Strukturwandel

Wie Business Process Reengineering zum Game Changer wird

Unternehmen versuchen Probleme oft mit dem Einsatz neuer Technologien zu lösen. Eher selten hinterfragen sie jedoch ihre Strukturen und Geschäftsprozesse. Business Process Reengineering kommt bei Restrukturierungsprojekten zum Einsatz. Doch Erfolgsfaktor bleibt der Mensch.

In der Wirtschaft vollzieht sich zurzeit ein radikaler Wandel. Allseits ist das Bemühen spürbar mit Hilfe der Digitalisierung die Unternehmensstrukturen und -prozesse schlanker und konkurrenzfähiger zu gestalten. Viele Managementkonzepte versprechen hierbei Hilfe. Als Beispiele seien Lean Management, Total Quality Management und Kaizen genannt. Ein weiterer Ansatz, der um die Jahrtausendwende boomte, ist das Business Process Reengineering (BPR). Dieses Konzept wird auch heute noch bei vielen Restrukturierungsprojekten genutzt, denn es verbindet das Bemühen um eine intelligentere Gestaltung der betrieblichen Abläufe und Prozesse mit dem Anspruch einer kundenorientierten Produktion bzw. Leistungserbringung.

Die Geschäftsprozesse ganzheitlich betrachten

Die starke Resonanz, die dieses Konzept erfährt, erklärt sich auch daraus, dass viele Rationalisierungsprojekte und Kostenreduzierungsmassnahmen in der Vergangenheit in eine Sackgasse führten. Mit ihnen wurden zwar die Personalkosten so stark gesenkt, dass sie heute zuweilen sogar weniger als zehn Prozent der Gesamtkosten ausmachen. Dabei geriet jedoch oft der Mensch als Erfolgsfaktor aus dem Blickfeld.

Das Business Process Reengineering (BPR) verfolgt einen anderen Ansatz. Es knüpft an die Erfolgskonzepte der zurückliegenden Jahrzehnte an, die mit dem Begriff einer schlanken Produktion beziehungsweise Administration verbunden sind und auch den Menschen als wichtigen Produktivitätsfaktor rehabilitierten. Das BPR will jedoch mehr. Es verspricht

  • ein Wachstum in nicht mehr möglich erachteten Grössenordnungen und
  • eine Steigerung der betrieblichen Erfolgs trotz einer verschärften Konkurrenz

Den Ansatz hierfür sieht es in einer ganzheitlichen Betrachtung der Unternehmensprozesse, die die drei Dimensionen Prozess-, Mitarbeiter- und Kundenorientierung verbindet.

Das unterscheidet das Business Process Reengineering (BPR) von früheren Optimierungsansätzen. Diese strebten oft nur in einer der drei genannten Dimensionen Verbesserungen an. Das BPR hingegen will alle erfolgsrelevanten Handlungsfelder und Abläufe eines Unternehmens neu ordnen. Ausserdem strebt es eine radikale Verschlankung seiner zentralen Geschäftsprozesse mit dem Ziel an,

  • den Kundennutzen zu steigern und
  • die Organisation so weiterzuentwickeln, dass langfristige Wettbewerbsvorteile entstehen.

Um dies zu erreichen, stellt das BPR die bisherige Unternehmenspraxis von Grund auf in Frage. Es durchleuchtet sie kritisch und ordnet sie entlang der betrieblichen Wertschöpfungskette neu.

Die Problemursachen in der Organisation ermitteln

Eine solche Radikalkur setzt die Bereitschaft zu einem fundamentalen Überdenken und Umformen aller Geschäftsprozesse voraus. Denn nur dann lässt sich das hochgesteckte Ziel, Leistungsdaten wie Kosten, Qualität und Geschwindigkeit drastisch zu verbessern, realisieren. Eine nachhaltige Wirkung entfalten diese Veränderungen zudem nur, wenn zugleich der Produktionsfaktor Mensch wieder ins Zentrum der strategischen Überlegungen rückt.

Traditionell reagieren Unternehmen auf Rentabilitäts- und Kostenprobleme meist mit

  • einem Mengenwachstum,
  • einer Steigerung des Veredelungsgrads,
  • dem Einsatz verbesserter Technologien und Verfahren
  • einer Optimierung des Ressourceneinsatzes.

Insgesamt liegt eine Konzentration auf technologische Verbesserungen vor. Zwar werden vereinzelt unbefriedigende Abläufe durch effizientere ersetzt, nur selten wird aber die Frage nach den Ursachen der Probleme in der betrieblichen Organisation gestellt.

