HR Today Nr. 1&2/2017: Debatte

Sind Algorithmen bessere Recruiter?

Algorithmen führen zu einer Gleichbehandlung aller Kandidaten, meint Christoph Meier, Inhaber und Geschäftsführer von Outvision. Für Unternehmensberaterin Angelika Schmahl-Vogt bestätigen diese hingegen nur das Weltbild des Recruiters und berücksichtigen bei der Selektion weiche Faktoren wie die Lösungsorientierung eines Kandidaten nicht.

Christoph Meier

Menschen denken nicht immer rational, werden vom Bauchgefühl beeinflusst und können manipuliert werden. Möglicherweise stellen sie jemanden ein, den sie sympathisch finden oder dessen Aussehen und Erscheinung sie beeindrucken. Nun kann es sein, dass diese Person aber überhaupt nicht zur Stelle und zum Unternehmen passt.

Die Folge von Fehlanstellungen sind hohe Kosten und Enttäuschungen auf allen Seiten. Zumal Menschen dazu tendieren, ihre eigene Entscheidung zu verteidigen und viel länger als nötig an Mitarbeitern festhalten, obwohl es von Anfang an Probleme gab. Dabei wollen wir doch alle die richtige Person einstellen. Eine, die emotional ins Team und ins Unternehmen passt, fachlich qualifiziert und der Aufgabe gewachsen ist. Richtig eingesetzt, spielen die Algorithmen ihre Stärken aus. Ein auf fundierten Algorithmen basierender Test hilft dem Recruiter, eine realistische Einschätzung zu gewinnen und sich nicht nur auf sein Bauchgefühl zu verlassen.

Algorithmen behandeln alle Kandidaten gleich und geben ihnen Zeit, überlegt zu antworten. Modernste Tests arbeiten zudem sehr genau und verlässlich. Meist treffen die Resultate den Nagel auf den Kopf. Mit wenig Aufwand bringen auf Algorithmen basierende Tests eine hohe Objektivität in das Rekrutierungsverfahren. Sie können ortsunabhängig und sehr schnell eingesetzt werden. Kandidaten können die Resultate nicht mehr manipulieren, da die Formulierung der Aufgaben kaum Rückschlüsse auf das dahinter liegende Konzept zulässt. Es ist darauf zu achten, dass für die Rekrutierung nur solche Tests verwendet werden, die explizit dazu entwickelt wurden. Validierungsstudien und Anerkennungen geben Aufschluss über die Testgütekriterien.

Eine gute Auswertung beinhaltet klare Empfehlungen und spricht auch unangenehme Tatsachen aus. Ob Headhunter, Personalberater, HR Business Partner oder Chef: Nur mit solchen Tests erhält der Recruiter ein vollständiges Bild eines Kandidaten. Er sieht Warnsignale, die er sonst ignorieren würde, und kann rational und objektiv die richtige Entscheidung treffen. Ein genauer Soll-Ist-Abgleich zeigt, ob der Kandidat wirklich zum geforderten Persönlichkeitsprofil passt. Mit dem richtigen Personalentscheid vermeidet der Recruiter unnötige Kosten und negative Konsequenzen für alle Beteiligten. Damit steigt das Vertrauen in den Recruiter und seine Fähigkeiten. Algorithmen können den Recruiter nicht ersetzen, sondern schaffen Klarheit über die Persönlichkeitseigenschaften und das Potenzial eines Bewerbers.

So wie in der Landwirtschaft  Maschinen nicht mehr wegzudenken sind, die körperlich belastende Arbeit übernehmen, hat auch im Rekrutierungsverfahren der nächste Evolutionsschritt bereits vielerorts Einzug gehalten. Machen Sie den Test für sich. Es ist eine kleine Investition, die sich mehrfach auszahlen kann.

 

Angelika Schmahl-Vogt

Algorithmen sind die unsichtbaren Manipulatoren der virtuellen Welt und bestätigen mir lediglich meine Erwartungen. Dazu nutzen sie mein Bewegungsprofil im Netz, aus dem sie meine Interessen und Vorlieben blitzschnell errechnen. Schon mal ausprobiert? Suchen Sie einmal rote Schuhe! Plötzlich besteht die virtuelle Welt nur noch aus roten Schuhen. Auf jeder Seite tauchen sie auf. Das, was ich eingebe, wird als mein Weltbild interpretiert und meine Welt wird mir als okay und als die einzig wahre bestätigt. Dies natürlich nur so gut, wie die Algorithmen programmiert und laufend angepasst werden – von Menschen. Im Recruiting wird die systematische auf die Ziffern 0 und 1 heruntergebrochene Suche nach dem geeigneten Mitarbeiter genutzt, um alle menschlichen Wertungen, egal ob positiv oder negativ, herauszufiltern. Die Evolution hat uns Wertungen entwickeln lassen, damit wir uns unterscheiden, verändern und verbessern können.

Mithilfe der Algorithmen kann die Suche nach einer Qualifikation neutralisiert werden: Geschlechtsneutral sollte sie sein, die Nationalität darf keine Rolle spielen, das soziale Umfeld darf nicht relevant sein, Religion und sexuelle Orientierung bleiben aussen vor. Das gleiche Ergebnis kann durch eine professionelle Sichtung der Unterlagen erreicht werden, indem man sich auf die Aussagen konzentriert, die sich aus den Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle ergeben. Algorithmen können lediglich einen Prozess beschleunigen. Die wahren Herausforderungen im Recruiting liegen jedoch nicht dort. Es gab Zeiten, da war es einfach einzuschätzen, ob ein Kandidat zu einer Aufgabe passt: Um zum Beispiel die Aufgabe eines Buchdruckers zu erfüllen, musste man den Buchdruck erlernt haben. Es gab eine Aufgabe und eine exakt dazu passende Ausbildung. So können wir schon lange nicht mehr arbeiten. In einer globalisierten Wissensgesellschaft wird etwa mehr Wert auf Teamarbeit, Kommunikationsfähigkeit, Veränderungsfähigkeit, Führungsfähigkeit, Lösungsorientierung oder Lernfähigkeit gelegt, die wichtig für den Unternehmenserfolg sind und für die es keine eindeutigen Messinstrumente gibt ausser Erfahrungen. Sie sind auch mit Algorithmen nicht herauszufiltern.

Eine Fortbildung besucht zu haben, sagt noch nichts darüber aus, das Gelernte einbringen und weiterentwickeln zu können. Wir sind Menschen und haben ständig die Möglichkeit, unser Verhalten auszuwählen, selbst darüber zu bestimmen, wie wir handeln wollen. Es braucht demnach im Recruiting ebenso Talent, Bildung und Erfahrung, um einschätzen zu können, ob der Bewerber oder die Bewerberin den komplexen Herausforderungen einer Stelle im Unternehmen gewachsen ist und darüber hinaus mit dieser Person eine zukunftsorientierte Entwicklung des Unternehmens möglich ist. Dies ist ein zutiefst menschlicher und wertschätzender Weg, der sich nicht zwischen 0 und 1 abspielt, sondern zwischen Menschen entsteht.

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Christoph Meier ist Geschäftsführer des Swiss Competence Centre for Innovations in Learning am Institut für Wirtschaftspädagogik der Universität St. Gallen.

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Angelika Schmahl-Vogt berät seit 30 Jahren Unternehmen im Bereich Personalentwicklung und Recruiting, Wirtschaftsmedia­tion und Coaching und hat Programme in Teamentwicklung, Unternehmenskultur und Veränderungsmanagement entwickelt.

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