Warum nicht auch mal jammern?
«Jammern» ist im betrieblichen Kontext meist verpönt. Dabei hat das Jammern auch eine soziale Funktion. Und nicht selten ist es sogar ein Frühwarnsystem für Defizite, die zu massiven Problemen führen können.
Jammern kann auch ein wichtiges Ventil sein. (Bild: iStock)
Jeder tut es – mehr oder weniger oft und mal mehr oder weniger laut: jammern. Über das Wetter, das körperliche Wohlbefinden, die Arbeitsbelastung, den schlechten Service, die zahllosen Veränderungen und vieles mehr.
Doch wer es zu oft und laut tut, wird nicht selten mit dem Etikett «Jammerlappen» versehen. Oder die betreffende Person wird zum Beispiel von ihrer Führungskraft in die Kategorie «Ja, aber-Mensch» einsortiert, die, egal was passiert, immer etwas beklagen hat, und die man im Auge behalten sollte, auch damit sie mit ihrem ewigen Negativ-Denken nicht das gesamte Team infiziert.
Zweifellos gilt: In der heutigen Arbeitswelt – in der von den Mitarbeitenden ein hohes Mass an Eigenverantwortung und -initiative sowie eine grosse Veränderungsbereitschaft erwartet wird – wird ein «Jammern» nicht goutiert. Dabei hat es aus psychologischer Sicht auch wichtige, wenn nicht gar positive Funktionen im menschlichen Miteinander, weshalb man es keinesfalls stets als ein Zeichen mangelnder Motivation und Identifikation interpretieren sollte. Zuweilen ist sogar das Gegenteil der Fall.
Jammern hat auch positive Effekte
Ein Jammern im Sinne eines «Dampf ablassens» kann zum Beispiel zu einer emotionalen Entlastung führen, so dass der Druck im Kessel sinkt – wenn Menschen unter einem enormen Arbeits- oder Veränderungsdruck stehen, ist das manchmal schlicht nötig. Für manche Menschen ist das Klagen sogar eine wichtige Bewältigungsstrategie für schwierige Lebensumstände und Herausforderungen.
Jammern hat zudem eine soziale Funktion, denn hierbei teilen Menschen ihre Sorgen und Nöte mit anderen Personen. Das kann sogar den Teamgeist fördern, denn hierdurch wird dem jeweiligen Gegenüber die Möglichkeit gegeben, Mitgefühl und Verständnis zu zeigen sowie Hilfe anzubieten. In Teams erzeugt ein gemeinsames Lamentieren zudem nicht selten ein Gefühl der Zugehörigkeit und stärkt die gemeinsame Identität. Wenn die Mitglieder eines Teams gewisse Sorgen, Nöte und Frustrationen teilen, stärkt dies oft die persönlichen Bindungen zwischen ihnen und somit auch das Wir-Gefühl.
Das Jammern weist zudem oft auf Probleme und Missstände hin, die ansonsten unerkannt blieben. Nicht selten hat es sogar die Funktion eines Frühwarnsystems, indem es auf Schwachstellen in der Organisation verweist, die dringend behoben werden sollten – zum Beispiel um ein Abwandern von Leistungsträgern, ein Scheitern des Projekts oder das Nicht-Erreichen der Unternehmensziele zu vermeiden.
Das Jammern hat aber auch Schattenseiten
Doch auch für das Jammern gilt das Bonmot «Jede Medaille hat zwei Seiten». So zeigt zum Beispiel die Studie wie «Yes, we complain … so what?» von Caroline Aubé und Vincent Rousseau (2016), dass Jammern oft die Teamleistung mindert. Zudem belegen weitere Studien: Wird das Jammern zu einem Bestandteil der Unternehmenskultur, beeinflusst dies die Arbeitsmoral, Kreativität und Produktivität negativ.
