Talentmanagement

Talentmanagement ist kein Ziel, sondern eine strategische Reise

Funktionen, die heute wichtig sind, behalten in Zukunft nicht zwingend ihre Bedeutung. Und «strategic critical key 
positions» sind nicht automatisch entlang der Hierarchie aufgefädelt. Hier die richtigen Fragen zu stellen, die für die 
Zukunft der Organisation ausschlaggebend sind, ist Aufgabe des HR. Teil 2 unserer Talentmanagement-Serie.

«Ich weiss zwar nicht, wo ich hinwill, aber dafür bin ich schneller dort», persiflierte der Wiener Kabarettist Helmut Qualtinger den oft hektischen Aktivismus der Moderne. Diese Aussage lässt sich ohne Schwierigkeit zur Charakterisierung des Talentmanagements in vielen deutschen, österreichischen und Schweizer Unternehmen heranziehen. Konkret: Von den in unserer Studie einbezogenen Schweizer Organisationen haben knapp 15 Prozent eine nachvollziehbare Vorstellung davon, wie Talentmanagement zu einer personalen Absicherung ihrer längerfristigen Geschäftsstrategie beitragen soll. Für den Rest gilt durchwegs ein «Trend zum rasenden Stillstand» (diese Charakterisierung verdanken wir Hans Pechar (Wien).

Was, so fragt man sich, unterscheidet die wenigen von den vielen – auch in Letzteren sitzen schliesslich kluge Köpfe in der Geschäftsführung und im HR, die die Verantwortung für ihr Unternehmen ernst nehmen? Der geradezu paradigmatische Unterschied im Zugang ist offenkundig: Strategieorientiertes Talentmanagement setzt sich systematisch damit auseinander, welche Kompetenzen in Zukunft für eine nachhaltige Unternehmensentwicklung erfolgskritisch sind.

Damit dieser Anspruch nicht in der Beliebigkeit des Offensichtlichen stecken bleibt (im Sinne von z.B. Begeisterungsfähigkeit, Fähigkeit zu qualifizierten Entscheidungen, die eine erfolgreiche Führungsperson auch heute schon idealerweise mitbringen muss etc.), orientieren sich die Top-Organisationen an den aus der Strategie abgeleiteten, zukunftskritischen Schlüsselpositionen. Deren Anzahl liegt in der Regel zwischen 0,5 und 1,5 Prozent der Gesamtpositionen eines Unternehmens. Auf eben diese Positionen wird der Fokus gelegt. Gefragt wird, welche Verhaltensweisen eine erfolgreiche Wahrnehmung der jeweiligen Position in Zukunft sicherstellen werden. Diese Verhaltensanker erlauben eine qualifizierte Zusammenfassung zu Kompetenzfeldern und Kompetenzclustern, auf die hin das strategische Talentmanagement auszurichten ist. Erst durch diese Arbeitsschritte ist eine nachvollziehbare und pragmatische Verlinkung des Talentmanagements mit der Geschäftsstrategie des Unternehmens sichergestellt.

Überzeugende Darlegung des HR-Wertschöpfungsbeitrags ist nötig

Die qualifizierte Auseinandersetzung mit diesen Fragen setzt voraus, dass die Organisation gegen den Strich der Hierarchie, der Routine und (zumindest ein wenig) auch der aktuellen Machtstrukturen gebürstet werden muss. Nicht zwingend behalten nämlich Funktionen, die heute wichtig sind, auch morgen noch ihre Bedeutung. Und ebenso wenig sind die «strategic critical key positions» automatisch entlang der Hierarchie aufgefädelt. Sich zu trauen, derartige Fragen zu stellen, bedeutet, dass sich HR «auf Augenhöhe» mit dem Vorstand oder der Geschäftsführung befindet und sich seine Bedeutung als wichtiges personales Risk-Management bereits erarbeitet hat. Eben hier scheint der oben angesprochene Unterschied zwischen den beiden Gruppen zu liegen: Wer als HR-Verantwortlicher nicht das notwendige Rüstzeug in der Strategieentwicklung mitbringt, nicht eingebunden ist oder bestenfalls im Nachhinein über mögliche Ergebnisse informiert wird, tut sich schwer, sein beziehungsweise ihr Handeln systematisch an diesen Ergebnissen auszurichten.

Hieraus leiten wir zwei Grundempfehlungen für jene Unternehmen ab, die ihr Talentmanagement langfristig und zukunftsorientiert ausrichten wollen: HR muss erstens strategische Geschäftskompetenz besitzen und in der Lage sein, den Leitungsorganen den eigenen Wertschöpfungsbeitrag überzeugend darzulegen. Das ist weiss Gott meist keine leichte Aufgabe. Sowohl in der Selbst- als auch in der Fremdwahrnehmung findet sich HR als Funktion nämlich vielfach eher im «Dienstbotenkammerl» als im Salon, in dem die wichtigen Entscheidungen gefällt werden. Zweitens muss HR den Mut haben, jene Fragen zu stellen, die für die Zukunft der Organisation ausschlaggebend sein werden. Denn nur HR befindet sich strukturell in der Position, derartige hierarchieübergreifende Fragen zu stellen. Sofern es gelingt, diese beiden Prämissen zu erfüllen, ist die weitere Reise zur Professionalisierung des Talentmanagements zwar nicht leicht, aber hoffentlich nachhaltig.

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Prof. Dr. Gerhard Graf promovierte in Wirtschaftswissenschaften und ist Vorsitzender des Vorstandes der Transformation Management AG in St. Gallen sowie 
Dozent für Change Management.

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Stephan Laske, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik, Universität Innsbruck, seit 2009 im «aktiven Ruhestand». Mitglied des Vorstands und wissenschaftlicher Beirat der Transformation 
Management AG.

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