HR Today Nr. 11/2018: Assessment Centers

In der Kürze liegt die Würze

Assessment Centers gehören zu den klassischen und etablierten Methoden in der Eignungsdiagnostik. Obwohl ihre Aussagekraft bei einer fachgerechten und soliden Durchführung belegt ist, scheuen viele Firmen die Kosten und den Aufwand, die traditionelle Assessment Centers mit sich bringen. Eine neue Methode namens «Smart AC» verspricht nun Abhilfe.

Belegt ist, dass Assessment Centers bei einer fachgerechten Planung und Durchführung solide Aussagen zum künftigen Verhalten der assessierten Personen liefern. So konnte Uwe Peter Kanning von der Hochschule Osnabrück in einer Studie nachweisen, dass die Prognose mittels Assessment Centers massgeblich durch dessen Qualität bestimmt wird.

Diese definierte er mit 15 Kriterien, wie der Durchführung einer Anforderungsanalyse, einer Beobachterschulung, dem Erfassen der Anforderungsdimensionen in mehreren Übungen oder dem Einsatz verbindlicher Bewertungsskalen. Die Analyse ergab ein deutliches Bild: Je mehr Qualitätskriterien erfüllt waren, desto höher war auch das AC-Ergebnis und desto wahrscheinlicher später auch eine bessere berufliche Leistung.

Der Preis für Qualität

Assessment Centers weisen eine hohe organisatorische Komplexität auf. Viele Personen sind zur gleichen Zeit in unterschiedlichen Rollen eingebunden: ein bis zwei Moderatoren des Assessment Centers, sechs bis acht beobachtende Assessorinnen und Assessoren, sechs bis acht Teilnehmende und eventuell eine Person zur Testadministration.

Ausserdem bedürfen ACs eines aufwendigen Entwicklungsprozesses, indem zunächst ein Anforderungsprofil erhoben wird sowie Übungen konzipiert, Testunterlagen ausgewählt und Administrationsmaterial erstellt werden müssen, bevor dann alles matrixartig miteinander verknüpft wird. Die ausgeklügelte Konstruktionsarchitektur macht das Verfahren eher unflexibel, was das Ziel und den organisatorischen Ablauf betrifft.

Da ein AC grundsätzlich auf eine bestimmte Managementfunktion ausgerichtet ist, muss für jede weitere Funktion ein neues AC entwickelt werden. Dies führt in der Praxis häufig dazu, dass ein AC nur ganz wichtigen Schlüsselfunktionen der höheren Führungsebene vorbehalten ist. Für Stellen, bei denen auch eine sorgfältige Selektion angezeigt wäre – beispielsweise bei Sachbearbeitern, dem unteren Kader oder Spezialisten, kommen aus Kosten- und Effizienz-Gründen meist deutlich weniger aufwendige Verfahren zum Einsatz.

Die Alternative: Smart Assessment Center

Was wäre mit einer Assessment-Center-Alternative, die bei gleichbleibender Qualität deutlich effizienter durchführbar wäre? Grundsätzlich sagt uns die Forschung, dass man auch mit weniger aufwendigen eignungsdiagnostischen Methoden ähnlich aussagekräftige Einschätzungen wie mit einem Assessment Center erzielen kann.

So haben ein Intelligenztest oder ein strukturiertes Interview, in dem Fragen und Beispiele für die Bewertung der Antworten vorgegeben sind, sogar eine bessere Vorhersagegüte. In dieser Hinsicht könnten kürzere Formen von Verfahrenskombinationen, die an der klassischen Methodik von Assessment Centers angelehnt sind, tatsächlich eine Alternative darstellen.

Smart Assessment Centers könnten eine solche Alternative sein. So kombiniert diese Methode im klassischen Verständnis der Eignungsdiagnostik biografische Verfahren (Interview­formen), eigenschaftsbasierte Verfahren (psychologische Tests) und simulationsorientierte Verfahren (Rollenübungen, Fallstudien, Präsentationen) und verfolgt einen an die AC-Technik angelehnten, stark strukturierten Ansatz.

Der Aufwand für Entwicklung und Durchführung ist bei einem Smart Assessment Center jedoch unabhängig vom Stellenprofil. Es können Führungskräfte, genauso gut aber auch Fachspezialisten oder Studierende beurteilt werden, bei denen sich die Durchführung eines klassischen Assessment Centers nicht aufdrängt.

