Interview über Humor am Arbeitsplatz

«Man kann sehr professionell sein und sich trotzdem nicht zu ernst nehmen»

Vanessa Marcié hat ein Buch über die Macht von Humor veröffentlicht. Als Coachin, Referentin und Stand-up-Comedian erklärt sie im Interview die Chancen von Humor am Arbeitsplatz und gibt einige Tipps, wie dieser gut praktiziert werden kann.

Über Humor am Arbeitsplatz zu sprechen, liegt im Trend. Wie erklären Sie das?

Vanessa Marcié: Sicherlich hat die COVID-Krise eine Rolle gespielt. Während der Pandemie war Humor für viele Menschen ein Werkzeug der Resilienz. Diese Krise hat auch die Grenzen des Managements, wie wir es kannten, aufgezeigt. Die Arbeitnehmenden begannen, den Sinn ihrer Arbeit zu hinterfragen. Heute leben wir in der Nach-COVID-Welt, und wir können sehen, dass die Great Resignation in den USA, das Wachstum der freiberuflichen Beschäftigung und das Interesse an der Vier-Tage-Woche zeigen, dass die Mitarbeitenden ein menschlicheres Management und Unternehmen fordern, in dem sie sich selbst sein können. Humor ist Teil dieser Veränderungen. Er humanisiert das Unternehmen, macht es zu einem Ort, an dem man Spass haben und mit seinen Kolleginnen und Kollegen in einer guten Atmosphäre arbeiten kann. Er ist sogar eine Notwendigkeit geworden.

Laut einer Studie wünschen sich 60 Prozent der Arbeitnehmenden mehr Humor im Unternehmen …

Marcié: Ja, dieser Wunsch war schon immer da, und die Forschung zeigt, dass es nur wenig Widerspruch gegen Humor im Unternehmen gibt, wenn er richtig eingesetzt wird. Aber viele Führungspersonen haben Angst davor, weil sie denken, dass Führung bedeutet, sich sehr ernst zu nehmen. Das ist jedoch überhaupt nicht der Fall. Die beiden Dinge haben nichts miteinander zu tun. Man kann sehr professionell sein und sich trotzdem nicht zu ernst nehmen. Im Gegenteil, Humor schafft Verbindungen, stärkt die Glaubwürdigkeit und das Sympathiekapital von Führungskräften …

Stand-up-Comedian und Coachin

Vanessa Marcié, promovierte Kommunikationswissenschaft­lerin, ist Coachin, Referentin und Lehrbeauftragte an verschiedenen Business Schools. Sie tritt auch als Stand-up-Comedian auf und hält regelmässig Vorträge und Schulungen zum Thema Humor am Arbeitsplatz in Frankreich, England und den USA.

Letztes Jahr erschien ihr Buch «le pouvoir de l’humour», Ed. Eyrolles, 2023, 221 Seiten.

 

Welche anderen Vorteile bringt Humor am Arbeitsplatz?

Marcié: Humor ist eine wahre Goldmine. Er stärkt den Teamzusammenhalt, ermöglicht es, Beziehungen aufzubauen und ein Vertrauensklima zu schaffen. Humor kann auch komplizierte Konzepte vereinfachen und kreativer machen. Schliesslich hilft Humor in Stresssituationen, die Spannung zu verringern oder Konflikte zu entschärfen.

Gibt es Berufe oder Arbeitsumgebungen, die sich besser für Humor eignen?

Marcié: Schwer zu sagen. In der Start-up-Welt, die eine jüngere und eine an einfacher und direkter Kommunikation interessierte Menschen anzieht, gehört Humor bereits zum Alltag. Aber viele Unternehmen aus allen Sektoren kommen zu mir, weil sie verstanden haben, dass Humor ein gutes Mittel ist, um junge Talente anzuziehen und zu halten. Auch grosse Unternehmen beginnen sich dafür zu interessieren. Denn das Management durch Angst in einem hierarchischen, pyramidenförmigen System funktioniert heute nicht mehr …

Und in bestimmten Branchen?

Marcié: Es gibt keine Branchen, die besser für Humor geeignet sind als andere. Die von Forscherinnen und Forschern am häufigsten untersuchten Bereiche sind jedoch der Gesundheitssektor (insbesondere Notfalldienste) und das Militär. In diesen Berufen, die ständigem Stress und Krisen ausgesetzt sind, hilft Humor, die Angst besser zu bewältigen. Er ist ein Ventil, das die Spannung abbaut. Bei Militärs trägt Humor beispielsweise zu einem intensiven Zusammengehörigkeitsgefühl bei. Im Krieg hängt ihr Leben von anderen ab, daher müssen sehr starke Bindungen geschaffen werden.

