«Diversität ist eine Notwendigkeit»
Die Post ist mit rund 60 000 Beschäftigten einer der grössten Arbeitgeber der Schweiz. Aufgrund der Digitalisierung befindet sich die Organisation in einem tiefgreifenden Transformationsprozess. Nach elf Jahren verlässt HR-Chef Yves-André Jeandupeux das Unternehmen und macht sich selbstständig. Ein Rückblick.
«Sobald man seine Komfortzone verlässt, ist man weniger mit Effekthascherei beschäftigt»: Yves-André Jeandupeux, Leiter Personal, Schweizerische Post. (Bild: Béatrice Devènes)
Wenn der neue Hauptsitz der Schweizerischen Post in Bern Wankdorf auch von aussen eher unscheinbar ist, so lohnt sich ein Besuch wegen seines Innenlebens. Die 30 000 Quadratmeter wurden so gestaltet, dass die Mitarbeitenden Lust haben, hier zu arbeiten. Der Hauptsitz ist ein emblematisches Musterbeispiel jener neuen Generation von offen gestalteten Bürowelten, denen quasi eine ethnografische Reflexion über die Nutzung von Arbeitsräumen vorausging. Die Umsetzung ist unter anderem ein Verdienst des Personalchefs Yves-André Jeandupeux, der im März die Post verlassen wird.
Herr Jeandupeux, was war rückblickend Ihr grösster Beitrag in Bezug auf die Unternehmensentwicklung der Post?
Yves-André Jeandupeux: Ich habe mich betreffend Innovation und Diversität stark eingebracht. Während vier Jahren war die Konzerninnovation bei mir angesiedelt, bevor daraus wieder eine eigene Unternehmenseinheit wurde. Die Ausgestaltung unseres neuen Hauptsitzes ist ein Resultat dieses Engagements. Statt Einzelbüros und Einzelarbeitsplätze haben wir heute offene Büroräume, welche die Kreativität und Innovation stimulieren. Das Konzept wurde bereits im alten Gebäude pilotiert, bevor wir es hier für über 1900 Mitarbeitende umgesetzt haben. Das Konzept wurde auch in Zürich und Lausanne übernommen.
Stichwort Diversität: Können Sie Ihr Engagement in Sachen Diversity Management etwas erläutern?
Das Thema liegt mir sehr am Herzen und ich habe viel darin investiert – sei es in Bezug auf Kultur, Herkunft, Sprache, Lebensalter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Dienstalter oder berufliche Vielfalt. Ich habe versucht, die Manager für die Thematik zu sensibilisieren und ihnen dabei zu helfen, die Diversität noch stärker zu integrieren und Minderheiten einzuschliessen. Ich habe sie ermutigt, sich Diversity-Ziele zu setzen. Zum Beispiel, den Anteil frankofoner Mitarbeitender zu erhöhen.
Wie sind Sie dabei konkret vorgegangen?
Wir haben beispielweise informelle Netzwerke lanciert, die sich spezifisch der Diversity-Thematik widmen. Es gibt deren drei: «MOSAICO» fokussiert auf die kulturelle Diversität, während sich «RAINBOW» mit der Repräsentation von schwulen, lesbischen, bisexuellen und transgender Mitarbeitenden im Unternehmen beschäftigt. Das Programm «MOVE» wiederum widmet sich Fragen der Vereinbarkeit von Arbeit, Familie und Freizeit. Ein Beispiel für die Arbeit der Netzwerke ist das Format «Sprachtisch»: Einmal im Monat verbringen Mitarbeitende, die sich in einer Fremdsprache verbessern wollen, ihre Mittagspause zusammen und verständigen sich während des Tischgesprächs ausschliesslich auf Französisch, Italienisch, Deutsch oder Schweizerdeutsch. Diese Formate funktionieren autonom. Wir unterstützen sie zwar, aber sie organisieren sich auf ihre eigene Art und Weise. Es gibt ein Steuerungskomitee, das sie koordiniert, und einmal im Jahr kommen alle zusammen, um Bilanz zu ziehen. Dort sind dann auch die Konzernleiterin anwesend sowie die Ambassadoren, zu denen auch ich gehörte, zumal ich der einzige Romand in der Konzernleitung war.
Was bringt Diversität einem Unternehmen?
Studien zeigen, dass heterogene Teams besser performen und innovativer sind als homogene Gruppen. Davon konnte ich mich selbst überzeugen. Zwar muss man einen zusätzlichen Effort leisten, damit sich die Leute näherkommen. Doch sobald man seine Komfortzone verlässt, wird man viel pragmatischer. Man stösst schneller zum Kern der Dinge vor und ist weniger mit Effekthascherei beschäftigt. Am Ende ändert das die Haltung komplett. Als ich bei der Post anfing, gab es 90 verschiedene Nationalitäten – heute sind es 140. Diversität ist unbestritten eine Notwendigkeit. Wir brauchen sie, weil auch unsere Kunden selbst sehr divers sind. Das setzt konstante Anstrengungen voraus, was auf Stufe des Managements eine echte Herausforderung darstellt.
Zur Person
Yves-André Jeandupeux (59) ist seit 2005 Personalchef der Schweizerischen Post und Mitglied der Konzernleitung. Seine Abteilung zählt rund 400 Mitarbeitende. Insgesamt umfasst der HR-Personalbestand gut 600 Angestellte. Nach Abschluss eines Psychologiestudiums an der Universität Lausanne startete Yves-André Jeandupeux seine Karriere als Berufsberater beim Kanton Jura, bevor er als Personalchef zum Kanton Neuenburg wechselte und als HR-Chef bei Skyguide arbeitete. Im Frühjahr stösst er zu einem Executive-Search-Unternehmen in Genf.
