Mitarbeitergespräch – ein Auslaufmodell?
Mitarbeiterbeurteilungen lösen oft ungute Gefühle aus. Auf beiden Seiten. Weshalb ist das so? Wie könnten diese gestaltet werden, damit der Sprung von der «Mitarbeiterverurteilung» zum wertschätzenden Dialog gelingt? Oder gehören sie besser radikal abgeschafft?
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Wer kennt es nicht, dieses mulmige Gefühl gegen Ende des Jahres: Eine Mitarbeiterbeurteilung steht bevor. Pünktlich im Dezember schlägt diese wie ein Blitz im Unternehmen ein und bringt nicht nur die Mitarbeitenden, sondern oft auch deren Vorgesetzten in Verlegenheit. Hat man während des Jahres doch wertschätzend zusammengearbeitet, verändert sich an diesem einen Gespräch die Tonalität völlig. So gilt es eine Leistung zu bewerten, die sich in vielen Aspekten oft nicht in konkreten Zahlen ausdrücken lässt. Nicht zuletzt spielt bei der Mitarbeiterbewertung auch die Sympathie zwischen Vorgesetztem und Mitarbeitenden bei der Bewertung der Leistungen eine nicht unwesentliche Rolle: So ist heute wissenschaftlich belegt, dass Vorgesetzte ihre Mitarbeitenden oft in einem zu positiven Licht zeichnen, während Mitarbeitende ihren Beitrag an die Unternehmensergebnisse häufig überschätzen.
Mitarbeiter miteinander vergleichen und ein Ranking aufstellen, das Profil des Mitarbeitenden mit dem Idealprofil der Stellenbeschreibung vergleichen oder die individuelle Entwicklung des Mitarbeitenden beurteilen sind die gängigsten Methoden bei der Mitarbeiterbeurteilung. Das Mitarbeitergespräch, welches auf einer von diesen Methoden aufbaut, beinhaltet meist auch eine Eigenbeurteilung des Mitarbeitenden und wird ergänzt durch die Fremdbeurteilung durch den Vorgesetzten.
Oft sind diese Gespräche zudem an Zielvereinbarungen gekoppelt, manchmal auch direkt an die Personal- oder Lohnentwicklung. Während Mitarbeitergespräche in der Vergangenheit meist auf einseitigen Bewertungen durch den Vorgesetzten beruhten, kehrt das Bild nun immer mehr: Vorgesetzte beurteilen nicht nur ihre Mitarbeitenden, sondern diese auch ihre Vorgesetzten. Deren Ziele leiten sich wiederum aus den Gesprächen mit den Mitarbeitenden ab. Wo Vorgesetzte die Arbeit ihrer Mitarbeitenden nicht mehr beurteilen können, weil sie es beispielsweise mit Fachspezialisten zu tun haben, sind es immer häufiger auch die Kollegen oder Kunden, welche die Qualität der Arbeit eines Mitarbeitenden einschätzen.
Delta zwischen Ist und Soll
Welche Methode der Mitarbeiterbewertung auch gewählt wird: Mitarbeiterbewertungen werden vor allem dann als demotivierend empfunden, wenn zu wenig auf die Situation der Mitarbeitenden eingegangen wird und das Reglement als wichtiger betrachtet wird als das Gespräch, meint Personal- und Organisationsentwickler Thomas von Arb. Aus Sicht von Prof. Dr. Antoinette Weibel, Inhaberin des Lehrstuhls für Personalmanagement an der Universität St. Gallen, liesse sich viel Frust im Umgang mit Mitarbeiterbeurteilungen bereits damit vermeiden, wenn diese nebst den objektiven Aspekten auch subjektive enthielten wie die Beurteilung des Verhaltens im Team, das Einbringen der Kreativität und die Innovationsfähigkeit. Auf jeden Fall müsse der Vergleich zwischen Ist und Soll beinhalten, dass Mitarbeitende aus Fehlern lernen könnten. Wiederhole sich ein Tatbestand hingegen immer wieder, dann müsse man auch darüber reden. Grundsätzlich solle die Beurteilung jedoch als Lernmöglichkeit verstanden werden und nicht als Bestrafung, gibt Antoinette Weibel zu bedenken.