Humor ist ein Angebot zur Verbindung, schreiben Sie, das vom Gegenüber akzeptiert oder abgelehnt werden kann …

Marcié: Diese Formel habe ich von zwei Psychologen übernommen, die sich auf Paarbeziehungen spezialisiert haben und diese Idee des Verbindungsangebots entwickelt haben. In einer Partnerschaft ist ein Witz des Partners ein Zeichen dafür, dass er oder sie sich mit der Partnerin oder dem Partner verbinden möchte. Genauso ist Humor im Unternehmen eine Möglichkeit, mit anderen in Beziehung zu treten.

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«Humor schafft Verbindungen, stärkt die Glaubwürdigkeit und das Sympathiekapital von Führungskräften.»

 

 

 

 

Humor spielt immer im Kontext, sagen Sie. Er hängt vom Publikum ab, an das er gerichtet ist …

Marcié: Genau. Im Unternehmen muss Humor strategischer sein als im Privatleben. Er hängt von der Situation, den Personen, ihrem Alter und den gemeinsamen Referenzen ab … Humor sollte übrigens in der Schule gelehrt werden, denn er ist eine feine Kunst. Falsch angewendet, kann er zu sehr unangenehmen Situationen führen. Man kann anderen nicht aufzwingen, was man selbst lustig findet. Schwarzer Humor wird wahrscheinlich nicht in allen Umgebungen funktionieren. Man muss sich immer fragen, was die Absicht ist. Wenn es darum geht, sich mit anderen zu verbinden, sollten sexistische und vulgäre Witze vermieden werden.

Sie sagen auch, dass man authentisch sein muss, um witzig zu sein. Kann man lernen, authentisch zu sein?

Marcié: Wir leben im Zeitalter der Authentizität und Verwundbarkeit. Anders ausgedrückt, eine Führungskraft muss heute menschlicher sein. In der alten Schule sollte ein echter Profi keine Gefühle zeigen, immer die Kontrolle haben und auf alles eine Antwort wissen. Auf die Gefahr hin, kalt, aggressiv und distanziert zu wirken. Aber die Welt hat sich verändert. Heute müssen Chefinnen und Chefs zeigen, wie sie sind. Und Humor ist ein ausgezeichnetes Mittel, um verletzlich und authentisch zu sein. Er hilft, die soziale Distanz zu verringern, indem menschliche Momente geteilt werden.

Ehrlich und authentisch zu sein, ist also ein Weg, witziger zu sein?

Marcié: Ja, aber auch wenn Humor den Eindruck von Spontaneität erweckt, ist er in Wirklichkeit vorbereitet und erarbeitet. Im Unternehmen gibt es strategische Momente, in denen man Humor einsetzen kann, zum Beispiel bei einer Präsentation. Wenn Humor strategisch eingesetzt wird, stärkt er die Führungsrolle und Kommunikation.

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Vanessa Marcie steht vor einem blühenden Busch und blickt humorvoll über ihre Brille

Gemäss Marcie darf man auch mit dem Chef Witze reissen: «Humor ist mit jedem Gegenüber möglich, sofern er richtig angewendet wird.» (Bild: Laurent Carré / Divergence)

 

Humor ist eine feine Kunst, die ein Gefühl für Timing, die richtige Wortwahl und Referenzen, die das Gegenüber versteht, erfordert …

Marcié: Absolut, daher erfordert Humor ein wenig Übung. Je mehr man im Vorfeld übt, desto natürlicher und spontaner wirkt der Humor. Man muss auch den eigenen Stil finden, der zur eigenen Persönlichkeit passt.

Wie findet man seinen eigenen Humorstil?

Marcié: Es ist in erster Linie eine Frage der Selbsterkenntnis. Sich selbst gut zu kennen, ermöglicht es, den Humor der anderen besser zu verstehen. Dies erlaubt es, die Kommunikation ans Publikum anzupassen.

Hierarchische Distanz erleichtert Humor nicht …

Marcié: Humor ist mit jedem Gegenüber möglich, sofern er richtig angewendet wird. Mit Vorgesetzten oder mit Gleichaltrigen sollte Humor bevorzugt werden, der einen selbst aufwertet. Führungskräften empfehle ich, eher Selbstironie oder destruktiven Humor zu praktizieren. Dies hilft, die soziale Distanz zu verringern und macht einen menschlicher.

Wie sagt man seinem Chef, dass er nicht witzig ist?

Marcié: Indem man ihm mein Buch gibt (lacht). Führungskräfte sind sich oft nicht bewusst, dass ihr Humor nicht geschätzt wird. Ihr Umfeld wird sich nicht trauen, es ihnen zu sagen. Sie leiden daher unter einem Bias aufgrund ihrer hierarchischen Position. Um dies zu ändern, muss eine Kultur geschaffen werden, in der Humor erlaubt und gefördert wird.

