«Das Assessment ist kein Wundermittel»
Markus Diggelmann, Human Resources Manager Switzerland/Austria/Spain bei The Valspar (Switzerland) Corporation AG, fragt Urs L. Emch, Chief Financial Officer bei der SMB SA.

Markus Diggelmann, Urs L. Emch (von links).
Heute liest und hört man viel über Assessment Center, Development Center, Einzelassessments, usw. als Unterstützungshilfen für Rekrutierungs- und Entwicklungsentscheidungen. Setzen Sie diese Massnahmen in Eurem Unternehmen auch ein und wenn ja, welche und für welche Zwecke?
Urs L. Emch: Die SMB SA ist ein industrieller Schmiedebetrieb im Kanton Tessin mit rund 120 Mitarbeitern. Davon sind ¾ direkt im Produktionsprozess tätig. Die GL besteht aus vier Personen, die zweite Führungsebene aus weiteren sieben Mitarbeitenden. Der Selektionsprozess für GL-Positionen beinhaltet standardmässig ein Einzelassessment, auch für wichtige Positionen auf der zweiten Ebene setzen wir dieses Instrument ein.
Welche positiven (und allenfalls negativen) Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Grundsätzlich haben wir mit diesem Instrument in der Vergangenheit positive Erfahrungen gemacht. Der Vorteil ist sicher, dass ein externer Fachmann die Stärken und Schwächen eines Kandidaten anhand eines anerkannten, strukturierten Prozesses bewertet. Das Einzelassessment ist aber für eine KMU wie die SMB SA nur ein Mosaikstein im gesamten Auswahlprozess. Das persönliche, strukturierte Interview bleibt in unserer Realität für mich nach wie vor der wichtigste Bestandteil des Selektionsprozesses. Bei Neubesetzung einer Position innerhalb der GL ist ebenfalls das Präsidium unseres Verwaltungsrates Teil des Prozesses und führt persönliche Interviews mit den Kandidaten.
Für welche Situationen betrachten Sie Assessments als eher ungeeignet?
Ungeeignet ist in diesem Zusammenhang vielleicht ein zu starkes Wort. Wie bereits festgehalten: das Assessment ist kein Wundermittel und muss mit anderen Analyseinstrumenten zusammen eingesetzt werden. Ein blinder Punkt des Assessments ist sicher das Thema der Kultur: wir rekrutieren öfters Mitarbeitende aus dem deutschsprachigen Raum. Der Tessin als Ferienregion ist nicht zu vergleichen mit dem Arbeitsplatz Tessin, das heisst sprachliche und mentalitätsmässige Unterschiede können im beruflichen Umfeld plötzlich zum Stolperstein werden, obschon das Auswahlverfahren nach allen Regeln der Kunst durchgeführt wurde.
Wie sehen Sie die Entwicklung und Einsatzmöglichkeiten von Assessments in der nahen Zukunft?
Ich gehe davon aus, dass Assessments auch in der nahen Zukunft einen wichtigen Platz im gesamten Rekrutierungsprozess einnehmen werden. Wenn das Verfahren von erfahrenen und qualifizierten Experten durchgeführt wird, dann wird es auch inskünftig unentbehrlich bleiben. Wichtig ist für mich in diesem Zusammenhang, dass wir als Auftraggeber mit dem entsprechenden Fachexperten eine langfristig angelegte, vertrauensvolle Zusammenarbeit suchen. Das Know-How des Assessors zu Eigenheiten und Umfeld des Kunden SMB SA kann letzten Endes bei der Auswahl des passenden Kandidaten matchentscheidend sein und ein ausgewogenes Urteil ermöglichen.
Grafologische Gutachten als Entscheidungshilfe werden heute kaum mehr gemacht – hat auch das Assessment bald ausgedient?
Das kann ich mir kaum vorstellen, ich denke, dass ein Assessment in seinen verschiedenen Spielformen sowohl für uns als KMU als auch für Grosskonzerne künftig weiterhin ein valables Instrument sein wird. Richtig eingesetzt ist und bleibt es eine ausgezeichnete Entscheidungshilfe im Selektionsprozess und ist aus einem modernen HRM nicht wegzudenken. Das mag jetzt altmodisch klingen: im Zweifel würde ich mir auch heute noch Unterstützung bei einem Grafologen holen, wenn ich denn noch einen entsprechenden Fachmann finde. Da graut mir doch schon eher vor dem vielleicht unvermeidlichen Assessment-App auf dem iPhone…