«Das Mitarbeitergespräch müsste das langweiligste Gespräch des Jahres sein», findet Matthias Mölleney, Unternehmensberater und Leiter des Center for HRM & Leadership an der HWZ. Aus seiner Sicht dient es hauptsächlich zu Dokumentationszwecken. Das müsse man eben machen, um beispielsweise bei einem Vorgesetztenwechsel nachvollziehen zu können, was vereinbart worden sei. Fallstricke ortet er in der Überladung der Gespräche und im «Halo-Effekt»: «Man versucht zu vieles in das Gespräch hineinzupacken», sagt er. «Die individuelle Entwicklungsplanung sollte deshalb in einem separaten Gespräch abgewickelt werden.»
Man müsse sich bewusst sein, dass einzelne Ereignisse, die alles andere überstrahlen, aber nicht repräsentativ für die Gesamtleistung seien, oft in den Vordergrund gestellt würden. Ganz lasse sich das nie vermeiden, meint Mölleney. Aber: «Man muss sich der Gefahr bewusst sein und damit lässt sich diese Falle ja schon umgehen.» Etwas Überraschendes sollte am Ende des Jahres in einem Mitarbeitergespräch jedenfalls nicht mehr auftauchen, meint er in Übereinstimmung mit Antoinette Weibel, ansonsten deute dies auf eine Führungsschwäche hin.
Mitarbeitergespräch radikal streichen
Thomas von Arb geht einen Schritt weiter und plädiert gar für die Abschaffung von Mitarbeitergesprächen: «Wenn die alltägliche Führung wahrgenommen wird, braucht es keine zusätzlichen Instrumente. Mitarbeitende wollen ernst- und wahrgenommen werden, sie wollen ihre Stärken einsetzen und den Sinn ihrer Tätigkeit erkennen», holt er aus. «Je offensichtlicher ihr Beitrag aufgezeigt wird, desto stärker engagieren sie sich.» Die Aufgabe der Führung sei es, diesen Beitrag sichtbar zu machen und mit den Mitarbeitenden im Alltag auszuhandeln. Es gelte, die Mitarbeitenden zu befähigen und den Leistungsbeitrag sowie das entsprechende Verhalten ständig einzufordern. Vorgesetzte sollten sich dabei nicht nur um jene Mitarbeitenden kümmern, welche die Leistung nicht im gewünschten Ausmass erbringen oder ein auffälliges Verhalten zeigen, sondern vor allem um jene, die Leistung zeigen wollen, fordert er. Dazu gebe es im Alltag genügend Gelegenheiten wie Arbeitsbesprechungen, Sitzungen oder Kurzgespräche, dazu brauche es kein Jahresendgespräch.
Wer das Thema «Mitarbeitergespräch» nicht gleich radikal von seiner Pendenzenliste streicht, sollte sich jedenfalls einige grundsätzliche Gedanken zur Zielfestlegung und Zielerreichung machen, denn oft ist es der Bewertungsprozess, der als frustrierend, entmutigend oder gar demütigend empfunden wird. Zudem hat die Art und Weise, wie Ziele festgelegt werden und deren Erreichung überprüft wird, weitreichende Folgen für den Mitarbeitenden. So zum Beispiel für dessen Karrierechancen oder auf die Lohnentwicklung.
Während für Matthias Mölleney klare, nachvollziehbare und messbare Ziele die Erfolgsfaktoren einer Mitarbeiterbewertung sind, stellt Thomas von Arb die Genauigkeit und Fixierung vieler Ziele überhaupt infrage: «Oft wird versucht, etwas messbar zu machen, das gar nicht messbar ist. Zum anderen ändern sich die Rahmenbedingungen so schnell, dass die Zielerreichung aufgrund eines starr fixierten Ziels oft nicht möglich ist und das Ziel im Verlauf des Jahres neu formuliert oder umgestossen werden müsste.» Das werde in der Praxis jedoch häufig ignoriert und dann werde am Ende des Jahres krampfhaft nach Argumenten gesucht, um die Leistung und das Verhalten nach dem überholten Ziel zu beurteilen.
