HR Today Nr. 4/2021: Im Gespräch

Menschen wieder umarmen können

Sie ist Köchin, Restaurantbesitzerin, Kochbuchautorin und bekannt aus Kochshows. Meta Hiltebrand über Covid-Auswüchse in einer praktisch lahmgelegten Branche.

Die Gastronomie befindet sich seit Monaten im Lockdown. Was bedeutet das für die Branche?

Meta Hiltebrand: Die Gastronomie leidet heftig unter den Covid-19-Bestimmungen. Viele Beschäftigte wissen nicht, wie lange sie noch angestellt sind. Meine Einschätzung ist, dass ungefähr ein Drittel aller Betriebe aufgeben wird, insbesondere die kleineren. Was das bedeutet, können sich viele Leute nicht mal ansatzweise vorstellen. Gastronomiemitarbeitende sind häufig nicht gut gebildet und kommen nur schwer in einer anderen Branche unter.

Wie geht eine Restaurantbesitzerin mit dieser Unsicherheit um?

Am Anfang war ich ehrlich gesagt einfach nur schockiert und psychisch fertig. Da hat man sein Leben lang gearbeitet und sehr viel für seine Karriere geopfert – dann kommt der Bund und zerstört einem die Lebensgrundlage. Auf dem Spiel stehen nicht nur die Einkommen aus meinem Restaurant, auch die Nebeneinkünfte aus verschiedenen Festivals sind komplett weggefallen.

Damit habe ich meinen Restaurationsbetrieb aber teilweise quersubventioniert. Was die Zukunft bringt, ist deshalb fraglich. Müsste ich mein Restaurant schliessen, wären davon sieben Leute betroffen. Wer bezahlt das?

Einige Lichtblicke?

Es kamen viele Reaktionen aus meinem Umfeld, die mich und mein Essen vermissen. Während des Lockdowns habe ich zudem viel Zeit mit guten Freunden verbracht, für die Nachbarn Einkäufe erledigt und für alte Leute gekocht. Das waren schöne Momente. Trotzdem ist es sehr schmerzhaft, wenn man arbeiten will und nicht darf.

Was machen Sie sonst noch mit der aufgezwungenen «Freizeit»?

Häufig haben die Menschen das Gefühl, dass wir Gastronomen momentan in der Hängematte liegen und Ferien machen. Dem ist nicht so. Zurzeit erledige ich viel Büroarbeit und setze mich mit Bilanzen, Erfolgsrechnungen und Administration auseinander. Für die Härtefallentschädigung musste ich beispielsweise ein Papierwerk von 71 Seiten abliefern. Zum Glück habe ich einen Treuhänder, der das für mich erledigte und alle erforderlichen Formulare fristgerecht einreichte. Ohne ihn wäre ich mit all diesen Formalitäten aufgeschmissen gewesen.

Sie sind auch Arbeitgeberin ...

Meine Köche und Servicefachleute sitzen auf dem heissen Stuhl zu Hause und warten auf mein Kommando. Wenn wir Glück haben, können Gastrobetriebe bald ihre Terrassen aufmachen. Wann ich selbst öffnen kann, weiss ich nicht, da ich keine Aussenfläche habe.

Konnten Sie Mitarbeitende an andere Betriebe vermitteln, etwa nach Graubünden, wo derzeit Hochbetrieb herrscht?

Die Hotels in den Bergen suchen kein zusätzliches Personal, da sie ihre Mitarbeitenden für die Saison schon rekrutiert haben. Allerdings würde ich meinen Starkoch auch nicht irgendwo ans Frühstücksbuffet stellen. Das wäre, als würde man von einem Hoteldirektor verlangen, die Zimmer zu putzen. Ich denke nicht, dass das einer machen würde.

Mussten Sie schon jemanden entlassen?

Glücklicherweise nicht. Ich hatte allerdings einen Mitarbeitenden, der während des ersten Lockdowns entlassen werden wollte, weil er vom RAV mehr Geld erhält als durch die Kurzarbeit. Das ist insofern verständlich, als die Löhne im Gastgewerbe sehr tief sind. Wer mit 2800 Franken mit Kindern durchkommen muss und dann nur noch 80 Prozent erhält, hat es nicht leicht. Wie er das schafft, weiss ich nicht.