Wie begegnen Sie den Rückgängen in Ihrem traditionellen Kerngeschäft? Was bedeutet das für die Unternehmenskultur der Post?
Wenn wir irgendwo eine Poststelle schliessen müssen, eröffnen wir in der Nähe einen alternativen Zugangspunkt. Der Vorteil für den Kunden besteht in einer höheren Flexibilität. Gleichzeitig werden wir parallel auch damit fortfahren, unsere digitalen Dienstleistungen weiterzuentwickeln. Wir vervielfachen die Lösungen. Hierzu fördern wir gezielt unsere Unternehmenskultur, die Experimente mit Versuch und Irrtum viel stärker als früher zulässt. Neben unserer Innovationsabteilung haben wir einen Inno-Fond, der es erlaubt, auf der Basis von Mitarbeiterideen mit Summen, die im fünfstelligen Bereich liegen können, schnell die Entwicklung von neuen Produkten oder Dienstleistungen anzustossen. Bei diesen Überlegungen stehen die veränderten Bedürfnisse und Gewohnheiten der Kunden im Zentrum.
Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die verschiedenen Berufsbilder bei der Post?
Der Einstiegsberuf hat sich von der früheren Monopolausbildung des Betriebssekretärs zum Detailhandelsangestellten oder kaufmännischen Angestellten mit eidgenössischem Fähigkeitsausweis hin entwickelt. Darüber hinaus umfasst das Portfolio der Berufsausbildung heute Berufe wie Mediamatiker oder Fachmann/Fachfrau Kundendialog. Wir gehören zu den ersten Unternehmen, die diese vom Bund anerkannten Berufsbilder eingeführt haben. Der Einfluss der Digitalisierung ist enorm hoch bei den Sortieranlagen unserer Verteilzentren, aber auch bei den Möglichkeiten, Postdienstleistungen über Internet oder mit dem Smartphone zu beziehen.
Ist Ihnen als HR-Chef der Post etwas gelungen, was Sie sich beim Amtsantritt nicht hätten vorstellen können?
Ich dachte, dass es schwieriger werden würde, die Pensionskasse zu stabilisieren. Dies war eine grosse Herausforderung. Als ich anfing, hatten wir noch eine Unterdeckung von 5 Prozent. Indem wir zum Beitragsprimat übergingen, konnten wir in drei Anläufen den Umwandlungssatz senken. Das bedeutet, dass der technische Satz mit dem Umwandlungssatz korreliert. Wir sind heute bei 5,35 Prozent, während er am Anfang noch 6,8 Prozent betrug. Der Zinssatz ist von 5 auf 1 Prozent gesunken.
Gibt es weitere Punkte?
Eine weitere grosse Herausforderung bestand darin, einen neuen Gesamtarbeitsvertrag auszuhandeln. Der alte GAV, der zuvor während 14 Jahren Gültigkeit hatte, war anachronistisch. In Bezug auf die Personalarbeit leitete er sich faktisch aus den Reglementen der Bundesverwaltung ab. Früher war beinahe alles mechanisch definiert: die Lohnklassen, die Evaluation der Funktionen und der Mechanismus zur Gewährung von Lohnerhöhungen. Der neue Gesamtarbeitsvertrag ist einfacher, moderner, flexibler. Wir haben entschieden, mit den Sozialpartnern auf einer Vertrauensbasis zu verkehren und im Bedarfsfall zu verhandeln, statt alles im Voraus schriftlich festzuhalten. Wir haben also zunächst die Prinzipien festgelegt, die Ausführungsdetails sind dann aus dem Gesamtarbeitsvertrag hervorgegangen. Der Arbeitgeber verfügt so über einen grösseren Spielraum bei den Lohnverhandlungen. Das starre System, das vorher zur Festlegung von Lohnerhöhungen gedient hatte, wurde durch eine leistungsorientierte Mitarbeiterbeurteilung ersetzt.
Welche Aktion hat Ihnen beim Personal die grösste Visibilität beschert?
(Denkt nach.) Das ist eine sehr gute Frage. Vielleicht die Personalumfrage, die wir jedes Jahr bei allen Mitarbeitenden durchführen. Die Teilnahmequote beträgt 80 Prozent, womit wir vier von fünf Angestellten erreichen. Ich habe sie jeweils persönlich zur Teilnahme eingeladen und kommunizierte danach die Resultate per Videobotschaft. Ich denke, dies hat konzernweit zu einer hohen Visibilität beigetragen.
Hand aufs Herz, was würden Sie rückblickend anders machen?
(Denkt nach.) Ich glaube, dass ich nicht allzu viel anders machen würde. Vielleicht hätte man mit der Transformation der funktionalen Führung der Management-Bereiche früher beginnen können. Unsere verschiedenen Geschäftsbereiche verfügen alle über eine eigene HR-, Kommunikations-, und Finanzabteilung sowie über einen Fachausschuss, welcher deren Aktivitäten auf Konzernebene koordiniert. Wir haben entschieden, diese Funktionen dem Personal-, Kommunikations- und Finanzverantwortlichen auf Konzernstufe hierarchisch zu unterstellen, um die Ressourcen effizienter einsetzen zu können. Das ist ein Projekt, das bereits seit sieben oder acht Jahren zur Diskussion steht, bis heute aber nicht angegangen wurde. Da hätte man wohl Zeit gewinnen können.