HR-Debatte

Vollstrukturierte
 Interviews

Fehlbesetzungen kosten Unternehmen ein Vermögen. Über die Relevanz von Vorstellungsgesprächen sind sich Recruiter darum einig. Aber wie das Risiko, den falschen Kandidaten einzustellen, so klein wie möglich gehalten wird, da gehen die Meinungen auseinander. Während 
die einen auf vollstrukturierte Interviews setzen, bevorzugen andere auch freie Gesprächsabschnitte. Zwei Recruiter sagen ihre Meinung.
 

Der faire Weg der Forschung

Es ist unbestritten, dass ein richtig aufgesetztes und professionell durchgeführtes Einstellungsinterview eine genaue Vorhersage liefert, ob Kandidaten das Versprechen, zum Geschäftserfolg beizutragen, zu halten vermögen. Zahlreiche Forschungsbefunde belegen, dass die Validität durch den Strukturierungsgrad des Interviews steigt und dass bereits geringe Validitätsunterschiede zu erheblichen Kostendifferenzen führen, da Fehleinstellungen ein Unternehmen teuer zu stehen kommen.

Höchste Prognosewerte zur Eignung eines Bewerbers liefern die sogenannten multimodalen Interviews mit einem klar festgelegten Ablauf. Diese beinhalten in der Regel eine strukturierte Selbstvorstellung, einen freien Teil mit Einbezug von biografischen Fragen sowie einen Bereich mit strukturierten Fragen, welche auf die Funktion sowie das Kompetenzmodel des Unternehmens abgestimmt werden. Zudem wird ein strukturiertes Beurteilungsraster vorgegeben, damit alle Kandidaten an denselben Kriterien gemessen werden, was sowohl einen fairen Prozess als auch die Vergleichbarkeit von verschiedenen Bewerbern ermöglicht. Die Vorteile eines solchen strukturierten Interviews sind vielfältig. Zu nennen sind unter anderem die hohe Akzeptanz, die Vergleichbarkeit von Kandidaten, Chancengleichheit und der faire Selektionsprozess, die bessere Steuerung des Interviewverlaufs sowie der Fokus des Interviews auf berufsrelevante Aspekte.

Die eignungsdiagnostische Forschung sagt uns unter anderem deutlich, dass

  • 
Vielredner eher angestellt werden als Wenigredner
  • 
gut aussehende Bewerber bessere Anstellungschancen haben als weniger attraktive
  • 
Interviewer negative Informationen zum Kandidaten deutlich stärker gewichten als positive
  • 
Sympathie die Bereitschaft erhöht, Bewerber 
einzustellen
  • 
Interviewer häufig Infos ignorieren, die nicht seinem «Gesamteindruck» des Kandidaten entsprechen

Unabhängig von der gesuchten Funktion kann mit einem strukturierten Interview diesen Beurteilungsfehlern entgegengewirkt werden. Nichtsdestotrotz werden Interviews vielerorts immer noch nicht konsequent vorbereitet und strukturiert durchgeführt und es wird unreflektiert und aufgrund des eigenen Eindrucks, der Emotion und Intuition beurteilt.

Vom Mittelweg eines halbstrukturierten Interviews ist ebenfalls abzuraten. Im Unterschied zum vorgestellten Ansatz besteht hier zwar mehr Flexibilität bei der Gesprächsführung, jedoch zum Preis einer eingeschränkten Vergleichbarkeit und ungleicher Bedingungen für die Bewerber. Die vergleichsweise tieferen Validitätswerte generieren auch hier massive Produktionseinbussen und verhindern mögliche Innovationsfortschritte auf Grund von Fehlbesetzungen.

Eine Ursache, warum eignungsdiagnostische Forschungsergebnisse nur schwer Zugang in die Personalselektion finden, sind die Interviewer selbst. Im Gegensatz zu alltäglichen Kontaktsituationen müssen sie sich bei einem strukturierten Interview auf einen standardisierten Ablauf disziplinieren und die Stellenpassung anhand eines Kompetenzprofils und von Persönlichkeitsanforderungen beurteilen. Dafür ermöglicht das strukturierte Interview eine selbstkritische Reflexion bezüglich Beobachtung und Beurteilung und Einflüssen wie beispielsweise dem Sympathie-Effekt – ein bereichernder Zugang zu eigenen, meist unbewussten Denk- und Wahrnehmungsmustern, die zu Verzerrungen führen können.