Meinen Mitarbeitenden fehlt aber nicht nur der Lohnausgleich oder das Trinkgeld. Hinzu kommen höhere Ausgaben für Mahlzeiten, weil sie nicht mehr für 180 Franken pro Monat im Geschäft essen können. Was es bedeutet, bei einem so geringen Lohn ein paar hundert Franken weniger zu haben, kann jemand wie Bundesrat Berset mit einem Jahreseinkommen von 450'000 Franken wahrscheinlich nicht nachvollziehen.

Die Gastronomie leidet schon seit Jahren unter einem Fachkräftemangel.

Seien wir ehrlich: Ein Küchenchef verdient zwischen 5000 und 8000 Franken im Monat, dafür arbeitet er an Ostern, Weihnachten, Neujahr und am Wochenende. Wer diesen Beruf ergreift, hat es schwer, ein Sozialleben zu führen. Nicht viele Menschen wollen das. Ausserdem stagnieren die Löhne auf tiefem Niveau. Wer länger in der Branche arbeitet, bekommt nicht automatisch mehr Lohn, weil nicht die Jahre zählen, sondern die Weiterbildungen, die er gemacht hat.

Wie wirkt sich die Pandemie aus?

Derzeit gibt es ein Überangebot an Arbeitskräften in der Branche. Das zeigt sich auch bei meinem Betrieb. Obwohl ich keine Stelle ausgeschrieben habe, erhalte ich wöchentlich ungefähr zehn Bewerbungen.

Sie müssten also keine Stelle ausschreiben?

Mit der Stellenmeldepflicht muss ich jede offene Stelle melden, obschon ich passende Leute über mein Netzwerk finde. Das ist mühsam. Meist schickt mir das RAV Leute, die nicht arbeiten wollen oder können. Etwa eine Mutter, die menschlich zwar gepasst hätte, aber nicht in der geteilten Schicht zwischen 11 und 15 Uhr und von 17 bis 24 Uhr arbeiten konnte. Ich musste mich beim RAV praktisch dafür entschuldigen, dass ich sie nicht berücksichtigt habe.

Wie wählen Sie Mitarbeitende aus?

Ich stelle Mitarbeitende nicht nach ihrem Lebenslauf ein, sondern danach, ob sie ins Team passen. Ihr Charakter muss stimmen und sie müssen ein einzigartiges Talent haben. Beispielsweise ein Servicemitarbeitender, der Wein liebt, oder eine Servicefachkraft, der Ordnung und Sauberkeit wichtig sind. Sie sind Superstars in zwei Bereichen, die sich hervorragend ergänzen.

Wie gehts nach der Öffnung weiter?

Wir brauchen richtig viele Gäste, die bereit sind, Geld auszugeben. Normalerweise verdienen wir im November und Dezember am meisten. Mit diesen Einnahmen schaffen wir Reserven für Flauten. Das funktionierte 2020 aber nicht. Ändert sich die derzeitige Situation nicht und erwirtschaften wir 2021 beispielsweise nur die Hälfte der Einkünfte von 2019, geht es ans Eingemachte. Dann fehlt uns auch das Geld für Investitionen.

Für mich selbst habe ich aber keine grossen Wünsche. Ich freue mich einfach darauf, wieder Menschen umarmen zu können, und hoffe, dass uns die Rückkehr ins alte Leben nicht durch zu viele Auflagen erschwert wird.

Zur Person

Meta Hiltebrand (37) hat in den Zürcher Restaurants Rigihof und Bauhaus eine Kochlehre absolviert. Später arbeitete sie unter anderem im Zürcher Hotel Widder. 2013 hat sie das Zürcher Restaurant Le Chef übernommen. Meta Hiltebrand hat zwei Kochbücher geschrieben und tritt als Fernsehköchin und Jurymitglied in verschiedenen Kochshows auf. metahiltebrand.ch

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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