ihre Rolle darin, Menschen zu unterstützen, die zu wenig von Weiterbildungsmassnahmen profitieren. Das sind vor allem solche mit einer tiefen Qualifikation und geringem finanziellem Spielraum. Für sie sind die Hürden sehr hoch, um in die eigene Weiterbildung zu investieren. Teilweise mangelt es auch an passenden Angeboten oder manchmal fehlt auch nur schon das Wissen, wo sie sich Hilfe und Beratung holen können.

Wie hilft die Stadt Zürich gefährdeten Arbeitnehmenden konkret?

Mit unserer neuen Bildungsstrategie fördern wir Menschen, denen eine qualifizierende Erstausbildung fehlt, bei ihrer ­Aus-, Fort- und Weiterbildung. Wir unterstützen aber auch jene, deren Arbeitsplatz in naher Zukunft gefährdet ist. Durch Beratungs- und Sensibilisierungsmassnahmen wollen wir die Frage nach dem langfristigen Erhalt ihrer Arbeitsmarktfähigkeit stärker ins Bewusstsein der Betroffenen rücken. Nebst diesem oft nötigen Denkanstoss erhalten Arbeitnehmende aber auch handfeste Hilfe.

Etwa mit der neuen städtischen Stipendienverordnung: Diese soll die finanzielle Belastung von Qualifizierungsmassnahmen abfedern, bestehende Lücken im Stipendienwesen schliessen und neue Finanzierungsmöglichkeiten für sogenannte Arbeitsmarktstipendien schaffen. Damit wollen wir besonders Menschen mit mittleren oder tiefen Einkommen bei der Finanzierung der beruflichen Entwicklung entlasten.

Was sollten Arbeitnehmende tun?

Mit regelmässigen Standortbestimmungen lassen sich Lücken in einem Profil frühzeitig erkennen. Das Laufbahnzentrum der Stadt Zürich hat dafür beispielsweise einen Arbeitsmarktfähigkeits-Check entwickelt, der online in nur zehn Minuten absolviert werden kann. Dieser soll die Menschen möglichst niederschwellig motivieren, sich in einem ersten Schritt mit ihrer beruflichen Zukunft zu beschäftigen.

Zur Person

Raphael Golta (45) ist Stadtrat von Zürich und Vorsteher des Sozialdepartements, wo er in seiner Funktion nicht nur bei der sozialen und beruflichen Integration von Sozialhilfebezügern neue Wege beschreiten will. Mit einer neuen Bildungsstrategie sollen alle Zürcherinnen und Zürcher, denen eine qualifizierende Erstausbildung fehlt, bei ihrer Aus-, Fort- und Weiterbildung unterstützt werden – sowohl mit Beratung als auch durch finanzielle Hilfe. Nebst seiner Tätigkeit als Stadtrat ist Golta Verwaltungsrat bei der Asylorganisation Zürich (AOZ), Verkehrsrat des Zürcher Verkehrsbundes (ZVV) und Mitglied des Stiftungsrats der Pensionskasse der Stadt Zürich.

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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