Die Innovationsbarrieren überwinden

Deshalb widersprechen auch heute noch die Organisationsstrukturen vieler Unternehmen den Merkmalen einer modernen Unternehmensführung. So standen zum Beispiel bis vor kurzem in vielen Betrieben die meist tayloristischen Arbeitsstrukturen und -abläufe noch nicht zur Disposition. Ebenso wenig wurden Ansätze verfolgt, die sich auf eine konsequente Nutzung der Innovationskraft der Mitarbeiter richten. Diese wurden primär als Kostenfaktor gesehen. Dies zeigen die vielfältigen Bemühungen, die Personalkosten zu senken.

Nach wie vor dominiert in vielen Unternehmen eine hierarchische und tayloristisch-funktional ausgerichtete Aufbauorganisation. Dem entspricht das Denken der Mitarbeiter. Sie sind oft noch im Abteilungsdenken verhaftete Maschinenspezialisten. Die Nachteile solch starren Organisationsformen und Denkstrukturen treten insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Situationen wie der aktuellen zutage. Dann erweisen sie sich als Barrieren, die grundlegende Problemlösungen behindern. Solche Problemlagen sind unter anderem

  • lange Instanzenwege,
  • eine Vielzahl an Kompetenzabgrenzungen,
  • eine einseitige Qualifikation der Mitarbeitenden,
  • eine mangelnde Motivation und fehlende Identifikation mit dem Unternehmen sowie
  • eine vordergründige Fixierung auf die Kostenstruktur.

Zudem bewirkt die vom Taylorismus geprägte Organisationsform ein Denken, in dem für den erforderlichen Prozessfluss bei der Produktion beziehungsweise Leistungserbringung kein Platz ist. Das begrenzt die Einsatzmöglichkeiten des Personals; auch weil die Mitarbeitende aufgrund ihrer eingeschränkten Handlungsspielräume kaum Formen des Mitdenkens entwickeln.

Gerechtfertigt wird die Vernachlässigung des Faktors Mensch oft damit, dass er in der betrieblichen Kostenstruktur nur eine geringe Bedeutung spielt. Schliesslich beträgt der Anteil der Personalkosten an den Gesamtkosten in vielen Industrieunternehmen nur 8 bis 15 Prozent. Übersehen wird dabei, dass mit eben diesen 8 bis 15 Prozent der Kosten der Gesamtprozess gesteuert wird, also eine Vielzahl anderer Kosten beeinflusst wird.

Das Erfolgspotenzial «Mensch» nutzen

Deshalb ist eine elementare Managementaufgabe, das Leistungs- und Innovationspotenzial der Mitarbeitende voll zu nutzen. Als Königsweg hierzu erachtet das Business Process Reengineering die funktions- und bereichsübergreifende Teamarbeit; sei es in Form temporär arbeitender Teams (zum Beispiel Projektgruppen, KVP-Gruppen) oder in Form dauerhaft zusammenarbeitender Arbeitsgruppen (Gruppenarbeit).

Die Forcierung der Teamarbeit als arbeitsorganisatorischem Grundmodell erinnert stark an die Gedankenwelt des Lean Management. Das BPR geht aber einen Schritt weiter, indem es sämtliche Geschäftsprozesse neu ordnet; beispielsweise um den Durchlauf so schlank und kostengünstig wie möglich zu gestalten. Dabei fällt den Teams die Aufgabe zu, die durch das Reengineering bereits erreichten Leistungsstandards kontinuierlich zu verbessern.

Diese Herangehensweise deckt sich mit Megatrends moderner Unternehmensführung. Gerade in Branchen, die mit revolutionären technologischen Innovationen und einem relativ instabilen Umfeld (Märkte, Werkstoffpreise) konfrontiert sind, muss das Management nicht nur den Stellenwert der einzusetzenden Technologien stets neu definieren. Es muss auch eine Organisationsform schaffen, die ein Höchstmass an Flexibilität und Effizienz beim Einsatz aller Ressourcen ermöglicht. Folglich muss das Management sich auch intensiv mit den Themen Arbeitsorganisation, Führung und Personalentwicklung und somit dem Erfolgsfaktor Mensch befassen.

Arbeitsorganisation, Führung und Personalentwicklung überdenken

Folgende Entwicklungslinien lassen sich bezüglich einer zukunftsorientierten Unternehmensführung in zukunftsorientierten Betrieben.