  • Daniel Hippenmeyer, Director Talent Acquisition bei Credit Suisse

Ein Gespräch statt ein Verhör

Rekrutierungsgespräche geben dem Arbeitgeber und dem Bewerber die Möglichkeit, sich kennen zu lernen und sich einzuschätzen. Letztlich wünschen sich beide Seiten eine gute und langfristige Zusammenarbeit. Vorstellungsgespräche können auf verschiedene Arten strukturiert werden:

  • 
Vollstrukturierte Gespräche scheinen den Vorteil zu haben, dass man einen exakten Vergleich zwischen den Bewerbern punkto Antworten oder Reaktionen ziehen kann. Es ist jedoch wie mit jeder geschlossenen Befragung – man erfährt eventuell nicht das Wichtigste.
  • 
Im unstrukturierten Gespräch lässt man sich treiben, kann auch etwas Wichtiges vergessen. Gewieften Kandidaten überlässt man das Feld, um den Gesprächsverlauf auf subtile Art zu manipulieren. Ausserdem hat das HR kaum Vergleichsmöglichkeiten und unterliegt womöglich der Versuchung, nach Sympathie und Bauchgefühl zu entscheiden.
  • 
Die teilstrukturierte Gesprächsmethode versucht, die Vorzüge der strukturierten und unstrukturierten Methode zu vereinen. Es gibt definierte Fragen, die für alle Kandidaten gleich sind. Das gewährt Vergleichbarkeit. Die sich im Gesprächsverlauf ergebenden spezifischen Fragen gehen individuell auf den Bewerber ein. Damit erfährt man manchmal ein weiteres O.k.- oder gar das entscheidende K.o.-Kriterium.

Wir bei der Grosspeter AG pflegen die teilstrukturierte Gesprächsmethode. Der Gesprächsverlauf kann so aufgebaut werden, dass die Einstiegsfrage in der Regel für alle Kandidaten gleich ist – etwa: «Was ist Ihre Motivation für die ausgeschriebene Arbeitsstelle?» Daraus leitet sich das Gespräch weiter ab und öffnet sich. Innerhalb des Gesprächs sind dann mehrere feste Fragen eingebaut, welche gestellt werden müssen. Mittels Leitfaden-Katalog wird sichergestellt, dass nichts vergessen geht. Ein grosser Teil der Fragen ist aber frei und basiert auf der Person, ihrem Werdegang, ihren Erfahrungen oder persönlichen Anliegen.

Ich bevorzuge diese Methode, weil sich vollstrukturierte Interviews zu sehr nach Fakten und Daten richten und weniger Sinn- und Bedeutungsfragen stellen. In einem Gespräch möchte ich primär den Menschen näher kennen lernen. Das vollstrukturierte Interview ist mir dafür zu schematisch. Alle Kandidaten nach dem gleichen Muster abzufragen, gleicht schon fast ein bisschen einem Verhör.

Das führt zu einem anderen, wesentlichen Punkt: Die Gesprächsatmosphäre. Stelle ich nur geschlossene beziehungsweise suggestive Fragen? Haben auch offene Fragen Platz? Hat der potenzielle Mitarbeiter mehrheitlich das Wort? Lasse ich dem Kandidaten die notwendige Zeit, über tiefgründigere Fragen nachzudenken, bevor er antwortet?

Das alles hat Einfluss auf die Gesprächsqualität. Ist der Kandidat aus einem Grund gehemmt, wird er sich nicht mehr so geben, wie wir es uns grundsätzlich wünschten – offen und natürlich.

Mit teilstrukturierten Interviews habe ich nur gute Erfahrungen gemacht. Der Kandidat fühlt sich mehr abgeholt und wohler als beim vollstrukturierten Interview. Das Gespräch gestaltet sich lebendiger und spannender. Schliesslich möchte eine leistungsstarke Unternehmung mitdenkende und selbständige Mitarbeitende. Das sollte dem Kandidaten unbedingt schon in der Kennenlernphase mit auf den Weg gegeben werden.

  • Mario Zanandrea, Leiter Personal und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Grosspeter AG
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Daniel Hippenmeyer, Director Talent Acquisition bei Credit Suisse

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Mario Zanandrea ist Leiter 
Personal bei der Grosspeter AG. Als Personalfachmann mit eidg. 
FA war er zuvor u.a. tätig bei Swissmetall Dornach, bei der Manor am Basler Hauptsitz als Recruiter und als Leiter Personaldienste bei der Honegger Reinigungen AG in 
Köniz BE.

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