BGM-Special 2024: Interview mit Eric Bürki

«Organisationale Resilienz ist in vielen Firmen noch nicht wirklich ein Thema»

Eric Bürki, Leiter BGM bei Gesundheitsförderung Schweiz, erklärt im Interview unter anderem, weshalb es wichtig ist, dass Resilienz nicht nur auf der individuellen, sondern auch auf der betrieblichen Ebene gefördert wird.

Herr Bürki, weshalb hat Gesundheitsförderung Schweiz Resilienz als Thema der diesjährigen BGM-Tagung ausgewählt?

Eric Bürki: Resilienz ist ein sehr aktuelles und spannendes Thema, auch fachlich gesehen: Es wurde viel Forschung betrieben und es gibt bewährte Konzepte, in denen interessante Ansätze aufgezeigt werden. Auch kann Resilienz im betrieblichen Gesundheitsmanagement gut vorangetrieben werden, da viele Führungskräfte den Begriff aus Leadership-Weiterbildungen kennen. In der Betriebswirtschaftslehre wird er ebenfalls verwendet, dort vor allem in Zusammenhang mit Business Resilience, beispielsweise bezüglich Lieferketten in Krisenzeiten. Das hat dazu geführt, dass sich Resilienz in der Managementsprache etabliert hat, zudem ist die Bezeichnung positiver behaftet als psychische oder mentale Gesundheit.

Warum hat das Thema Resilienz an Bedeutung zugelegt?

Bürki: Die psychischen Erkrankungen nehmen massiv zu. In Gesprächen mit IV-Stellen erfahren wir, dass 50 Prozent der Krankheitsausfälle, oder sogar mehr, auf solche zurückzuführen sind. Besonders Jugendliche sind stark betroffen und überlaufen die ambulanten Notfallpsychiatrien. Der Druck ist also enorm. Zudem dauern psychische Erkrankungen oft sehr lang, also 100 Tage und länger. Das führt dazu, dass viele Unternehmen, gerade KMU, überfordert sind, weil sie nicht wissen, wie sie mit diesem Thema umgehen sollen, wie viel Kontakt sie noch mit den Betroffenen haben dürfen, was geeignete Massnahmen zur Vorbeugung sind und so weiter. Das sind keine trivialen Fragen, wenn man sich nicht jeden Tag damit befasst.

Was können Unternehmen tun, um die Resilienz der Mitarbeitenden zu stärken?

Bürki: Es ist wichtig, dass Unternehmen zur Prävention resiliente Vorsorge betreiben. So können Organisationen, Teams und Individuen eine innere Stärke entwickeln, um Herausforderungen wie Veränderungen, Krisen oder Belastungen über längere Zeiträume besser zu bewältigen. Das kann auf der Ebene Organisation sowie auf der Ebene Team und Individuum angegangen werden. Grundsätzlich gibt es auf der einen Seite resilienzfördernde Faktoren und auf der anderen Seite Belastungs- und Risikofaktoren, die das Ganze wieder ­torpedieren. Auf Organisationsstufe sind beispielsweise Führungskräfte, die für ein gutes Arbeitsklima sorgen und erkennen, wenn jemand überlastet ist und am Limit läuft, ein resilienzfördernder Faktor. Auf der individuellen Ebene geht es um Themen wie Handlungsspielraum statt Fremdbestimmung, Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen und Vorgesetzten und so weiter. Risikofaktoren sind beispielsweise Konflikte – das ist ein häufiger Krankheitsgrund – und viele weitere Punkte. Leider investieren Unternehmen oft mehr in Effizienzprogramme als in den Aufbau von Resilienzfaktoren – zwei Drittel gegenüber einem Drittel. Wie die Forschung zeigt, braucht es in einer Organisation im Minimum etwas mehr resilienzfördernde Faktoren als Risikoelemente, damit die Mitarbeitenden belastbar bleiben. Ich persönlich bin daher der Ansicht, dass das Verhältnis der Investitionen genau umgekehrt sein sollte: zwei Drittel für den Aufbau resilienzfördernder Faktoren und maximal ein Drittel für die Steigerung der Effizienz.

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«Leider investieren Unternehmen oft mehr in Effizienzprogramme als in den Aufbau von Resilienzfaktoren.»

 

 

 

Welche Angebote bezüglich Resilienz­förderung bietet Gesundheitsförderung Schweiz?

