HR Today Nr. 4/2017: Debatte

Gendergerechte Sprache?

Während die Online-Kommunikations-Dozentin Su Franke Schräg- und Bindestriche für einen Anachronismus hält, plädiert die ZHAW-Professorin Christiane Hohenstein für die geschlechtsspezifische Anpassung von Texten.

Christiane Hohenstein

Ein Beispiel aus dem Organisationsalltag: Eine Kadersitzung, zehn Frauen, vier Männer sowie ein Referent, der eine neue Applikation vorstellt. Der Referent trägt lebhaft und praxisnah vor. Er gibt viele Beispiele, in denen der Vorgesetzte mit seinen Mitarbeitern das Programm anwendet. Nach fünfzehn Minuten wird es im Publikum unruhig. Ein Kollege bemerkt zu einer Kollegin, es sei ausgesprochen auffällig, dass der Referent immer nur von Männern spreche, wo doch im Raum und in der Organisationseinheit überwiegend Frauen beschäftigt seien. Die Unruhe steigt, die Aufmerksamkeit im Raum lässt nach.

Der Referent verliert Wirkung und Publikum, weil er die Wirklichkeit um sich herum sprachlich nicht angemessen erfasst hat. Darauf angesprochen, veränderte er seine Redeweise und konnte sein Publikum zurückgewinnen.

Sprache stellt Wirklichkeit her und bestimmt so unser Denken. Dies wird seit Wilhelm von Humboldt diskutiert. Aber gendergerechte Sprache wird immer wieder kritisiert. Gegner bezweifeln, dass sprachliche Gleichbehandlung etwas bewirken könne. Die oben geschilderte Szene widerlegt dies jedoch. Häufig wird argumentiert, Frauen seien mitgemeint in der generischen männlichen Form. Replizierbare Untersuchungen zeigen aber, dass dies nicht so ist. Machen Sie den Versuch, mit sich und mit anderen: Nennen Sie fünf bekannte Sänger! Wäre es Ihnen bei dieser Frage in den Sinn gekommen, eine Frau zu benennen? Deshalb reicht es nicht, sich zu exkulpieren, indem Sie am Anfang eines Textes anmerken, männliche Formen meinten auch Frauen. Auch wenn Sie denken, dass der Text sonst nicht mehr lesbar wäre: Ein gut verfasster Text ist klar, eindeutig und abwechslungsreich geschrieben und verwendet eine Vielzahl an Ausdrücken. Das trifft auch auf gendergerechte Texte zu. Wenn ein Artikel von «Patienten, die abgetrieben haben» spricht, ist das schlicht falsch, es sei denn, Männer würden schwanger werden. Auch die Stellenanzeige eines Unternehmens, das eine «Chefsekretärin (m/w)» sucht, ist eher rätselhaft als zweckdienlich. Kritische Stimmen behaupten, man müsse mehr nachdenken, wie man wem gegenüber was sage, um Männer und Frauen sprachlich gleich zu behandeln. Gute Kommunikation ist jedoch im Arbeitsleben zentral.

Sie wollen Männer wie Frauen für sich gewinnen, Ihr Gegenüber respektvoll behandeln und eine wertschätzende Kultur des Umgangs miteinander prägen? – Dafür lohnt es sich nachzudenken, ungeachtet dessen, ob es sich um ein E-Mail an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter handelt, eine Stellenanzeige oder um ein Arbeitsgespräch. Ein Kollege fragte mich: «Und wo bleibt die Redefreiheit, wenn ich gezwungen bin, meine Sprache zu normieren und zu kontrollieren?» Niemand wird dazu gezwungen. Jede und jeder kann überlegen und frei entscheiden, wie diskriminierungsfrei kommuniziert wird. Ist es Ihnen nicht auch wichtig, im Berufsalltag respektvoll und gleichwertig angesprochen zu werden?

 

Su Franke

In den 90ern hörte ich in einer Satiresendung «Liebe Hörerinnen und Hörer an den Radioapparatinnen». Danach habe ich viel über das künstliche Sprachhindernis der gendergerechten Formulierungen nachgedacht. Innere Einstellungen werden wir damit nicht verändern. Gendergerechte Formulierungen stehen uns beim Sprechen und Schreiben meist im Weg. Sätze klingen aufgedunsen oder unpersönlich, besonders in unserer Kurznachrichtenwelt. Universitäten veröffentlichen Leitfäden, die helfen sollen, korrekt, aber lesefreundlich zu formulieren. In Geschäftsberichten wird einführend darauf verwiesen, dass nachfolgend stets beide Geschlechter gemeint sind. Schreibende Menschen haben längst ihre Wege und Abkürzungen gefunden, die einer gleichstellenden Schreibweise gerecht werden sollen. Varianten mit Schräg- und Bindestrichen trennen, was sie eigentlich vereinen sollten. Worte werden unaussprechlich, aber man würdigt zumindest die gute Absicht des Autors. Ich könnte auch «frau würdigt» schreiben, aber das ist orthografisch nicht korrekt. Sagt eine Geschäftsführerin «liebe Mitarbeiter/-innen», fühlen sich die männlichen Kollegen nicht angesprochen. Formuliert sie «liebe Mitarbeitende», kommt das bei mir nicht an, weil es nicht meiner Muttersprache entspricht.

Bei manchen Wörtern ist es leichter, männliche und weibliche Formen zu nutzen. Niemand stellt eine Geschäftsführerin oder Ärztin in Frage. Oder staunen wir im Jahr 2017 noch, dass es «sogar» eine Frau geschafft hat? Falls ja, ist für mich das Ziel weit verfehlt, wollten wir doch gleiche Chancen über die Sprache suggerieren. Unser Denken beeinflusst, was wir sagen und schreiben, und umgekehrt.

Aber können wir über eine unnatürliche Formulierung tatsächlich das Denken verändern? Ich habe Leute gesehen, die daran verzweifeln, die geforderten Schreibweisen für Gleichstellung einzuhalten. Unauffälliges Augen-Verdrehen hilft der Sache nicht. Im Gegenteil: Es ist ein unangenehmes Hindernis entstanden. Und auch dieses beeinflusst unser Denken. Wird die (sprachliche) Gleichstellung der Frau als anstrengend oder gar lächerlich empfunden, wie sollen sich Menschen dann beim Handeln dafür einsetzen? Wir sollten Gleichstellung in einen grösseren Kontext stellen. Gleichstellen sollten wir Menschen in ihrer Vielfalt. Transgender, Schwangere, ältere und jüngere Leute, ungewöhnliche Lebensformen sowie Menschen mit Behinderungen, aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen oder fremden Kulturen. Manche Sprachen kommen ohne geschlechtsspezifische Pronomen aus. Dort ist «der» Mensch weder männlich noch weiblich, sondern ein Mensch. Statt Sprachhindernisse weiter zu verteidigen, enttarnen wir lieber Diskriminierung im alltäglichen Handeln. Ich wünsche mir, dass wir unsere Sprache in klaren, verständlichen Formen nutzen, um damit mehr Gleichheit zu schaffen. Mit hinderlichen Sprachregelungen haben wir es jedenfalls nicht geschafft.

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Christiane Hohenstein ist Professorin für Interkulturalität und Sprachdiversität sowie Diversity-Beauftragte an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

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Text: Su Franke

Su Franke ist selbständige Beraterin und Dozentin für Online-Kommunikation, vorwiegend an der FHNW in Olten.

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