Viele Lehrer fühlen sich überfordert und depressiv

Jede fünfte Lehrperson in der Schweiz fühlt sich «ständig überfordert». Jeder dritte Pädagoge leidet mindestens einmal pro Monat unter depressiven Beschwerden, ebenso viele sind Burnout-gefährdet. Dies zeigt eine Nationalfondsstudie der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Image
Lehrer_key.jpg

Bern (sda). Diese hat erstmals schweizweit die Arbeitsbelastung von Lehrpersonen untersucht. An der repräsentativen Befragung, über welche die «SonntagsZeitung» berichtete und die auch der Nachrichtenagentur sda vorliegt, haben rund 600 Lehrpersonen des 5. bis 9. Schuljahres aus allen drei Sprachregionen teilgenommen.

Die Studie nennt mehrere Gründe für die hohe Belastung der Lehrer: Eine hohe Arbeitsmenge, Konflikte mit Eltern, schwierige Schüler und der sogenannte Präsentismus. Gemeint ist damit, dass Lehrpersonen zum Beispiel auch bei Krankheit nicht zu Hause bleiben.

Lehrer-Präsident nicht überrascht

Beat W. Zemp, Präsident des Schweizer Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (LCH), überraschen die Studienergebnisse nicht. Eine dieses Jahr präsentierte Untersuchung zur Stadt Zürich sei zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen.

Gemäss dieser fühlen sich 20 bis 40 Prozent aller Lehrer psychisch erheblich bis stark belastet. Im Vergleich mit sämtlichen Angestellten der Stadt Zürich wiesen die Lehrer die höchste psychische Belastung auf. «Der Stress am Arbeitsplatz hat in den letzten Jahren fast überall stark zugenommen», schreibt Zemp auf Anfrage. «Beim Lehrerberuf kommen aber noch einige spezifische Faktoren dazu, welche die Belastung zusätzlich erhöhen.»

So seien Lehrer immer unter Beobachtung und auf Draht und hätten keine Rückzugmöglichkeiten. Pausen seien oft keine Pausen, sondern würden für Materialvorbereitungen oder Schülergespräche genutzt, so Zemp. Auch die ständige Delegation von Erziehungsaufträgen an die Schule könne Lehrpersonen zusetzen.

Frauen und Teilzeit-Lehrer stärker belastet

Nicht alle Lehrergruppen fühlen sich gemäss der Studie aber gleich stark belastet. Frauen laufen gegenüber Männern eher Gefahr, ein Burnout zu erleiden. Möglicherweise liege dies daran, dass Frauen sich im Beruf mehr verausgaben und Neuerungen engagierter angehen, schreiben die Studienautoren.

Eine weitere gefährdete Gruppe sind Lehrerpersonen mit hohen Teilzeitpensen von 21 bis 25 Lektionen. Sie sind besonders häufig mit ihrer Arbeit überfordert oder unzufrieden damit und sie leiden häufiger unter depressiven Beschwerden. Die Studienautoren vermuten, dass Teilzeit-Lehrer besonders häufig einer Mehrfachbelastung ausgesetzt sind – etwa weil sie eine Familie haben oder eine Weiterbildung absolvieren. «Hohe Teilzeitpensen sind mit Schulentwicklungsaufgaben relativ stärker belastet als kleine Teilpensen oder Vollpensen», ergänzt LCH-Präsident Zemp.

Keine Unterschiede gibt es gemäss der Untersuchung zwischen den verschiedenen Sprachregionen und Klassenstufen. Die Berufserfahrung hat ebenfalls keinen Einfluss auf die Arbeitsbelastung.

Mehrheit ist zufrieden

Die Studie kommt aber auch zu positiven Befunden. So ist ein Grossteil der Schweizer Lehrpersonen mit ihrem Beruf zufrieden. 87,2 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen ihr Beruf Spass mache. Rund zwei Drittel finden, dass sie ihre Fähigkeiten in ihrem Beruf voll einsetzen können und dass sie sich gerne an ihrem Arbeitsplatz aufhalten.

«Vielen Lehrern geht es gut», sagt denn auch Christoph Eymann, Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), im Interview mit der «SonntagsZeitung». Tatsache sei aber auch, dass sich viele von ihnen erschöpft und überfordert fühlten. Der Druck sei gestiegen. Die Gesellschaft müsse die Leistung der Lehrer stärker anerkennen. «Wir müssen in den Beruf investieren und die Prävention stärken. Zentral ist auch, dass die Schulleitungen aufmerksam sind und ein tragfähiges Kollegium besteht – und das gibt Halt.»

Kleinere Klassen gefordert

Auch Beat W. Zemp fordert, es brauche eine «top Personalführung» und mehr Ressourcen für Schulleitungen. Zudem müsse die Anzahl Lektionen pro Woche reduziert und die Klassengrössen beschränkt werden, zum Beispiel auf 22 Schüler. Damit könne der Aufwand für Elternarbeit und Korrekturen reduziert werden.