«Totgesagte leben länger»
Während manche Outsourcing für ein Auslaufmodell halten, schwören andere darauf. Wir haben Berater und HR-Fachleute zum Thema befragt und eine Momentaufnahme zur Auslagerung von HR-Prozessen gemacht.
«Die Lohnkosten zwischen Ost und West sind immer noch genügend gross, um Personalkosten einzusparen.» Philipp Stirnemann, HR-Verantwortlicher, Onlinetreuhänder, abrechnungen.ch. (Bild: 123rf)
«Outsourcing ist out» titelte die NZZ am Sonntag im Mai vergangenen Jahres. Besonders Outsourcing-affine Banken würden ihr strategisches Wissen vermehrt zurückholen und dafür mehr Personal in der Schweiz einstellen. Das bringe kürzere Kommunikationswege, mehr Effizienz und eine höhere Dienstleistungsqualität mit sich. Daneben ortete die NZZ sinkende Einspareffekte durch steigende Löhne in Outsourcing-Ländern wie Polen oder Indien. Mit der Digitalisierung würden sich zudem neue Möglichkeiten auftun, um Dienstleistungen zurückzuholen und mit eigenem Personal abzuwickeln, so das Fazit des Artikels. Doch entspricht dieses Bild den tatsächlichen HR-Gegebenheiten?
Zumindest bei der CS ist vorerst keine Abkehr vom Outsourcing zu erkennen: Die Bank hat schon vor einigen Jahren Teile des Recruitingprozesses wie Jobpostings oder Prescreenings firmenintern in HR-Service-Centers ausgelagert. «Es ist eine Wellenbewegung», erklärt Fernando Carlen, Geschäftsführer des HR-Dienstleisters Avenir Services, zum vermeintlichen Insourcing-Trend. «Firmen, die jahrelang viele Prozesse ausgelagert haben, wickeln diese vermehrt wieder intern ab, während andere Unternehmen erst mit der Auslagerung begonnen haben. Das hängt vom aktuellen Management, von der Unternehmensstrategie und der Wirtschaftslage ab.»
Wunschdenken Insourcing
Prinzipiell geht Carlen sogar von einem verstärkten Outsourcing-Trend aus: «Die meisten Betriebe sind in den Kernprozessen wie Produktion, Vertrieb und Service schon sehr effizient, digital und automatisiert. Nun gelangen HR- und andere Unterstützungsprozesse vermehrt in den Fokus der Optimierungsbewegung.» Auch für Philipp Stirnemann, HR-Verantwortlicher beim Onlinetreuhänder abrechnungen.ch, leben Totgesagte länger. «Eine Umkehr zum Insourcing ist eher Wunschdenken.»
Durch den schnellen technologischen Wandel und die steigende Komplexität könnten Outsourcing-Unternehmen viele HR-Prozesse besser, schneller und kostengünstiger anbieten, als ein Unternehmen selbst dazu imstande sei, sagt Avenir-Services-Chef Carlen. Das bestätigt Reinhard Merz, CEO des Payroll-Outsourcers Kwaxx: «HR-Projekte bleiben häufig liegen oder scheitern, weil die Kenntnisse nicht vorhanden sind, um sie voranzutreiben. Ein spezialisierter Outsourcing-Provider kann hier viel Erfahrung einbringen.» Optimierungsbedarf ortet er im HR besonders bei der Lohnverarbeitung und der Personaladministration. «Viele Formulare werden immer noch von Hand ausgefüllt. Repetitive Arbeiten erfordern erhebliche Kapazitäten.»
Betreibt ein Unternehmen Insourcing, hat das für Avenir-Services-Geschäftsführer Fernando Carlen hauptsächlich mit strategischen HR-Überlegungen zu tun. «Um Talente zu finden, müssen sich Firmen anderen Unternehmen gegenüber am Arbeitsmarkt heute stärker durchsetzen. Daher ist die strategische Relevanz des Recruitings gestiegen.»
Das Gute liegt so nah
Die Digitalisierung verändert die Anbieterszene. Etwa, weil dadurch im Inland weniger Personal gebraucht wird, meint Carlen: «Schweizer Outsourcer werden ausländischen Anbietern gegenüber wieder konkurrenzfähig.» Für Outsourcing-Anbieter Reinhard Merz spricht ebenfalls vieles für Nearshoring: «Statt Outsourcing mit Firmen in Schwellenländern zu betreiben, deren Qualität man nicht abschätzen kann, erachten wir es als nachhaltiger, bestimmte HR-Prozesse zu standardisieren oder zu automatisieren.»
