KI im HR: Ist die Zeit jetzt reif?
Künstliche Intelligenz wird den Arbeitsalltag im HR stark beeinflussen, das ist unbestritten. Die Frage aber ist: Wo und wie starten? Und wie die Risiken kontrollieren? Die Studie «DIGITAL HR 2024» von Avenir Consulting versucht, Licht ins Dunkel zu bringen.
Wie kommt KI sinnvoll und produktiv im Personalwesen zum Einsatz? (Bild: iStock)
Die Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz (KI), die uns beispielsweise mit ChatGPT zur Verfügung stehen, revolutionieren unsere Art, zu lernen und zu arbeiten, in drastischer Weise. Aber was heisst das im Hier und Heute der Schweizer HR-Abteilungen?
Die Studie «DIGITAL HR 2024 – Artificial and Data Intelligence» hat sich dieser Frage angenommen und zeigt ein klares Bild: Noch ist der Nutzen durch den produktiven Einsatz von KI sehr überschaubar. Zwar verwenden einige Unternehmen die Technologie bereits beim Erstellen von Stellenanzeigen, tiefergreifende Anwendungen wie HR Analytics oder die strategische Personalplanung sind hingegen noch wenig verbreitet. Kaum bestritten ist aber eines, und 75 Prozent der in der Studie befragten Exponentinnen und Exponenten aus dem HR sehen es auch so: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um aktiv zu werden, damit das zweifellos vorhandene Potenzial von KI voll ausgeschöpft werden kann.
Den Umgang mit künstlicher Intelligenz lernen
Auf die Frage hin, ob im HR schon genügend Verständnis für den optimalen Einsatz von KI vorhanden ist, zeigen sich die Befragten selbstkritisch – 91 Prozent sind überzeugt, dass grosser Aufholbedarf besteht. Und betrachtet man die Diskrepanz zwischen der erkannten Notwendigkeit und der tatsächlichen Umsetzung von KI, darf die Situation sogar als alarmierend bezeichnet werden. Deshalb überrascht es nicht, dass über 30 Prozent der Befragten in ihrem Arbeitsalltag keine KI-Anwendungen nutzen. Hinzu kommt, dass nicht immer KI drin ist, wo KI draufsteht.
So sind knapp 70 Prozent der Studien-Teilnehmenden der Meinung, dass die HR-Technologieanbieter ihre Werbeversprechen in Bezug auf KI-Anwendungen nicht einhalten können. Es sind aber auch nicht die auf das HR ausgerichteten Technologien, die im Moment für HR Professionals relevant sind, sondern – das bestätigt die Studie – die auf die Allgemeinheit ausgerichteten Werkzeuge wie ChatGPT, DeepL und Microsoft Copilot. Hierbei liegt der Anwendungsfokus auf der Sprachverarbeitung, unter anderem bei der Erstellung von Stellenbeschreibungen.
LLM, Prompting und Mustererkennung: Begriffe, die man kennen muss
In der KI-Welt begegnet man häufig dem Akronym LLM, das aus dem Englischen kommt und für «Large Language Model» steht. Mit jenem wird es möglich, die menschliche Sprache zu interpretieren und zu imitieren. Diese Fähigkeit hat zweifellos disruptives Potenzial für unsere Gesellschaft, und wir müssen lernen, damit umzugehen. Was für die Menschen gilt, bei denen die Kommunikation untereinander mal besser und mal weniger gut funktioniert, gilt auch in der Interaktion mit der KI. Das kann und muss gelernt werden. Diese Disziplin hat mit der Bezeichnung «Prompt Engineering» einen Namen.
Moderne KI-Technologie kann aus einer schier unüberschaubaren Datenmenge Muster erkennen. Disziplinen, die bei den HR-Verantwortlichen schon seit vielen Jahren auf der Agenda stehen, aber aufgrund ihrer Komplexität kaum in einen spürbaren Nutzen überführt werden konnten, sind nun realisierbar. Dazu zählen die strategische Personalplanung und eigentlich alle Denkansätze im Kontext von «Skills Management».
Erfolg gegenüber Erwartungen: Überraschungen und Enttäuschungen
Die Avenir-Studie zeichnet ein differenziertes Bild des aktuellen Stands der KI-Nutzung in der Schweiz. In den Bereichen Talent Acquisition, Talent Development und Talent Administration wurden bestehende und geplante Projekte hinterfragt sowie Erwartungen und Erfahrungen gegenübergestellt. Das Ergebnis wurde in der sogenannten «Avenir Expectation Matrix» illustriert und die analysierten Projektthemen in den Quadranten «Wow Effect», «Good Case», «Risky Case» oder «Not yet» positioniert. Die Grafik zeigt einen Ausschnitt aus den gesamten Studienergebnissen. Die vollständige Studie kann auf der Website von Avenir bestellt werden.