Führungskräfte sollten sich dieser Ambivalenz des Jammerns bewusst sein. Zuweilen erfordert es ihre Funktion jedoch sogar, dieses zu stimulieren. So zum Beispiel, wenn sie wissen, dass ihre Mitarbeitenden aktuell wegen eines Change-Projekts gerade unter einer hohen Belastung stehen – auch emotional. Dann kann es sinnvoll sein, ein Meeting beispielsweise mit folgenden Worten zu eröffnen: «So, nun sagen Sie mal alles, was Sie in Zusammenhang mit unserem Projekt xy stört.» Denn dies eröffnet den Mitarbeitenden die Chance, ihre Bedenken und Probleme so zu artikulieren, dass sie nicht nur die Gerüchteküche nähren, sondern anschliessend im Team besprechbar und bearbeitbar sind.
Dabei muss die Führungskraft jedoch darauf achten, dass das konstruktive Beklagen nicht in destruktives Jammern umschlägt. Deshalb sollte die Führungskraft, nachdem sie einige Zeit den Klagen der Mitarbeiter lauschte, zum Beispiel sagen: «Wenn ich Ihre Voten richtig interpretiere, kämpfen Sie aktuell primär mit folgenden drei Problemen: A, B und C. Lassen Sie uns einmal gemeinsam überlegen, wie wir welche Probleme lösen können und mit welchen wir schlicht leben müssen, weil sie sich unserem Einfluss entziehen.» Denn so wird der Diskurs in Richtung Problemlösung gelenkt, und er bleibt nicht bei einem gemeinsamen Beklagen der Ist-Situation stehen.
Bei einem chronischen Nörgeln intervenieren
Generell gilt es als Führungskraft zu unterscheiden, jammert eine Person situationsgedingt oder handelt es sich bei ihr sozusagen um einen Dauernörgler, der mit seinem permanenten Negativ-Talk die Leistung des Teams negativ beeinflusst. Ist Letzteres der Fall, dann sollte die Führungskraft intervenieren.
Generell gilt: Eine von Wertschätzung für die Mitarbeitende geprägte Arbeitsumgebung und eine Führungs- und Kommunikationskultur, die ein offenes Feedback fördern, reduziert die Zahl der destruktiven Klagen. Dasselbe gilt, wenn Mitarbeitende registrieren: Unsere Führungskraft greift bei einem chronischen Lamentieren «korrigierend» ein und fördert uns, soweit möglich, in unserer persönlichen und beruflichen Entwicklung.
Tipps für Führungskräfte im Umgang mit Jammern
- aktiv zuhören und empathisch sein
- zwischen konstruktivem und destruktivem Jammern unterscheiden
- eine positive Arbeitsumgebung schaffen • ein aktives Konfliktmanagement betreiben
- regelmässig Feedback geben
- die nötigen Ressourcen bereitstellen
- Transparenz und Fairness gewährleisten
- bei Bedarf frühzeitig eingreifen
Entsprechend differenziert sollten Führungskräfte auf ein Jammern und Klagen der Mitarbeitende reagieren. Einerseits müssen sie den Bedürfnissen und Emotionen ihrer Mitarbeitenden Beachtung schenken, andererseits aber auch stets die Auswirkungen der Klagen auf die Teamdynamik und Produktivität im Auge behalten.
Von zentraler Bedeutung ist hierbei das Erkennen und Akzeptieren, dass Jammern nicht per se negativ ist. Es kann im Führungsalltag auch ein wertvolles Feedback-Instrument sein, das hilft, Probleme zu identifizieren und zu lösen.
Auch Vorgesetzte dürfen mal jammern
Übrigens, auch Führungskräfte dürfen ab und zu mal klagen und stöhnen, zum Beispiel über die vielen Veränderungen, die sich im Umfeld des Unternehmens vollziehen und die zahlreichen Herausforderungen, die hieraus für sie resultieren. Tut dies eine Führungskraft wohlüberlegt und -dosiert, kann dies sogar ihre Beziehung zu ihren Mitarbeitenden fördern – unter anderem, weil diese dann registrieren: Unsere Vorgesetzte ist auch nur Mensch und keine Maschine.