Trotz des steigenden Lohnniveaus in den Schwellenländern glaubt Philipp Stirnemann weiter an das Sparpotenzial des ferngelegenen Outsourcings. «Die Lohnkosten zwischen Ost und West sind immer noch genügend gross, um Personalkosten einzusparen. Die Frage ist bloss, ob diese ausreichen, um den Zusatzaufwand eines Offshoring-Outsourcings zu rechtfertigen.»
Dass das Offshoring in fernen Ländern bei fehlender Standardisierung und vermehrtem Kommunikationsaufwand teurer ist als veranschlagt, weiss eine ehemalige HR-Projektmanagement-Verantwortliche, die sich gegenüber HR Today nur anonym äussern will: «Das Projekt verlangte viel Detailwissen, das das Projektteam nicht hatte. Die Komplexität war zudem sehr hoch, weil steuerrechtliche Aspekte zu beachten waren.» Mit dem Outsourcing der HR-Administration und Payroll nach Polen sei die Mitarbeiterzahl in der Schweiz nach Projektabschluss fast auf dem gleichen Niveau gewesen wie zuvor. «Dass Manager jetzt Administrationsarbeiten ausführen müssen, wurde bei der Projektplanung nicht bedacht.» Daneben seien die dazu erforderlichen Ressourcen beim globalen Projekt unterschätzt worden: «Reibungspunkte waren vor allem die fehlenden Mittel. Der Leiter des HR-Shared-Services-Centers war nebst dem Tagesgeschäft für das globale HR-Outsourcing-Projekt verantwortlich. Um die damit anfallenden Aufgaben zu bewältigen, hätte er sich gleich zweimal klonen müssen.»
Auf der Kostenseite habe sich das Projekt deshalb nicht rentiert. Immerhin: Für die Mitarbeitenden habe es sich insofern gelohnt, weil mit der Auslagerung der Personaladministration gleichzeitig ein modernes Zeitmanagement- und ein Selfservice-Tool eingeführt worden seien. «Damit können die Mitarbeitenden ihre Daten nun selbständig mutieren. Vorher mussten sie für Adressänderungen einen Antrag beim HR-Service stellen.» Doch was würde sie heute anders machen? «Die IT so schnell wie möglich involvieren, vor dem Projektstart HR-Prozesse vereinfachen und alte hinterfragen.» Dasselbe gelte für bestehende Reglemente, insbesondere, wenn mehrere Standorte involviert seien. «Ausserdem ist es nützlich, Mitarbeitende im Projektteam zu haben, welche die Prozesse im Detail kennen und konzeptionell denken können.»
Weniger Kostenvorteile im Offshoring
Hat man ein Outsourcing-Projekt im Offshoring erst einmal über die Bühne gebracht, beginnt oft die Optimierungsarbeit, sagt HR-Leiter Philipp Stirnemann. Etwa, weil das Zeugnisschreiben an ein polnisches HR-Service-Center mit einer hohen Mitarbeiterfluktuation ausgelagert wurde: «Dass dies ein Qualitätsproblem nach sich zieht, ist leicht nachvollziehbar.» Denn um ein Arbeitszeugnis zu erstellen, benötige man verschiedenste Fähigkeiten: Sprachkenntnisse, HR-Know-how, ein Verständnis für die Schweizer Mentalität oder den Umgang mit den entsprechenden Programmen. «Das muss man zuerst lernen.»
Weil einem polnischen Mitarbeitenden die helvetischen Gepflogenheiten nicht bekannt seien, daure die Einarbeitung häufig länger als in der Schweiz. Zum Problem werde in einem solchen Fall aber vor allem die fehlende Mitarbeiterloyalität im Outsourcing-Land: «Hat sich ein Shared-Service-Center-Angestellter die entsprechenden Fähigkeiten angeeignet, ist er meist wenig motiviert, zu bleiben.» Um ihre Mitarbeitenden nach der Einarbeitung zu halten, sähen sich in Polen ansässige Shared-Service-Betreiber deshalb zunehmend gezwungen, die Löhne der Beschäftigten auf ein höheres Niveau anzuheben. Für Stirnemann einer der Gründe, weshalb die Kostenvorteile von Nearshoring zunehmend nichtig sind.
Ob in der Ferne oder im Inland: Um ein Outsourcing-Projekt effizient abzuwickeln, sei die Kommunikation das A und O, sagt Reinhard Merz. «Durch Outsourcing werden Dienstleistungen ausserhalb des Unternehmens erbracht. Deshalb muss der Outsourcer das Kundenbedürfnis des Auftraggebers zwingend richtig erfassen und laufend an die sich ändernden Anforderungen anpassen.»