Quelle: Avenir Consulting
Beim Blick auf die Grafik wird offensichtlich, dass sich ein grosser Teil der KI-Anwendungen noch im Quadranten «Not yet» befindet. Auch die Bereiche «Wissensmanagement» und «Lernen» sind so positioniert. Hingegen wurden schon gute Ergebnisse im Bereich «Lohn- und Beförderungsmanagement» erzielt. Es handelt sich hier um eine der wenigen KI-Anwendungen, die im Segment «Wow Effect» positioniert ist, also besser funktioniert, als dies erwartet wurde. Die guten Erfahrungen sind jedoch erklärbar, denn es geht um die Analyse komplexer Datensätze. Schön ist auch, dass KI hier einen Beitrag zur Fairness bei Personalentscheidungen leisten kann.
Ein strukturiertes Vorgehen hilft
Grundsätzlich ist zum heutigen Zeitpunkt allen Teilnehmenden des Arbeitsmarkts zu empfehlen, sich explorativ mit KI auseinanderzusetzen. Es ist erlaubt, persönlich mit ChatGPT zu spielen, solange keine Unternehmensinformationen und schützenswerten Daten in der Anfrage verwendet werden. Auf dem Weg in Richtung professioneller Nutzung kommt man jedoch nicht umhin, sich an einem bewährten Vorgehensmodell zu orientieren. Ein solches kann wie folgt strukturiert werden:
- Phase 1 – «Discover»: Die HR-Mitarbeitenden erhalten ein grundlegendes Technologieverständnis sowie Inspiration und Hilfe, damit die Einsatzmöglichkeiten von KI im geschützten Rahmen erkannt werden können. Und gleichzeitig wird die Organisation bezüglich rechtlicher und ethischer Rahmenbedingungen sensibilisiert.
- Phase 2 – «Prepare»: Es werden Rahmenbedingungen und Infrastruktur geschaffen, damit KI effektiv und rechtskonform eingesetzt werden kann. Das bedingt eine enge Zusammenarbeit mit der IT und gegebenenfalls der Rechtsabteilung. Dabei geht es aber nicht nur um Richtlinien und Technik, sondern auch um die Auseinandersetzung mit den unternehmensinternen Daten, die der KI-Maschine zur Verfügung zu stellen sind.
- Phase 3 – «Explore»: Im nun ausreichend geschützten Rahmen priorisiert die HR-Organisation ihre KI-Anwendungsfälle, setzt die Technologie gezielt ein, überprüft die Ergebnisse und streut das Gelernte in der Organisation.
- Phase 4 – «Perform»: KI wird integrierter Teil der HR-Organisation, erzeugt Nutzen, wird über Kennzahlen sichtbar gemacht. So wird der kontinuierliche Verbesserungsprozess verankert.
Künstliche und natürliche Intelligenz Hand in Hand
Offensichtlich ist es für das operativ ausgerichtete HR-Servicecenter eine äusserst attraktive Perspektive, wenn der Support nicht mehr die immer gleichen Fragen beantworten muss, sondern der digitale HR-Agent diese Aufgabe übernimmt. Wann ist also die Zeit reif für solch eine Veränderung? Aus einer technischen Betrachtung ist das jedoch die falsche Frage.
Einige IT-Dienstleistende bieten nämlich Lösungen an, in denen Mensch und Maschine Hand in Hand funktionieren. Dabei lernt die KI in der Praxis laufend dazu und verzichtet schrittweise immer mehr darauf, die Frage eines Mitarbeitenden an die von Menschen geführte Support-Organisation weiterzuleiten. Der Übergang einer Auskunftsstelle erfolgt also kontinuierlich in Richtung KI, sodass die Servicequalität zu keinem Zeitpunkt einem unnötigen Risiko ausgesetzt wird.
Die Zukunft ist nicht total antizipierbar
Künstliche Intelligenz bringt grosse Vorteile, das ist klar. Sie wird unseren Arbeitsalltag und unsere Berufsbilder signifikant verändern, auch das ist klar. Was aber passiert, wenn maschinenproduzierte Daten zunehmend die Meinungsbildung von uns Menschen beeinflussen? Und wie verändern sich die Teams, wenn Maschinen die Bewerbungsunterlagen erstellen und andere Maschinen diese beurteilen? Diese Perspektive kann Angst machen. Es liegt aber weiterhin an uns Menschen, wie wir die Technik in unserem Sinne, das heisst effizient, effektiv und ethisch reflektiert, einsetzen. Dies ist eine Reise, und der nächste Schritt gibt immer die Richtung vor. Es ist höchste Zeit, diesen zu gehen.