- Vollstrukturierte Gespräche scheinen den Vorteil zu haben, dass man einen exakten Vergleich zwischen den Bewerbern punkto Antworten oder Reaktionen ziehen kann. Es ist jedoch wie mit jeder geschlossenen Befragung – man erfährt eventuell nicht das Wichtigste.
- Im unstrukturierten Gespräch lässt man sich treiben, kann auch etwas Wichtiges vergessen. Gewieften Kandidaten überlässt man das Feld, um den Gesprächsverlauf auf subtile Art zu manipulieren. Ausserdem hat das HR kaum Vergleichsmöglichkeiten und unterliegt womöglich der Versuchung, nach Sympathie und Bauchgefühl zu entscheiden.
- Die teilstrukturierte Gesprächsmethode versucht, die Vorzüge der strukturierten und unstrukturierten Methode zu vereinen. Es gibt definierte Fragen, die für alle Kandidaten gleich sind. Das gewährt Vergleichbarkeit. Die sich im Gesprächsverlauf ergebenden spezifischen Fragen gehen individuell auf den Bewerber ein. Damit erfährt man manchmal ein weiteres O.k.- oder gar das entscheidende K.o.-Kriterium.
Wir bei der Grosspeter AG pflegen die teilstrukturierte Gesprächsmethode. Der Gesprächsverlauf kann so aufgebaut werden, dass die Einstiegsfrage in der Regel für alle Kandidaten gleich ist – etwa: «Was ist Ihre Motivation für die ausgeschriebene Arbeitsstelle?» Daraus leitet sich das Gespräch weiter ab und öffnet sich. Innerhalb des Gesprächs sind dann mehrere feste Fragen eingebaut, welche gestellt werden müssen. Mittels Leitfaden-Katalog wird sichergestellt, dass nichts vergessen geht. Ein grosser Teil der Fragen ist aber frei und basiert auf der Person, ihrem Werdegang, ihren Erfahrungen oder persönlichen Anliegen.
Ich bevorzuge diese Methode, weil sich vollstrukturierte Interviews zu sehr nach Fakten und Daten richten und weniger Sinn- und Bedeutungsfragen stellen. In einem Gespräch möchte ich primär den Menschen näher kennen lernen. Das vollstrukturierte Interview ist mir dafür zu schematisch. Alle Kandidaten nach dem gleichen Muster abzufragen, gleicht schon fast ein bisschen einem Verhör.
Das führt zu einem anderen, wesentlichen Punkt: Die Gesprächsatmosphäre. Stelle ich nur geschlossene beziehungsweise suggestive Fragen? Haben auch offene Fragen Platz? Hat der potenzielle Mitarbeiter mehrheitlich das Wort? Lasse ich dem Kandidaten die notwendige Zeit, über tiefgründigere Fragen nachzudenken, bevor er antwortet?
Das alles hat Einfluss auf die Gesprächsqualität. Ist der Kandidat aus einem Grund gehemmt, wird er sich nicht mehr so geben, wie wir es uns grundsätzlich wünschten – offen und natürlich.
Mit teilstrukturierten Interviews habe ich nur gute Erfahrungen gemacht. Der Kandidat fühlt sich mehr abgeholt und wohler als beim vollstrukturierten Interview. Das Gespräch gestaltet sich lebendiger und spannender. Schliesslich möchte eine leistungsstarke Unternehmung mitdenkende und selbständige Mitarbeitende. Das sollte dem Kandidaten unbedingt schon in der Kennenlernphase mit auf den Weg gegeben werden.
- Mario Zanandrea, Leiter Personal und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Grosspeter AG