HR Today Nr. 9/2020: Diversity – Gleichstellung

«Unbezahlte Arbeit kann in die Altersarmut führen»

Die Schweiz ist in Sachen Gleichstellung im Hintertreffen. Weshalb immer noch Handlungsbedarf besteht. Helena Trachsel, Leiterin der Fachstelle Gleichstellung des Kantons Zürich, im Gespräch.

Helena Trachsel, wie divers ist die Schweiz?

Helena Trachsel: Wir sind eine gut durchmischte Gesellschaft. Ende 2019 lag der Ausländeranteil der ständigen Wohnbevölkerung in der Schweiz bei 25,3 Prozent. Das sind rund 2,2 Millionen Menschen.

Wie divers sind Arbeitgebende?

Ohne Zugewanderte könnten wir unsere Dienstleistungen und die Produktion weder aufrechterhalten noch ausbauen. Ob privat oder öffentlich: Arbeitgebende müssen vielfältig rekrutieren, um ihre Stellen zu besetzen.

Viele Menschen fühlen sich aber auf dem ­Arbeitsmarkt benachteiligt. Ein Widerspruch?

Diese Frage deutet in Richtung Gleichstellungsgesetz und dem darin vorgegebenen Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dürfen aufgrund ihres Geschlechts direkt und indirekt nicht benachteiligt werden. Namentlich nicht wegen ihres Zivilstands, ihrer familiären Situation oder bei einer Schwangerschaft.

Fühlen sich Bewerbende aufgrund ihres Geschlechts, Alters, ihrer sexuellen Orientierung, Herkunft, Beeinträchtigung oder Religionszugehörigkeit benachteiligt, rate ich zu einer Beratung bei einem Personal- oder Berufsverband, einer Fachstelle oder Gewerkschaft.

Wir laufen vermutlich auf eine Wirtschaftskrise zu. Was ändert das?

Arbeitgebende müssen in einem Wirtschaftstief Kosten reduzieren. Meist gehen sie dabei sozial und verantwortungsbewusst um. Dass häufig Teilzeitstellen abgebaut werden, hat verschiedene Gründe. Einer davon könnte sein, dass Vorgesetzte davon ausgehen, dass Teilzeiterwerbstätige Zuverdienende sind, denn aktuell arbeiten 59 Prozent der Frauen und nur gerade 18 Prozent der Männer in einem reduzierten Arbeitspensum. Männer behalten somit grösstenteils ihre Vollzeitpensen und müssen mit ihrem Salär ihre Familie ernähren.

Weshalb sind niedrige Teilzeitpensen bei Frauen dennoch beliebt?

Dass Frauen weit häufiger als Männer einer ­Teilzeitbeschäftigung nachgehen, ist vor allem mit der Kinderbetreuung und der unbezahlten Pflegearbeit zu erklären.

Sind uns die nördlichen Länder in der Gleichstellung voraus?

In der Gesetzgebung sind sie uns Jahrzehnte voraus. So beträgt die Elternzeit in Schweden 480 Tage, die von Mann und Frau in Teilzeit bezogen werden kann. Nach der Mutterschaftszeit von 14,5 Wochen für Frauen und 9 Wochen für Männer können Frau und Mann 26 Wochen Elternzeit während des ersten Lebensjahres des Kindes beziehen.

Auch Frankreich, Österreich, Deutschland und Italien stehen im Vergleich zur Schweiz besser da. Die hohe Teilzeiterwerbsquote der Frauen zeigt jedoch, dass ihnen sehr viel am Verbleib im Berufsleben liegt.

Das Gleichstellungsgesetz scheint in die Jahre gekommen zu sein. Was muss sich ändern?

Das Gleichstellungsgesetz von 1996 ist in Revision und wurde gerade im November 2018 vom eidgenössischen Parlament um den Artikel 13 zu den verpflichtenden Lohnanalysen für Firmen mit über 100 Mitarbeitenden ergänzt. Dieses Gesetz ist nun am 1. Juli 2020 in Kraft getreten.

Eines der Topthemen auf der politischen Agenda muss die unbezahlte Betreuungsarbeit werden. Meist sind es Frauen, die kranke Kinder oder unterstützungsbedürftige Angehörige betreuen. Da sie dafür nicht bezahlt werden, sind sie auch nicht sozialversichert. Das kann zu einer verstärk­ten Altersarmut führen. Vor allem hindert diese intensive Betreuungs- und Pflegearbeit viele Frauen daran, eine höherprozentige Arbeit anzunehmen, sich ihrer Karriere zu widmen oder Führungsaufgaben zu übernehmen.

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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