Auch hier gilt: Jede Funktion bedarf einer spezifischen Assessment-Variante. Mit Blick auf die Effizienz ist es ideal, Smart Assessment Center bei Stellenprofilen zu verwenden, für die viele Anstellungen nötig sind, wo also das gleiche AC immer wieder verwendet werden kann. Organisatorisch zeichnen sich Smart Assessment Centers durch eine hohe Effizienz aus, weil weniger Assessoren (mindestens zwei) nötig sind und sie auch effizient bleiben, wenn nur eine Person assessiert wird.

Qualität mit Effizienz

Die Grundlage für Smart Assessment Centers bildet wie beim klassischen AC eine sorgfältige Anforderungsanalyse, welche die erwarteten Kompetenzen definiert. Die Durchführung eines Smart AC gliedert sich in einen ersten Teil mit einer testpsychologischen Vorselektion (Eigenschaftsansatz) und in einen zweiten mit physischer Präsenz, wobei die effektive AC-Phase stattfindet (Biografieansatz/Simulationsorientierung).

Die Vorselektion gibt die Möglichkeit, ungeeignete Personen im Rekrutierungsprozess schon früh auf objektive Weise fair auszuschliessen. Dies ist besonders dann wichtig, wenn die Zulassung zu einem Assessment Center nicht auf Vorschlag eines Vorgesetzten möglich ist.

Entscheidend dabei ist, dass bereits in diesem Stadium anforderungsorientierte Testverfahren eingesetzt und Beurteilungsmassstäbe definiert werden. Für praktisch alle eignungsdiagnostischen Fragestellungen eignet sich hierzu der Einsatz eines Intelligenztests und eines auf dem Big-Five- oder HEXACO-Modell basierenden Persönlichkeitsinventars.

Letzteres kann gut auch «remote online», also im Vorfeld des eigentlichen Assessments, von zu Hause aus durchgeführt werden. Zu beachten ist hierbei, dass dessen anforderungsbezogene, standardisierte Auswertung in Zusammenarbeit mit testpsychologisch geschulten Fachleuten erstellt werden muss. Je nach jobspezifischen Anforderungen lässt sich die Vorselektion mit zusätzlichen Testverfahren, wie Konzentrations-, Gedächtnis-, Wissens- oder Sprachtests, ergänzen.

Wichtig ist, dass bei allen Testverfahren schon im Vornherein Beurteilungskriterien festgelegt werden. Bei Leistungstests ist zum Beispiel die untere Grenze zu definieren, die für ein erfolgreiches Ausüben der im Fokus stehenden Tätigkeit überschritten werden muss. Sollen die Testwerte auch in die abschliessende Beurteilung einfliessen, ist eine differenzierte Bewertung, zum Beispiel auf einer Fünferskala, empfehlenswert. Das Resultat der Vorselektion ist ein Ergebnis-Cockpit, das auf differenzierte Weise die Leistungen aussagekräftig darstellt.

Vergleichbare Beurteilungen

Die Dauer des Assessments beträgt ungefähr eine Stunde, inklusive aller Bewertungen, wobei sämtliche Verfahren im Detail vorgegeben und strukturiert sind. So umfasst der Interviewleitfaden eine abschliessende Liste mit identischen Fragen für jeden Kandidaten.

Ausserdem sind die Auswertungs- und Bewertungsskalen vollständig standardisiert, so dass gewährleistet ist, dass alle Assessorinnen und Assessoren zu vergleichbaren Beurteilungen kommen. Dass diese das Verhalten, respektive die Antworten nach einheitlichen Vorgaben bewerten, ist insbesondere beim Vergleich der Leistungen der verschiedenen Kandidaten eminent wichtig.

Nach Abschluss des zweiten Teils können die Resultate in sehr kurzer Zeit in das Cockpit aus der Vorselektionsphase übertragen werden. So steht sofort eine integrierte Gesamtauswertung zur Verfügung, die eine optimale Grundlage für eine abschliessende Entscheidung bildet.

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Simon Carl Hardegger studierte an der Universität Zürich Psychologie und leitet das Zentrum Diagnostik, Verkehrs- & Sicherheitspsychologie am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Seinen Arbeitsschwerpunkt bilden Risikobeurteilungen menschlicher Faktoren im beruflichen Kontext.

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Patrick Boss hat in Psychologie promoviert und ist als Berater und Dozent am Zentrum Diagnostik, Verkehrs- & Sicherheitspsychologie am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW tätig.

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