HR Today Nr. 10/2022: Arbeit und Recht - Teuerungsausgleich

Was sind die Vor- und Nachteile eines Lohnausgleichs?

Je stärker die Preise steigen, desto lauter werden die Forderungen nach Lohnerhöhungen. Die rechtlichen Auswirkungen, die eine sinkende Kaufkraft auf die Löhne haben kann.

Teuerung bedeutet, dass die Kaufkraft der betreffenden ­Währung sinkt. Ist das der Fall, spricht man von Inflation. Das Gegenstück ist die Erhöhung der Kaufkraft, bei der auch von Deflation die Rede ist.

Im schweizerischen Recht gilt bei Geldschulden der Grundsatz, dass eine Veränderung der Kaufkraft nicht berücksichtigt wird (sogenanntes «Nennwertprinzip»). Will heissen: Wurde nichts anderes vereinbart, ist der ursprünglich festgelegte Betrag geschuldet – nicht mehr und nicht weniger. Ob und wie sich die Kaufkraft zwischen der Begründung und der Fälligkeit der Forderung verändert, bleibt ohne Bedeutung. Frei nach dem Motto: «Ein Franken ist und bleibt ein Franken.»

Ausnahmen im Gesetz

Von diesem Grundsatz sieht das Gesetz vereinzelt Ausnahmen vor. Im Arbeitsrecht gibt es solche bei öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnissen. Ein Beispiel ist das Bundespersonalgesetz, dem das Personal der Bundesverwaltung und weiterer Organisationen des Bundes untersteht. Artikel 16 dieses Gesetzes verlangt die Ausrichtung eines «angemessenen Teuerungsausgleichs»; das unter der Einschränkung, dass der Arbeitgebende auch «seine wirtschaftliche und finanzielle Lage sowie die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt».

Für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse, die durch das Arbeitsvertragsrecht des Obligationenrechts geregelt sind, gibt es keine solche Gesetzesbestimmung. Entsprechend herrscht die Auffassung, dass hier das Nennwertprinzip gilt. Es bleibt beim festgelegten Lohnbetrag, auch wenn sich die Kaufkraft ändert. Hier gibt es also keinen gesetzlichen Anspruch auf Teuerungsausgleich, der die Arbeitnehmenden in Inflationszeiten davor schützt, mit ihrem Lohn immer weniger Güter und Dienstleistungen erwerben zu können. Mit anderen ­Worten existiert hier kein Schutz gegen einen Rückgang des Reallohns.

Vorbehalten bleiben auch bei privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen extreme Veränderungen der Kaufkraft, die bei der Begründung nicht zu erwarten waren. In solchen Fällen könnte der allgemeine Rechtsgrundsatz greifen, dass veränderte Verhältnisse, die ein erhebliches Missverhältnis der vereinbarten Leistungen bewirken, zur Anpassung des Vertrags berechtigen können (sogenannte «Clausula rebus sic stantibus»). Gestützt darauf könnte eine Anpassung des Lohnbetrags in Frage kommen. Zum Glück ist aus heutiger Sicht aber kaum vorstellbar, dass sich die Kaufkraft des Schweizer Frankens in absehbarer Zukunft derart extrem verändert.

Freiwillige Leistungen

Selbstverständlich sind Arbeitgebende frei, Lohnerhöhungen zum Ausgleich der Teuerung zu gewähren, auch wenn ihre Beschäftigten keinen Rechtsanspruch darauf haben. Wird ein solcher «freiwilliger» Teuerungsausgleich einer Vielzahl von Arbeitnehmenden gewährt, ist zu vermeiden, dass einzelne Arbeitnehmende ohne sachlichen Grund davon ausgenommen werden. Andernfalls könnte eine Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots geltend gemacht ­werden. Ein weiterer Gesichtspunkt ist vor allem dann zu beachten, wenn beispielsweise jedes Jahr «freiwillige» Teuerungsausgleiche gewährt werden. Soll verhindert werden, dass daraus ein Rechtsanspruch auf künftige Lohner­höhungen zum Ausgleich der Teuerung entsteht, sollte der Arbeitgebende vorgängig einen ausdrücklichen Vorbehalt anbringen.

Wie bei anderen freiwilligen Leistungen («echten Gratifikationen») besteht trotz Vorbehalt aber das Risiko, dass die Entstehung eines Rechtsanspruchs nach dreimaliger Gewährung einer solchen Lohnerhöhung angenommen wird. Bei vielen privatrechtlichen Verhältnissen gibt es eine Vereinbarung zum Teuerungsausgleich. Eine solche Vereinbarung kann stillschweigend zustande kommen, etwa durch eine seit Jahren gehandhabte Betriebspraxis. Oft findet sich die Vereinbarung aber im Arbeitsvertrag respektive Reglement oder im allenfalls anwendbaren Gesamtarbeitsvertrag («GAV»). Darin kann zum Beispiel auf den Landesindex der Konsumentenpreise des Bundesamts für Statistik verwiesen und vereinbart werden, dass sich die Lohnhöhe zu Beginn eines jeden Jahres «automatisch» anhand des Indexes anpasst. Dabei wäre es nach der Mehrheitsmeinung auch zulässig, eine Anpassung nicht nur «nach oben», sondern auch «nach unten» vorzusehen, sodass bei einer Erhöhung der Kaufkraft eine Reduktion des Lohnes resultiert.

Keine Automatismen

Meist wird aber kein solcher «Automatismus» vereinbart. Gibt es im Betrieb eine Arbeitnehmervertretung oder gilt ein GAV, ist häufig bloss erwähnt, dass zu bestimmten Zeitpunkten über einen Teuerungsausgleich verhandelt werden soll. Dann besteht bloss eine Verhandlungspflicht. Eine stärkere Position wird den Arbeitnehmenden bei Abreden im Arbeitsvertrag eingeräumt, die einen periodischen Teuerungsausgleich gemäss dem Landesindex der Konsumentenpreise vorsehen, der allenfalls an zusätzliche Bedingungen wie die finanzielle Situation des arbeitgebenden Unternehmens geknüpft ist.

In diesem Fall gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Teuerungs­ausgleich, falls die Bedingungen dafür erfüllt sind. Gewährt der Arbeitnehmende eine Lohnerhöhung zum Ausgleich der Teuerung, wird die «Teuerungszulage» zu einem Bestandteil des Lohnes, und zwar unabhängig davon, ob die Erhöhung freiwillig oder auf vertraglicher Grundlage erfolgte. Das ist nicht nur bei den ordentlichen Lohnzahlungen zu beachten, sondern überall dort, wo auf die Lohnhöhe abgestellt wird, beispielsweise bei der Lohnfortzahlung im Fall einer unverschuldeten Arbeitsverhinderung und bei der Ferienabgeltung am Ende eines Arbeitsverhältnisses.

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­Philipp Meier Schleich ist Rechtsanwalt und Partner bei LANTER Anwälte & Steuerberater. Er berät und vertritt Unternehmen und Privatpersonen in allen arbeitsrechtlichen Belangen.

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