Bürki: Wir empfehlen den Unternehmen, ein robustes BGM aufzubauen, das nicht nur reaktiv, sondern auch präventiv ausgerichtet wird. Es ist deutlich wirkungsvoller, auch resiliente Vorsorge statt nur Krisenmanagement zu betreiben. Konkret bieten wir das Label «Friendly Work Space» an, speziell heruntergebrochen für KMU die «HR Toolbox» und nochmals heruntergebrochen für Führungspersonen und Teams das «Leadership Kit». Natürlich gibt es noch viel mehr – das sind nur die drei wichtigsten Beispiele. All die Instrumente helfen dabei, Resilienz im Unternehmen zu fördern und präventiv zu handeln.

Plant Gesundheitsförderung Schweiz einen Ausbau des Resilienzförderungsangebots?

Bürki: Ein direkter Ausbau ist nicht geplant. Da das Thema aber eng mit Trends wie New Work verbunden ist, die ständigen Veränderungen unterliegen, entwickelt sich unser Resilienzförderungsangebot quasi automatisch mit. Heute ist es völlig normal, dass sich beispielsweise Geschäftsmodelle, Führungsstrukturen und Rechtsmittel ständig ändern. Resilienz sollte helfen, einigermassen gut damit umgehen zu können. Es gibt dafür ein gutes Beispiel: die Coronapandemie. Wir sammeln Daten, wie es den Menschen geht und wie hoch ihr Stressbefinden ist. So konnten wir aufzeigen, dass Leute, die vor der Pandemie über Resilienzfaktoren verfügten, besser durch die Krise kamen als solche, die schon vorher höhere Belastungen hatten. Denen ging es während und auch nach Corona noch schlechter. Man könnte nun sagen, dass das eine banale Erkenntnis ist, für die es keine Studie braucht. Das stimmt zwar, aber wir konnten nun beweisen, dass Resilienzfaktoren nicht nur «nice to have» sind, sondern betriebswirtschaftliche Auswirkungen haben – dies dank den vielen gesammelten Daten und des Zufalls, dass die Coronapandemie stattgefunden hat.

Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie mit Resilienz?

Bürki: In meiner Arbeit habe ich oft mit sehr komplexen Situationen zu tun, in die viele Leute involviert oder die inhaltlich kompliziert sind. Oft ist es auch eine Mischung von beiden. Hinzu kommen politische Faktoren, die nicht kontrolliert werden können. Da kann sich schnell das Gefühl «Achtung, gefährlich!» einstellen, weil die Herausforderung eine riesige ist. Ich persönlich sage dann zu mir selbst: Ich kenne solche Situationen, da ich schon ähnliches erlebt habe, und irgendwie kam es immer gut. Ebenso bin ich gerade bei komplexen Situationen zur Erkenntnis gelangt, dass man nicht allzu lange warten sollte, bis man sich Unterstützung holt, um sich breitere Schultern zu verschaffen. Das können beispielsweise Sparringpartner oder Arbeitsgruppen sein. Im Austausch mit anderen zeigt es sich oft, dass Lösungswege schrittweise angegangen werden können oder dass es noch andere Möglichkeiten gibt, auf die man selbst nicht gekommen war.

Machten Sie noch weitere Beobachtungen?

Bürki: Persönlich beeindruckt haben mich Fälle von Leuten, die sich trotz psychischen Problemen nicht zu 100 Prozent krankschreiben lassen wollten, weil sie einen Fuss im Unternehmen behalten wollten und deshalb von Anfang an einen Beitrag leisteten, um wieder gesund zu werden. Das imponiert mir sehr, da es sehr schwierig ist, aus Negativspiralen herauszukommen. Solche Beispiele zeigen, wie wichtig Resilienz und Unterstützung sind.

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«Die Schweiz hat zwar eines der besten Gesundheitssysteme, stösst aber trotzdem immer wieder an seine Grenzen.»

 

 

 

Ein wichtiges aktuelles Thema ist künstliche Intelligenz. Wie wirkt sich KI auf Resilienz aus?

