Je reifer die Firmenkultur, desto weniger Regeln sind notwendig
Alkohol kann schädlich für die Gesundheit sein. Alkohol kann missbraucht werden. Alkohol kann süchtig machen. Alkohol sollte bekämpft werden – die Argumente sind eindeutig. Gibt es überhaupt Gründe, die für Alkohol sprechen? Rationale wohl nur wenige. Zum Beispiel, dass Alkohol den Kreislauf anregt, dass es in Wein wertvolle Antioxidantien gibt, denen gesundheitliche Qualitäten zugesprochen werden. Und dann ist da noch das «French Paradox» – die unerklärliche Resistenz der weinliebenden Franzosen gegen Herz-Kreislauf-Krankheiten, die der überzeugenden Vernunft der Medizin-Statistiker und Gesundheitsapostel einen Strich durch die Rechnung macht. Sie feiern mit Fett, Süssem und Alkohol «la grande bouffe», trinken mehr Wein als alle anderen Nationen und leben damit statistisch erstaunlich gesund.
Nichtsdestotrotz: Alkohol ist schlecht und muss man bekämpfen, um Missbrauch und Sucht zu vermeiden. Also ist es doch wohl selbstverständlich, dass man vor allem dort, wo man kann, einen Riegel schiebt: an der Arbeit. Es ist ja auch gefährlich, in alkoholisiertem Zustand zu arbeiten – selbst dort, wo anstelle einer Baumaschine nur ein PC bedient wird. Es schleichen sich Fehler in die Berechnung ein und das Mail an den Kunden wird eine Spur zu vertraulich.
Rechtfertigt das Zelebrieren eines Geburtstags oder des Erreichens von Zielen Alkohol an der Arbeit? Könnte das nicht auch nach der Arbeit oder ohne Alkohol gefeiert werden? Besteht da nicht die Gefahr, dass womöglich kreativ nach Gründen zum Feiern gesucht wird?
Es scheint klar: Der Alkoholkonsum am Arbeitsplatz muss geregelt werden. Ein totales Verbot ist aber schlecht zu vermitteln und schliesslich gibt es ja noch die Weihnachtsfeier, die traditionell mit einem Glas Sekt im Büro eingeleitet wird. Also braucht es ein umfassendes Reglement, das auch klar die Ausnahmen regelt. Und auch, was noch zum Büro zählt und was nicht und ob man im Geschäft trinken darf, wenn man nicht im Einsatz steht, und ob das Alkoholverbot auch für Besucher gilt, und falls es Ausnahmen gibt, zu welchen Zeiten das Trinken und welche Alkoholarten zugelassen sind und wer im Zweifel entscheiden darf. Ein paar Seiten gibt das schon.
Trotz dieser Argumente gibt es in unserem Unternehmen kein Alkoholreglement. Es gibt bei uns überhaupt wenige Regeln und damit fahren wir gut. Wir sind zwar nur 40 Mitarbeitende, doch würde ich diese Freiheit den meisten Unternehmen empfehlen, auch grösseren. Jede, jeder trägt Verantwortung, man ist füreinander da, man kämpft miteinander und man feiert Erfolge gemeinsam. Das spontane Anstossen mit einem Glas vorzüglichen Cavas hat schon viel zur Teambildung beigetragen und auch Spannungen und zwischenmenschliche Probleme aus der Welt geschafft.
Braucht es wirklich so viele Reglemente? Geben sie die gewollte Klarheit und Sicherheit oder dämpfen sie nur Motivation, Selbständigkeit und Verantwortungsbewusstsein? Traut man seinen Mitarbeitenden nicht genügend gesunden Menschenverstand zu? Ziel der Führung sind doch mündige Arbeitnehmer, die Verantwortung tragen und dank Zufriedenheit und Motivation zuverlässig und produktiv sind. Mitarbeiter mit persönlichen Problemen haben in einem intakten Arbeitsklima die Aufmerksamkeit ihrer Kolleginnen und Kollegen und menschliche Hilfe ist normal. Meine These lautet daher: Je reifer die Firmenkultur, desto weniger Regeln sind notwendig. Oder umkehrt: Reglemente können der Kultur im Wege stehen.
- Karl Schefer ist Gründer und Geschäftsleiter der Delinat Weinhandlung.