1. Führung

Das Management widmet sich verstärkt den strategischen Herausforderungen und verbringt weniger Zeit im operativen Tagesgeschäft. Für das Wahrnehmen seiner gestalterischen Aufgaben benötigt es ausreichend Freiräume. Deshalb delegieren die Führungskräfte Routinearbeiten weitestgehend.

2. Entscheidung/Kontrolle

Das Management delegiert Entscheidungskompetenzen von oben nach unten. Aus der Fremdkontrolle wird eine laufende Selbstkontrolle und -organisation unterhalb der betrieblichen Führung.

3. Organisation

Durch das Zusammenlegen vormals getrennter Funktionen werden ganzheitliche Aufgaben geschaffen, die von den Mitarbeitenden beziehungsweise Teams selbstverantwortlich erledigt werden. Dadurch wird für die Mitarbeiter wieder erkennbar, welche Bedeutung ihre Tätigkeit für das Unternehmen hat. Dies steigert ihr Verantwortungsgefühl und ihre Identifikation mit dem eigenen Tun; ausserdem das «Wir»-Gefühl.

4. Leistungserbringung

Die verschärfte Konkurrenzsituation erfordert eine hohe Qualität der Produkte und Leistungen. Um eine optimale Kundenzufriedenheit zu sichern und wird unter anderem versucht, jede Art von Verschwendung zu vermeiden. Dies steigert auch die Rentabilität sowie Konkurrenzfähigkeit.

5. Strategie

Zur Verbesserung des Betriebsergebnisses trägt auch eine Konzentration der Unternehmensaktivitäten auf das Kerngeschäft und die Kernkompetenz (Stärken nutzen, rentable Geschäftsbereiche ausweiten) bei. Zwecks Steigerung der Wertschöpfung werden unrentable Geschäftsbereiche oft outgesourct.

 

Die Organisation prozessorientiert aufbauen und gestalten

Wo die skizzierten Entwicklungslinien eines modernen Management- und Führungsstils greifen, löst eine prozessorientierte Aufbau- und Ablauforganisation die traditionellen Formen der Unternehmensorganisation ab. In den Mittelpunkt der Betriebsorganisation rücken Anstrengungen, die darauf abzielen,

  • die Auftragsdurchläufe zu beschleunigen,
  • Schnittstellen der Geschäftsprozesse als mögliche Fehlerquellen auszuschalten und
  • Massnahmen zur Verbesserung der Ergebnisse einzuleiten.

Zugleich treten alle Formen von oben praktizierter zentralistischer Planung und Kontrolle in den Hintergrund. Darauf aufbauende Fitness-Programme und Reorganisationsprojekte verfolgen das Ziel, die Potenziale vor Ort besser zu nutzen, indem sie auf Dezentralisierung setzen; ausserdem auf die Kompetenz und Selbstorganisationsfähigkeit der Mitarbeitenden.

Das Erreichen solcher Zielsetzungen ist nur mit kreativen, lernfähigen, engagierten und eigeninitiativen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern möglich. Deshalb ist es eine zentrale Managementaufgabe, die Voraussetzungen zu schaffen, dass die Mitarbeiter ihr Potenzial voll entfalten können. Dies gelingt am besten durch das Einführen einer teamorientierten Arbeitsorganisation.

 

Das Unternehmen, Denken und Tun neu ausrichten

So weitreichende Eingriffe in die bestehenden Strukturen, wie sie das BPR vollzieht, verlaufen nicht immer konfliktfrei. Probleme ergeben sich vor allem in Unternehmen(-sbereichen), die noch wenig Erfahrung mit der Teamarbeit haben. Ermöglicht die Reorganisation zudem umfangreiche Stellenkürzungen, die zuweilen zum Profitabel-arbeiten erforderlich sind, dann erweist es sich zudem oft als schwierig, bei der Belegschaft ausreichend Akzeptanz für die Veränderungsmassnahmen zu erzielen.

Von Vorteil ist es dann, wenn im Unternehmen bereits Erfahrungen mit dem Total-Quality-Management (TQM), dem kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) oder dem Lean Management vorliegen. Denn TQM und KVP erziehen die Mitarbeiter ebenso wie das Arbeiten in Gruppen und Teams zum funktionsübergreifenden Denken. Deshalb können Unternehmen, die entsprechende Change-Projekte schon durchlaufen haben, in der Regel die BPR-Philosophie leichter aufnehmen und umsetzen.

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Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner. Er ist unter anderem Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal.

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