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«Humor ist kein Wundermittel, um Dysfunktionen zu lösen.»

 

 

 

 

Welche Grenzen sollten nicht überschritten werden?

Marcié: Man sollte im Unternehmen aggressiven Humor vermeiden. Dieser ist nicht per se schlecht, aber man muss vorsichtig sein, mit wem man ihn anwendet. Er kann in der Familie oder im Vertrauenskreis funktionieren, aber am Arbeitsplatz riskiert man, jemanden zu verletzen und zu demütigen. Selbstironie ist zum Beispiel bei einer ersten Interaktion nicht ideal. Wenn man die Professionalität noch nicht bewiesen hat, kann das Gegenüber das Gesagte für bare Münze nehmen.

Was verstehen Sie unter «Vertrauenskreis»?

Marcié: Das sind Menschen, mit denen man sich wohlfühlt und die einen nicht verurteilen werden. In diesen Kreisen kann man sich ausprobieren. Das können auch vertrauenswürdige Kolleginnen und Kollegen sein, mit denen die Präsentation getestet wird. Dies kann Vertrauen geben, und der Kreis kann dann erweitert werden, indem der Humor mit anderen externen Personen vor der humorvollen Präsentation vor dem Chef ausprobiert wird.

Wie schafft man eine unternehmensfreundliche Humorkultur?

Marcié: Alle Mitarbeitenden sollte die Codes des Humors beherrschen und eine gemeinsame Sprache sprechen. Ich empfehle zum Beispiel, mit einer Konferenz zu beginnen, in der die Hintergründe und Vorteile des Humors im Unternehmen erklärt werden: Was die verschiedenen Arten von Humor sind und weshalb einige Witze besser funktionieren als andere. Es gilt auch, die Mythen über Humor zu entkräften: zum Beispiel, dass Humor nicht zwangsläufig mit einem Mangel an Professionalität einhergeht.

Vier Humorstile

  • Affiliativer Humor: Ein positiver, verbindender Humor, der auf Alltagssituationen basiert. Er verringert die Spannung und verbessert die Beziehungen.
  • Konstruktiver Humor: Er zielt darauf ab, unser Selbstvertrauen zu stärken und andere zu beeindrucken. Es geht darum, eine ungünstige Situation zu unseren Gunsten neu zu interpretieren.
  • Aggressiver Humor: Er dient dazu, eine starke Botschaft zu übermitteln, schafft jedoch eher Distanz und eine toxische Atmosphäre. Dieser Humor zielt darauf ab, andere zu kritisieren, zu manipulieren oder lächerlich zu machen. Besser vermeiden, ausser im Vertrauenskreis.
  • Selbstzerstörerischer Humor: Negativer Humor, der auf eigene Kosten geht. Dazu gehört Selbstironie oder sich selbst lächerlich zu machen, um andere zum Lachen zu bringen.

 

Diese Kultur erfordert gute Arbeitsbedingungen, um sicherzustellen, dass die Mitarbeitenden in der Lage sind, qualitativ hochwertige Arbeit zu leisten und das Management nicht toxisch ist …

Marcié: Ja, Humor ist kein Wundermittel, um Dysfunktionen zu lösen. Im Gegenteil, er ist eher ein Problemindikator. Nehmen wir ein Bewerbungsgespräch, bei dem der Recruiter nicht auf die Witze der Kandidatin oder des Kandidaten reagiert. Oder ein Grossraumbüro, in dem niemand lächelt oder lacht. Das sind Warnsignale. Humor am Arbeitsplatz erfordert eine wohlwollende und positive Atmosphäre. Ohne diese psychologische Sicherheit wird niemand den Mut aufbringen, sich auf Humor einzulassen, und er wird auch nicht gut aufgenommen.

Ihre Ratschläge für einen HR-Manager?

Marcié: Warum nicht den Sinn für Humor der Kandidatinnen und Kandidaten bei der Einstellung berücksichtigen? «Erzählen Sie mir von der letzten Situation, in der Sie witzig waren?» oder «Wer ist Ihr Lieblingskomiker?» sind gute Wege, das Thema anzusprechen. Humor könnte auch ein Wert sein, den das Unternehmen öffentlich vertritt, wie es in den USA bei der Fluggesellschaft Southwest Airlines der Fall ist.

Ihre Ratschläge für eine Führungskraft?

Marcié: Humor zu beherrschen, erfordert, das Gehirn neu zu programmieren. Je mehr man sich mit Menschen mit gutem Humor umgibt, desto mehr wird das die eigene Denkweise und Sichtweise beeinflussen. Wir sind die Summe der Menschen, die uns umgeben... Umgeben Sie sich mit Menschen mit gutem Humor!

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Marc Benninger ist Chefredaktor der französischen Ausgabe von HR Today.

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