Schwul – Na und?
Bis vor Kurzem galt es nicht nur als «unschick», sondern sogar als Karrierekiller, sich als Führungskraft zur gleichgeschlechtlichen Liebe zu bekennen. Inwiefern hat sich das geändert? Und was kann das Diversity Management beitragen? Wir haben drei Experten befragt.
Ob Gay Parade, Adoptionsrecht für Schwule und Lesben, Pensionskassengleichstellung oder gleichgeschlechtliche Ehe: Die Anliegen von Schwulen und Lesben scheinen in der Gesellschaftsmitte angekommen und enttabuisiert zu sein. Wenngleich die gesellschaftliche Akzeptanz gestiegen ist, bekennen sich auch heute nur vereinzelte Führungskräfte zu ihrer sexuellen Ausrichtung.
Helena Trachsel, Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung von Frau und Mann, nennt das Kind beim Namen: «Trotz interner Richtlinien wird Homosexualität in den Chefetagen oft nicht akzeptiert.» Darüber offen zu sprechen, «kann auch heute noch die Karriere, Beziehungen oder Kunden kosten». Ängste, die betroffene Mitarbeitende auch gegenüber Yvonne Seitz, der Diversity-Beauftragten des Axa-Konzerns, äussern: «Aus Gesprächen mit homosexuellen Mitarbeitenden wissen wir, dass einige unterschwellig immer noch die Befürchtung haben, diskriminiert zu werden.» Angelo Ciaramella, Executive-Spezialist und HR-Kommunikationsexperte, erklärt die mediale Absenz von homosexuellen Managern hingegen damit, «dass es zwar viele gibt, aber schlicht und einfach zu wenige von öffentlichem Interesse». Zudem habe mit der gesellschaftlichen Akzeptanz ein «erzwungenes Outing» einfach an Bedeutung verloren.
Versteckspiel kostet Kraft
Die Selbstverständlichkeit, mit der Diversity gelebt werde, sei auch von der Branche oder vom Betrieb abhängig, glauben Yvonne Seitz und Angelo Ciaramella. «Ein handwerklicher Betrieb im Bündnerland oder eine international aufgestellte Firma in Zürich haben eben unterschiedliche Voraussetzungen und dementsprechend hat das Thema Diversity eine andere Bedeutung und Gewichtung», sagt Ciaramella.
In welchem Unternehmen man auch arbeitet: «Versteckspielen» kostet Kraft und Energie, sind sich die Befragten einig. Dann zum Beispiel, «wenn Mitarbeitende gegenüber Vorgesetzten und gegenüber ihrem Team nicht offen über ihr Privatleben sprechen können», meint etwa Yvonne Seitz. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass «Mitarbeitende in einem von Toleranz und Respekt geprägten Umfeld bis zu 20 Prozent produktiver sind», ergänzt Helena Trachsel.
In einer wenig offenen Unternehmenskultur würden aber nicht nur Produktivitätsverluste, sondern auch die Abwanderung von qualifizierten und motivierten Arbeitskräften drohen, glaubt Angelo Ciaramella: «Arbeitnehmende können sich heute viel mehr aussuchen, in welcher Branche, Firma oder Umgebung sie arbeiten wollen.» Sei die Firmenkultur wenig fortschrittlich, «wechseln die Arbeitnehmenden, denen Diversity wichtig ist, eben über kurz oder lang in ein Unternehmen, das diese tatsächlich lebt».
Mehr Pragmatismus
Dass Mitarbeitende sich selbst sein können, liegt somit nicht nur im Interesse der Betroffenen, sondern auch in jenem der Unternehmen. Angelo Ciaramella plädiert für eine «lockere Selbstverständlichkeit und mehr Pragmatismus» im Umgang mit Homosexualität. Statt eines «Outings» sei es zielführender das Thema in «angebrachten Situationen» anzusprechen – etwa bei einem Afterwork-Zusammensein mit Kollegen, wenn ein medienrelevantes Thema wie die Adoption von Kindern bei gleichgeschlechtlichen Paaren zur Sprache kommt oder sich das Gespräch um Beziehungen dreht. «Ein gesundes Selbstbewusstsein ist dabei unabdingbar, da man je nach Firma auch gleich zum Botschafter wird.» Unangebracht sei es hingegen, sich vor versammelter Belegschaft erklären zu müssen, geschweige denn im Bewerbungs- oder Beurteilungsgespräch darauf angesprochen zu werden. «Wenn es nichts mit dem Aufgabengebiet zu tun hat, ist das Thema fehl am Platz.»
Umsonst ist eine solch offene Firmenkultur jedenfalls nicht zu haben: So investiert die Axa in Führungskurse, Mentoring-Programme, Lunch-Events, Workshops, Blogs und eine kontinuierliche Kommunikation gegenüber den Mitarbeitenden, um sie für Vielfalt zu sensibilisieren und Diversität erlebbar zu machen. «Akzeptanz geht oft damit einher, dass man Menschen kennenlernt, die einem aufzeigen, dass trotz einiger Verschiedenheit auch viel Gemeinsamkeit vorhanden ist», so Yvonne Seitz.
Dabei ist ihr der Fairness-Ansatz wichtig: Alle Mitarbeitenden erhalten beispielsweise bei einer Eheschliessung oder einer registrierten Partnerschaft gleich viele Ferientage. Auch bei der Wortwahl ist Vorsicht angebracht: «Wir sprechen intern und extern von Partner und Partnerin statt Ehefrau und Ehemann.»
Diskriminierungsfreie Diversity
Um ein diskriminierungsfreies Diversity Management zu etablieren, braucht es nicht gleich eine eigene Unternehmensabteilung wie bei der Axa: So bietet etwa die Fachstelle für Gleichstellung des Kantons Zürich Antidiskriminierungskurse für Fach- und Führungskräfte an.
«Soziometrie im Raum sichtbar machen», nennt Helena Trachsel das Spiel, mit dem sie in diesen Kursen die Beziehungen zwischen Gruppenmitgliedern aufzeigt. Willkürlich werden einige Teilnehmende mit bestimmten Eigenschaften gebeten, aufzustehen, sei es aufgrund einer bestimmten religiösen Angehörigkeit, Erkrankung oder Behinderung oder sexuellen Orientierung.
Manchmal stünde dann eine einzelne Person alleine da – inmitten der sitzenden Teilnehmenden. Ein- und Ausgrenzung würden so deutlich erkennbar. «Dies macht viele Teilnehmende betroffen, weil sie erkennen, wie schnell Diskriminierung entsteht.»
Was immer ein Unternehmen in Sachen der Diversität tut, es sollte die Thematik mit «Unverkrampftheit» angehen, fordert Angelo Ciaramella. «Sobald eine verängstigte Haltung gegenüber der Auswirkung von Diversity besteht, wird in einem Unternehmen weder kurz- noch langfristig eine positive Atmosphäre geschaffen.» Wer sich jedoch mit ehrlichem Stolz und einer selbstverständlichen Offenheit und Toleranz zur Diversity bekenne, beeinflusse die Unternehmenskultur und werde zur Gleichberechtigung aller Mitarbeitenden beitragen.