Talentmanagement

Talente brauchen Schwimmflügel in der Entwicklung – sonst gehen sie baden

Beim Übergang auf die nächste Karrierestufe müssen Talente gewisse Dinge lernen und andere wieder verlernen. 
Nur wenn ihnen dafür die richtigen Lernmöglichkeiten zur Verfügung stehen, ist die Chance gross, dass sie ihre interne Karriere fortsetzen können.

Studien zeigen, dass von jenen Mitarbeitern, die bei ihren Arbeitgebern als Talente galten, nach der nächsten internen Beförderung knapp die Hälfte als Fehlgriffe eingestuft 
wurden und sich etwa 30 Prozent der 
High Potentials immer weniger mit «ihrem» 
Unternehmen identifizieren (Martin/Schmidt 2010). Pech gehabt? Undankbarkeit? Dumm gelaufen oder nur Hochstaplern zum Opfer gefallen? Hier scheint häufig etwas schiefzulaufen. Auf der Suche nach den Ursachen glauben wir, in unserer Untersuchung 
«Talentpolitik auf dem Prüfstand» doppelt fündig geworden zu sein: Zum einen sehen wir eine zeitlich und methodisch unzureichende Vorbereitung der Talente auf neue Aufgaben, zum anderen – damit zusammenhängend – die Schwächen vieler Führungskräfte als Talententwickler. Dem erstgenannten Thema widmet sich dieser Beitrag.

Um etwas zu lernen, muss 
man es tun

Von Talenten wird angenommen, dass sie sich durch ausgeprägte Lernfähigkeit auszeichnen. Deshalb können sie sich rasch jene Kompetenzen erwerben, die sie für die erfolgreiche und kreative Bewältigung neuer und zunehmend komplexer Aufgaben benötigen. Nicht jedes Lernsetting ist allerdings geeignet, den Lernenden jede beliebige Kompetenz zu vermitteln: So bleiben Fallstudien kasuistisch; ist E-Learning kaum geeignet, soziale Kompetenzen zu trainieren; kann man sich praktische Handlungskompetenz im Seminarraum nur schwer aneignen. Das ist für Erwachsenenbildner zwar eine triviale Erkenntnis, doch scheint sich diese in der Praxis noch nicht hinreichend durchgesetzt zu haben. Eine Rückfrage bei den «alten Griechen» könnte da helfen: «Was man lernen muss, bevor man es tun kann, lernt man, indem man es tut!» (Aristoteles). Oder – etwas aktueller: «It is what s/he does that s/he learns, not what the teacher does!» (Tyler 1949 – gendergerecht adaptiert von StL/MS). Ähnlich einem Nichtschwimmer, der sich nur mit voll aufgeblasenen Schwimmflügeln über Wasser halten kann, dem man mit zunehmender Schwimmfähigkeit langsam die Luft aus den Schwimmflügeln entweichen lässt, bis er sich wirklich sicher im Wasser bewegt, sollten Talente angemessen auf die Übernahme von Positionen mit höherer Komplexität und Verantwortung vorbereitet werden.

Nur wer weiss, wohin die Lern-Reise gehen soll, kann in den richtigen Lern-Zug einsteigen: Wenn es um Haltungen gegenüber sich selbst, gegenüber dem Unternehmen oder gegenüber Dritten geht oder wenn soziale Kompetenzen weiterentwickelt werden sollen, benötigen Qualifizierungsprozesse einen passenden sozialen, reflektierenden und handlungsförderlichen Kontext. Ähnliches gilt, wenn der Übergang in eine neue Funk-tion vorzubereiten ist; und besonders, wenn diese Funktion auf einer hierarchisch höheren Stufe angesiedelt sein sollte. Hier ist Erfahrungslernen zur Entwicklung von Kompetenzen gefragt, sehr viel weniger das Reproduktionslernen zum Trainieren von Qualifikationen. Konsequenterweise ist dann dem Lernen on-the-job oder near-the-job gegen-über dem klassischen kognitiven Lernen Priorität einzuräumen.

Neuer Ansatz: Talente coachen 
die Führungskräfte

Es gibt viele praktische Zugänge, wie Talententwicklung arbeitsplatznah gestaltet werden kann: Sinnvoll ist ein Mix aus internen strategischen Projekten, Arbeit in gezielten Task Forces, Blended-Learning-Sequenzen, kollegialer Beratung, Mentoring, Einzel- und Gruppen-Coaching, Lernpartnerschaften oder Supervision. Ein bislang ungewohnter, aber spannender Ansatz wurde kürzlich von Robert Kaplan empfohlen: das Coaching von Führungskräften durch Talente. Das mag den «Hierarchen» zwar anfangs sonderbar vorkommen; wer sich aber darauf einlässt, erhält wertvolles Feedback, wirkt vorbildhaft und motiviert die künftigen Führungskräfte.

Es geht jedoch nicht nur darum, festzulegen, was neu zu lernen ist – ebenso wichtig ist es, dass die Talente im Zuge des Übergangs auf die nächste Karrierestufe lernen, was sie verlernen müssen. Dies wird nachvollziehbar, wenn wir beispielsweise den Schritt vom Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung für Dritte zum Teamleiter betrachten. Waren bisher meist die eigene fachliche Expertise und die operative Aufgabenerledigung der Schlüssel zum Erfolg und der Schlüssel zur persönlichen Sicherheit, verschieben sich die Leistungskriterien zunehmend in Richtung Leitungskompetenz, heisst es nun, den Mitarbeitern Freiräume zu geben und Abschie zu nehmen von den bisherigen Routinen. In der Praxis ist dies offenbar ganz schwer.

Neue Formen der Vorwärtsbewegung ausprobieren

Talente stehen also vor der Aufgabe, das, was sie bisher erfolgreich machte, zu einem Teil wieder zu verlernen. Sie müssen durch sorgfältig modulierte Lernprozesse mit ihrem Standbein Trittsicherheit finden und mit ihrem Spielbein neue Formen der Vorwärtsbewegung ausprobieren können. Sie bloss «ins kalte Wasser des Neuen» zu werfen und zu hoffen, dass sie dabei schon nicht untergehen, erscheint verantwortungslos – den Talenten und dem Unternehmen gegenüber. Schwimmflügel sind ein gutes «Werkzeug» für erfolgreiche Talententwicklung.

Literatur

  • Charan, R./Drotter, S./Noel, J. (2001): The Leadership Pipeline. How to build the leadership pow-ered company; Jossey Bass/Wiley, London.
  • Kaplan, R.St. (2011): Martin, J./Schmidt, C. (2010): So funktioniert Talentmanagement. In: Harvard Business Manager, Juli 2010, S. 27–36.
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Stephan Laske, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik, Universität Innsbruck, seit 2009 im «aktiven Ruhestand». Mitglied des Vorstands und wissenschaftlicher Beirat der Transformation 
Management AG.

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Martin Sonnert studierte Wirtschafts- und Wirtschaftsingenieurwissenschaften, war in diversen Kaderfunktio-nen tätig und ist Mitglied des Vorstandes der Transformation Management AG.

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