HR Today Nr. 9/2022: People Analytics - Fallbeispiele

HR Analytics zum Fliegen bringen

Big Data wird für HR-Abteilung immer wichtiger. Aber was bedeuten People und Workforce Analytics genau? Wie unterscheiden sie sich von HR-Reports mit Kennzahlen? Fallbeispiele und Erfolgsfaktoren.

In den meisten HR-Abteilungen werden regelmässig Kennzahlen erhoben und Reports erstellt. Oft geht es dabei um die Entwicklung des Personalbestands, die Fluktuation, Absenztage, Gleitzeit- und Feriensalden. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Solche Auswertungen sind dem klassischen operativen HR-Controlling zuzuordnen. Sie zeigen Entwicklungen und Soll-Ist-Vergleiche auf; der Fokus liegt in der Vergangenheit. Je effizienter Daten aus den Systemen extrahiert und weiterverarbeitet werden, desto mehr Zeit kann für die Analyse verwendet werden.

Gute Hilfsmittel sind wichtig, zum Beispiel in Form von professionellen Excel-Vorlagen. Noch wichtiger ist allerdings das Prinzip «Trash in, trash out», besser gesagt, das Gegenteil davon: Nur wenn die Datenqualität in den Systemen hoch ist, können auch gute Auswertungen gewonnen werden. Wenn Weiterbildungen von Mitarbeitenden nicht systematisch und konsequent in einem System erfasst werden, dann können Informationen darüber, wer an einer bestimmten Hochschule war oder einen bestimmten Abschluss erzielt hat, nicht zufriedenstellend ausgewertet werden.

Vom operativen zum strategischen HR-Controlling

Unternehmen, die einen Schritt weitergehen wollen, lassen strategische Überlegungen in ihre Analysen einfliessen. So ist die Auswertung der Mitarbeiterfluktuation nicht nur pro Abteilung möglich, sondern auch pro Berufsgruppe. Damit kann besonderes Augenmerk auf die Funktionen gelegt werden, die von höherer strategischer Bedeutung sind und wo Austritte dem Unternehmen mehr «wehtun». Bei einer Versicherung ist beispielsweise die Fluktuation bei Leiterinnen und Leitern von Generalagenturen anders zu gewichten als die von Back-Office-Mitarbeitenden. Das liegt daran, dass der Erfolg einer Generalagentur stark von engen Kundenbeziehungen und einer oft langfristigen lokalen Vernetzung ihrer Leitenden abhängt.

Ebenfalls aufschlussreich sind Fluktuationsauswertungen nach Alter oder Dienstalter. Wenn Mitarbeitende bereits im ersten Jahr ihrer Anstellung die Firma wieder verlassen, deutet das oft auf nicht erfüllte Erwartungen hin oder auf einen mangelhaften Onboarding-Prozess. Entsprechend erfordert diese Frühfluktuation andere Massnahmen, als wenn Mitarbeitende erst nach zwei bis fünf Jahren das Unternehmen verlassen. In diesem Fall wird eine zielgerichtete Analyse eher ergeben, dass Mitarbeitenden die Entwicklungsperspektive fehlt.

So können HR-Controller und -Analysten beim Auswerten von Fluktuationszahlen tiefergehende Erkenntnisse gewinnen – einfach, indem sie die Dimensionen verändern. Wichtig dafür ist, die richtigen Fragen zu stellen. Wer so vorgeht, bewegt sich vom operativen und strategischen HR-Controlling auf die dritte Entwicklungsstufe zu: HR Analytics.

Die dritte Stufe: HR Analytics

Unter HR Analytics oder People Analytics versteht man die systematische Nutzung und Analyse von HR- und Unternehmensdaten, um einen Mehrwert für die Organisation zu erzielen. Das kann bedeuten, zufriedenere und loyale Mitarbeitende zu haben, (Personal-)Risiken zu identifizieren, Kosten zu sparen oder wettbewerbsfähiger zu werden.

Entscheidend ist: HR Analytics beginnt nicht mit dem Verarbeiten von Daten, sondern mit den richtigen, also businessrelevanten Fragestellungen. Gemäss Oliver Kasper, Head of People Analytics bei der ABB, wird sich HR Analytics in einem Unternehmen umso besser etablieren, je relevanter die Erkenntnisse für die Organisation sind – nicht nur fürs HR. Dem stimmt auch Silvan Winkler zu, der sich als Leiter Diagnostik bei der Jörg Lienert AG ebenso wie Oliver Kasper seit vielen Jahren mit Analytics beschäftigt. Beide geben ihre Erfahrungen auch als Dozenten weiter.

Wie kann man HR Analytics nutzen?

