HR Today Nr. 8/2022: Gigworker schützen

Die Revolution der Arbeitswelt

Die Plattformökonomie ordnet die Arbeitswelt neu – doch welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Arbeitende? Und wie kann sie zum Nutzen aller gestaltet werden? Ansätze für eine faire Umsetzung.

Von Airbnb-Übernachtungen in privaten Wohnungen über das einfache Bestellen von Essen mit Just Eat bis hin zum schnellen Uber-Shuttleservice – die Plattformökonomie ist gross geworden und unser Nutzungsverhalten ist mitgewachsen. Doch nicht nur das, immer mehr Menschen verdienen damit auch ihr Geld. Im Unterschied zu den einst klassischen Mechanismen zwischen Arbeitgebenden und Arbeitskraft und dem üblicherweise direkten Austausch von Produkten und Dienstleistungen zwischen Unternehmern und Kunden haben wir es bei der Plattformökonomie mit Vermittlern zu tun.

Die Anbietenden der Plattformen kreieren kein Produkt und keine Dienstleistung: Sie vermitteln und organisieren die zwischen den Ökosystem-Teilnehmenden stattfindenden Transaktionen über eine internetbasierte Infrastruktur. Gemessen an den Einnahmen verfünffachten sich die digitalen Arbeitsplattformen zwischen 2016 und 2020 von 3 auf 14 Milliarden Euro. Anfang 2021 gab es bereits über 500 Plattformen. Aktuell werden in der EU mehr als 28 Millionen Menschen über digitale Arbeitsplattformen beschäftigt. Bis 2025 dürfte diese Zahl auf 43 Millionen steigen.

Die Chancen und Vorteile der Plattformökonomie

Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Plattformökonomie bietet Arbeitenden einen leichten und oft ortsunabhängigen Zugang zum schnellen Zusatzeinkommen. Hauptmotivatoren für die Plattformarbeit sind ein «netter Nebenerwerb» und «zeitliche Flexibilität». Geldnot spielt eine eher geringere Rolle, vielmehr wird der Wunsch nach mehr Selbstbestimmung und Flexibilität laut. Vor allem jüngere Generationen haben das Verlangen nach mehr Individualisierung und einen grossen Wunsch nach mehr Flexibilität – allen voran die Gen Z, wie eine von Zenjob veröffentlichte Studie zeigt. Dadurch verändern sich die klassischen Arbeitsverhältnisse. Wir beobachten zunehmend temporäre Phasen in der Festanstellung wie der Selbstständigkeit oder in anders ausgestalteten Arbeitsverhältnissen.

Nicht nur in Sachen Flexibilität, auch in Sachen Wirtschaftlichkeit ergeben sich Vorteile durch die Plattformökonomie: Unternehmen können flexibel auf Arbeitskräfte zugreifen, um saisonale Schwankungen auszugleichen und Kostenvorteile zu generieren. Bei ortsunabhängigen Angeboten kann auf einen internationalen Talentpool zurückgegriffen werden und bei Aufgaben, bei denen es nicht zwangsläufig einer Festanstellung bedarf, kann über die Plattformen die Nachfrage nach temporären Arbeitskräften gedeckt werden.

Gut, aber noch lange nicht perfekt

So flexibel sich die Arbeit mit der Plattformökonomie auch gestaltet – es gibt einige Herausforderungen. Deshalb möchte die EU die Arbeitsbedingungen und die sozialen Rechte von Menschen, die über digitale Arbeitsplattformen arbeiten, verbessern und einen Weg beschreiten, bei dem die Interessen der Plattformen und diejenigen der Beschäftigten in einem ausgewogeneren Verhältnis stehen. So müssen EU-Mitgliedstaaten allem voran die Bestimmungen der 2019 verabschiedeten Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen bis spätestens 1. August 2022 in nationales Recht umsetzen.

So wird sichergestellt, dass Personen, die über digitale Arbeitsplattformen arbeiten, einen rechtmässigen Beschäftigungsstatus erhalten, der ihren tatsächlichen Arbeitsregelungen entspricht. Daneben sorgt die Richtlinie bei Algorithmen, die zur Organisation und Verwaltung von Daten genutzt werden, für Transparenz. Und auch dafür, dass Arbeitsverhältnisse gegenüber den nationalen Behörden verpflichtend gemeldet werden.

Plattformarbeit in der Schweiz

Der Bundesrat befand im vergangenen Jahr, es gäbe keinen Handlungsbedarf in der Schweiz, und hält eine Anpassung an die EU-Richtlinie für unnötig. Interessenvertreter der Arbeitnehmenden sehen das jedoch anders. Syndicom, die Gewerkschaft für Medien und Kommunikation, befürchtet beispielsweise, dass die Schweiz in Belangen der Plattformökonomie abgehängt werden könnte: Dazu gehöre das Recht auf die eigenen Daten oder das Sicherstellen von Mitwirkungsrechten, die im Kontext der Digitalisierung zunehmend geschleift würden.

Exemplarisch sei vor allem die Logistikbranche: Bei der Essenslieferung handle es sich oft um Scheinselbständige, die wie regulär Angestellte oft in Kurzeinsätzen ausliefern und meist nur für wenige Minuten während der Lieferzeit angestellt sind. Hier zeigt die Regulierung der sogenannten unechten Arbeit auf Abruf grosse zu schliessende Lücken. Pendeln Nebenjobbende beispielsweise aus EU-Ländern, ist zu prüfen, ob das Meldeverfahren für Entsendungen von Arbeitnehmenden aus der EU/EFTA bei einer Dienstleistungserbringung bis zu 90 Tagen im Kalenderjahr greift.

Eine faire, transparente und für alle nutzbringende Plattformökonomie

Als Anbietender einer Plattform sollte man sich der Verantwortung ohnehin nicht entziehen. Umso mehr bleibt zu hoffen, dass mit der Umsetzung der Richtlinie immer mehr Grauzonen und Schlupflöcher verschwinden. Plattformanbieter sollten sich als Mitgestaltende einer fairen, neuen Arbeitswelt positionieren und die Chance ergreifen, Lösungen für diese Herausforderungen zu finden – ob nun mit oder ohne politische Vorgaben. Viele Anbietende tun das bereits und orientieren sich beispielsweise an den fünf Prinzipien der in Oxford angesiedelten Fairwork Foundation für faire Arbeit. Die Stiftung gibt eine Einordnung, wie die Prinzipien

  1. faire Bezahlung
  2. faire Bedingungen
  3. faire Verträge
  4. faires Management
  5. faire Vertretung

umgesetzt und objektiv bewertet werden können. Von Mindestlöhnen über das Arbeitszeitschutzgesetz bis hin zur Feedbackmöglichkeit gibt es viele Ansatzpunkte für Plattformanbietende im Austausch mit Verbänden, Aufsichtsratsbehörden und Regierungen. Mit der Umsetzung der EU-Richtlinie über transparente und vorher­sehbare Arbeitsbedingungen sowie der unternehmerischen Eigeninitiative können diese die Weichen stellen, um das Potenzial der Plattformökonomie auszuschöpfen und den Weg in die Zukunft der Arbeit so flexibel und sicher wie möglich zu gestalten.

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Frederik Fahning ist Mitgründer und Managing Director von Zenjob, einem digitalen Marktplatz für Personalvermittlung. Er kennt durch sein Studium der Rechtswissenschaften zudem die rechtlichen Grundlagen, mit der die Arbeitswelt besser an die Bedürfnisse der Arbeitnehmenden angepasst werden kann und beschäftigt sich zudem mit den Fragen sozialverträglicher Arbeit und Plattformökonomie. zenjob.com

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