Es gibt aber noch weitere Fallen, dann nämlich, wenn der wahre Handlungsbedarf im Unternehmen nicht erkannt und bei der Zielfestsetzung übers Tor hinausgeschossen wird: «In vielen Unternehmen besteht keine Übersicht über die komplexen Unternehmenszusammenhänge. Negative und positive Rückkopplungen werden schlicht übersehen», meint Thomas Braun, Gründer der Sokrates Group, einem Unternehmen, das sich auf die Visualisierung von komplexen Sachverhalten spezialisiert hat.
So seien Vorgesetzte und Mitarbeitende zwar Fachexperten ihres Bereichs, hätten aber keine gemeinsame Übersicht über die Gesamtlage des Unternehmens. Damit entstünden vielmals Zielkonflikte, die nicht als solche erkannt würden. Das sei beispielsweise dann der Fall, wenn der Mitarbeitende aufgrund struktureller Gegebenheiten der Organisation sein Ziel gar nicht erreichen könne, aber dann trotzdem daran gemessen werde. Die daraus resultierende negative Beurteilung wiege schwer, könne diese doch emotionale Verletzungen beim «Beurteilten» auslösen, dessen Leistungsbereitschaft senken oder sogar in der Kündigung münden.
Werden die Zielvereinbarungen und Zielbewertungen zudem an Lohn- oder Bonizahlungen geknüpft, mutiere das Mitarbeitergespräch sehr rasch zu einer Rechtfertigungsveranstaltung. Vor allem wenn kritische Punkte aufgegriffen werden, welche die Lohn- oder Bonizahlungen beeinflussen, so die einhellige Meinung der Experten.
«Das Jahresendgespräch zu führen, muss keine komplizierte Sache sein», meint Thomas von Arb. «Es genügt, wenn sich Vorgesetzter und Mitarbeitender mit einem leeren Blatt Papier ins Gespräch begeben, um darauf die gegenseitige Einschätzung der Zusammenarbeit festzuhalten.» Während des Gesprächs sei dann zu klären, wie beide Parteien die Zusammenarbeit im Alltag erlebt hätten und ob die gegenseitig vereinbarten Beiträge eingehalten worden seien. Noch bedeutender aber sei es, sich zu fragen, welche Herausforderungen im kommenden Jahr zu bewältigen seien, was der Beitrag des Mitarbeitenden sei und wie der Vorgesetzte ihn bei der Erreichung dieser Ziele unterstützen könne, und was vom Besprochenen festgehalten werden solle. Zahlen und Noten bei der Bewertung verursachten hingegen oft einen Abwehreffekt. Abhilfe verspreche die verbale Umschreibung einer Leistung: «Das ermöglicht es, gemeinsam zu betrachten, wie sich die Leistung oder das Verhalten entwickelt hat, und verhindert das Feilschen um irgendwelche Kommastellen.»
Für Thomas Braun gehen diese Ansätze jedoch zu wenig weit, denn die üblichen Texte oder Beurteilungslisten machten die Unternehmenszusammenhänge nicht erkennbar und überforderten das menschliche Arbeitsgedächtnis. Das führe physiologisch beim Mitarbeitenden zum Sich-tot-Stellen, zur Flucht oder zur Aggression. Alles keine geeigneten Varianten, um die Lage gemeinsam einzuschätzen. Mit einer visuellen Darstellung der Organisation und deren aktuellen Herausforderungen sowie der Aufgabenbeschreibungen könnten sich Vorgesetzte und Mitarbeitende hingegen an einer Landkarte orientieren, um gemeinsam und auf derselben Augenhöhe wirksame Ziele festzusetzen. Das führe zu einer Verbundenheit zwischen Vorgesetztem und Mitarbeitendem und zu Handlungsoptionen, welche die Lage effektiv verbessern. So komme man von der gemeinsamen Analyse auch gleich ins Tun, meint er.