Bei der Swarovski AG, in der Oliver Kasper früher arbeitete, war sein Analytics-Team mit der Herausforderung einer hohen Mitarbeiterfluktuation in den Verkaufsläden konfrontiert. Ausgehend von dieser Fragestellung wurden Daten aus verschiedenen Quellen analysiert und Hypothesen aufgestellt. Kaspers Team konnte feststellen, dass mit einem gründlicheren Onboarding und besser aufeinander abgestimmten Trainingsmodulen die Leute motivierter wurden. Ausserdem wurden Umsatzziele und die variable Vergütung angepasst. Diese Massnahmen führten dazu, dass die Verkaufsmitarbeitenden engagierter und loyaler wurden, die Fluktuation nahm ab. Den nun zufriedeneren Verkaufsmitarbeitenden gelang es, die Umsätze zu steigern. Eine Win-win-Situation für alle – auch für das Analytics-Team, das den Wert seiner Arbeit mit diesem Ergebnis gut unter Beweis stellen konnte.

Wer gute Resultate mit HR Analytics erzielen will, verknüpft verschiedene Datenquellen miteinander. So kann man die Grunddaten aus den HR-Systemen in Verbindung bringen mit Daten aus Mitarbeiterbefragungen, Geschäftsergebnissen oder externen Daten wie Benchmarks. Auf diese Weise lässt sich zum Beispiel analysieren, welche Zusammenhänge es gibt zwischen der Mitarbeiterzufriedenheit und den Geschäftsergebnissen in einem bestimmten Land oder Marktgebiet.

Anwendungsbeispiel Gesundheitsmanagement

Auch im Bereich des betrieblichen Gesundheitsmanagements gibt es viele Möglichkeiten, HR Analytics sinnvoll einzusetzen. Schon vor einigen Jahren konnte VW feststellen, wie gross der Einfluss der Führungskräfte auf die Gesundheit der Mitarbeitenden ist: Wechselt eine vorgesetzte Person die Abteilung, so verändern sich entsprechend auch die Krankheitsabsenzen der Mitarbeitenden in der neuen Abteilung. Die Absenzen werden «mitgenommen». Diese Erkenntnis war für VW richtungsweisend für zukünftige Massnahmen in der Führungskräfteentwicklung und damit für die Verringerung der Absenztage.

Im HR sind neue Kompetenzen gefragt

Mehrwert zu schaffen, indem man businessrelevante Fragestellungen adressiert, ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Was braucht es noch, um HR Analytics nachhaltig in einer Organisation zu verankern? «Nach meiner Erfahrung geht es bei HR Analytics weniger um Methoden als vielmehr um einen Mindset-Change», meint Silvan Winkler. Es brauche sozialwissenschaftliche Kenntnisse und Fähigkeiten, die eher im Marketing und in der Marktforschung zu finden seien. Dazu gehört die Nutzung von Daten aus Umfragen oder die Arbeit mit A/B-Tests und Kon­trollgruppen.

Ralf Büchsenschuss, Leiter des HR-Analytics-Teams einer grossen Schweizer Versicherung, sieht es ähnlich: «Einen HR-Controller oder eine Compensation-Spezialistin zu beauftragen, sich nun auch um HR Analytics zu kümmern, kann schiefgehen. Es braucht ein anderes Skill-Set.» Auch Oliver Kasper stellt fest, dass viele der erforderlichen Kompetenzen normalerweise nicht im HR zu finden seien: ein gutes Verständnis der Businessprozesse, zum Beispiel in der Produktion oder im Verkauf, gute Kommunikationsfähigkeiten im Sinne von Überzeugungskraft und Storytelling, Projektmanagement-Erfahrung und natürlich Kenntnisse in Statistik und Data Science.

Mehr als nur ein Trend

«HR Analytics kann dann erfolgreich etabliert werden, wenn es nicht nur auf der HR-Agenda steht, sondern auch für die Geschäftsleitung Priorität hat», betont Büchsenschuss. So kann es gelingen, die erforderlichen Kompetenzen an einen Tisch zu bringen (oder bei Bedarf einzukaufen). Meistens sind die Skills im Unternehmen bereits vorhanden – einfach in verschiedenen Bereichen.

Es wird in Zukunft immer wichtiger werden, Entscheidungen aufgrund von Zahlen, Daten und Fakten zu treffen. Andere Unternehmensbereiche sind hier dem HR oft schon einige Schritte voraus. Vernetzung innerhalb des Unternehmens, übergreifende Zusammenarbeit, von- und miteinander lernen sind entscheidende «Future Work Skills» – nicht nur, aber besonders bei Analytics-Projekten.

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Quelle: R. Birri, 2013.

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Susanne Schild arbeitete vor ihrer Tätigkeit als Spezialistin für Arbeitsrecht/Arbeitszeit beim Kantonsspital Winterthur rund zehn Jahre lang als HR-Controllerin und Compensation-Managerin in verschiedenen Branchen.

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