Bürki: Kürzlich habe ich eine Studie von PwC gelesen, in der CEOs befragt wurden, wie sie die Herausforderungen in der Schweiz sehen und was sie beschäftigt (Anm. d. Red: Schweizer Ausgabe der «Annual Global CEO Survey»). Interessanterweise sagten viele CEOs, dass sie KI als Unterstützung im Arbeitsalltag sehen und weniger als eine Möglichkeit, Stellen abzubauen. Somit wäre KI ein Resilienzfaktor. Persönlich bin ich mir nicht sicher, ob dem tatsächlich so ist, da KI ein solch grosses Thema ist. Was ich aber sehe, ist, dass die Schweiz zwar eines der besten Gesundheitssysteme hat, dass es aber trotzdem immer wieder an seine Grenzen stösst. Spitäler und Einrichtungen werden sehr oft mit Banalitäten konfrontiert, beispielsweise weil die Leute falsche Schlüsse aus Selbstanamnesen per Google-Suche ziehen und dann das Schlimmste befürchten. Es gibt mittlerweile jedoch gute KI-Tools, wie zum Bespiel die Plattform RAFAEL zu Long Covid, die die wichtigsten Gesundheitsfragen sehr niederschwellig und seriös beantworten können. Solche Möglichkeiten sind sicher ein Resilienzfaktor. Niederschwellige KI-Angebote zu Gesundheitsthemen können auch interessant für Unternehmen sein, gerade für kleinere, die über keine internen Anlaufstellen verfügen. Auch können sich Führungspersonen in kleineren Strukturen, die nur wenig Austausch haben, von KI beraten lassen, beispielsweise wenn sie wissen möchten, wie man eine Kündigung auf eine gute Art und Weise abwickeln kann.

Psychische Probleme sind oft mit Scham verbunden. Wie kann dem entgegengewirkt werden?

Bürki: Organisationen wie Pro Mente Sana leisten hier gute Arbeit. Zudem tragen Prominente, die offen über ihre psychischen Probleme sprechen, zur Enttabuisierung bei. Ich denke da beispielsweise an die Politikerin Natalie Rickli, die öffentlich bekannt gab, dass sie ein Burnout hatte, oder an die US-Kunstturnerin Simone Biles, die bekundete, dass sie eine Auszeit wegen psychischer Probleme benötige. Auch gibt es Netflix-Serien über David Beckham oder Robbie Williams, die von massiven psychischen Episoden berichten. Es hilft natürlich sehr viel, wenn Vorbilder Risse erkennen lassen und über solche Themen sprechen. Im Unternehmensalltag bringt am meisten, wenn an Teammeetings oder in Einzelgesprächen regelmässig und vorbehaltslos auch die Themen Gesundheit, Wohlbefinden und Auslastung besprochen werden.

Kommen wir zum Schluss noch auf die BGM-Tagung zu sprechen: Wie ist sie aufgebaut und welche Schwerpunkte wurden gesetzt?

Bürki: Die Tagung beleuchtet sowohl die organisationale als auch die individuelle Resilienz. Wie gesagt, es reicht nicht, nur die eine oder die andere zu stärken – es braucht beides. Meiner Meinung nach ist die individuelle Resilienzförderung mittlerweile in den Unternehmen angekommen – immer mit der Botschaft verbunden, «Du hast dein Schicksal in der Hand und bist dafür verantwortlich, dass du gesund bist.». Das passt gut zur vorgefassten Meinung, dass die Gesundheit der Eigenverantwortung untersteht und zum grössten Teil eine Privatangelegenheit ist. Dagegen ist die organisationale Resilienz, also welche resilienzfördernden Faktoren es auf Ebene Betrieb gibt, in vielen Firmen noch nicht wirklich ein Thema. Doch es braucht eben beides. An der BGM-Tagung adressieren wir diese Problematik ganz klar. Weiter haben wir dafür gesorgt, dass auch die angewandte Forschung zu Wort kommt, da sich das Thema Resilienz in den letzten Jahren stark weiterentwickelt hat. Eine Kapazität in dieser Hinsicht sind sicherlich Prof. Dr. Jens Meissner und Alexander Hunziker, die sich stark mit der organisationalen Resilienz auseinandersetzen. Eine weitere spannende Persönlichkeit ist sicherlich die ehemalige Skirennfahrerin Dominique Gisin, die über ihre Erfahrungen im Bereich Resilienz berichten wird.

Angeboten wird neben Workshops und Plenen auch ein Mini-Barcamp. Was ist das?

Bürki: Ein Mini-Barcamp ist ein interaktives Format, bei dem die Themen von den Teilnehmenden selbst vorgeschlagen und bearbeitet werden. So soll viel Bewegung und Austausch in der Diskussion stattfinden.

Die BGM-Tagung ist mehrsprachig. Wie funktioniert das?

Bürki: Wir haben deutsch- und französischsprachige Referate, die synchron in der jeweils anderen Sprache übersetzt werden.

Auch das Networking soll gefördert werden. Welche Möglichkeiten werden geboten?

Bürki: Es gibt Pausen für Networking, das Mini-Barcamp bietet Möglichkeiten zum Austausch und am Ende der Veranstaltung offerieren wir einen Apéro. So stehen insgesamt etwa drei Stunden für reines Networking zur Verfügung.

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Daniel Thüler

Daniel Thüler, Chefredaktor HR Today, daniel.thueler@hrtoday.ch

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