Angelika Schmahl-Vogt
Algorithmen sind die unsichtbaren Manipulatoren der virtuellen Welt und bestätigen mir lediglich meine Erwartungen. Dazu nutzen sie mein Bewegungsprofil im Netz, aus dem sie meine Interessen und Vorlieben blitzschnell errechnen. Schon mal ausprobiert? Suchen Sie einmal rote Schuhe! Plötzlich besteht die virtuelle Welt nur noch aus roten Schuhen. Auf jeder Seite tauchen sie auf. Das, was ich eingebe, wird als mein Weltbild interpretiert und meine Welt wird mir als okay und als die einzig wahre bestätigt. Dies natürlich nur so gut, wie die Algorithmen programmiert und laufend angepasst werden – von Menschen. Im Recruiting wird die systematische auf die Ziffern 0 und 1 heruntergebrochene Suche nach dem geeigneten Mitarbeiter genutzt, um alle menschlichen Wertungen, egal ob positiv oder negativ, herauszufiltern. Die Evolution hat uns Wertungen entwickeln lassen, damit wir uns unterscheiden, verändern und verbessern können.
Mithilfe der Algorithmen kann die Suche nach einer Qualifikation neutralisiert werden: Geschlechtsneutral sollte sie sein, die Nationalität darf keine Rolle spielen, das soziale Umfeld darf nicht relevant sein, Religion und sexuelle Orientierung bleiben aussen vor. Das gleiche Ergebnis kann durch eine professionelle Sichtung der Unterlagen erreicht werden, indem man sich auf die Aussagen konzentriert, die sich aus den Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle ergeben. Algorithmen können lediglich einen Prozess beschleunigen. Die wahren Herausforderungen im Recruiting liegen jedoch nicht dort. Es gab Zeiten, da war es einfach einzuschätzen, ob ein Kandidat zu einer Aufgabe passt: Um zum Beispiel die Aufgabe eines Buchdruckers zu erfüllen, musste man den Buchdruck erlernt haben. Es gab eine Aufgabe und eine exakt dazu passende Ausbildung. So können wir schon lange nicht mehr arbeiten. In einer globalisierten Wissensgesellschaft wird etwa mehr Wert auf Teamarbeit, Kommunikationsfähigkeit, Veränderungsfähigkeit, Führungsfähigkeit, Lösungsorientierung oder Lernfähigkeit gelegt, die wichtig für den Unternehmenserfolg sind und für die es keine eindeutigen Messinstrumente gibt ausser Erfahrungen. Sie sind auch mit Algorithmen nicht herauszufiltern.
Eine Fortbildung besucht zu haben, sagt noch nichts darüber aus, das Gelernte einbringen und weiterentwickeln zu können. Wir sind Menschen und haben ständig die Möglichkeit, unser Verhalten auszuwählen, selbst darüber zu bestimmen, wie wir handeln wollen. Es braucht demnach im Recruiting ebenso Talent, Bildung und Erfahrung, um einschätzen zu können, ob der Bewerber oder die Bewerberin den komplexen Herausforderungen einer Stelle im Unternehmen gewachsen ist und darüber hinaus mit dieser Person eine zukunftsorientierte Entwicklung des Unternehmens möglich ist. Dies ist ein zutiefst menschlicher und wertschätzender Weg, der sich nicht zwischen 0 und 1 abspielt, sondern zwischen Menschen entsteht.