Personal Swiss 2015

Lernen im Zeitalter 
von Internet und Smartphone

Während das verfügbare Wissen im Internet explodiert ist, hinken Lehr- und Lernmethoden den Gegebenheiten 
hinterher. Gefragt ist heute nicht mehr die pure Wissensvermittlung oder -aufnahme, sondern die Fähigkeit, Information 
zu interpretieren, zu ordnen und zu gewichten – kurz: Lernen 2.0. Ein Plädoyer für neue Lehr- und Lernformen.

Unser Alltag ist zunehmend digitalisiert und das globale Medium Internet mittlerweile zu einem unverzichtbaren Bestandteil unseres Lebens geworden. Nicht nur unser Alltag, sogar ganze Branchen wurden durch die Digitalisierung umgekrempelt: Musik kauft man nicht mehr auf einer CD, sondern lädt sie sich herunter. Um über das Weltgeschehen auf dem Laufenden zu sein, wartet man nicht mehr, bis eine Zeitung gedruckt ist, sondern liest den Newsfeed in den Social-Media-Kanälen. Bücher kauft man nicht mehr in der Buchhandlung, man lädt sie direkt von Amazon auf den E-Reader. Man vertraut Regierungen nicht mehr einfach, sondern schaut ihnen mit Wikileaks auf die Finger.

Digitalisierung bedeutet auch Beschleunigung: Die Folge davon ist, dass unser Leben schneller wird und wir unsere Aufmerksamkeit in immer kürzeren Abständen auf Neues einstellen müssen. Während früher einmal pro Tag die Post verteilt wurde, werden uns heutzutage rund um die Uhr E-Mails, Tweets und Chatnachrichten direkt in die Hosentasche zugestellt. Daraus wurde schon gefolgert, dass die Aufmerksamkeitsspanne immer kürzer werde, weil man sich immer weniger lang auf etwas konzentrieren könne. Dem ist aber nicht so: Die Aufmerksamkeit wird bloss in kürzeren Abständen umgeschaltet und auf Neues gerichtet. Diese Fähigkeit ist ein Erfordernis des digitalisierten Alltags, die in der Aus- und Weiterbildung berücksichtigt werden muss.

Wissen à la carte

Unsere Alltagswelt wurde digitalisiert und damit nicht nur beschleunigt, sondern auch vernetzt. Dieses Netzwerk kann aber nicht mit einem Spinnennetz verglichen werden, das hierarchisch und nach klaren Gesetzmässigkeiten aufgebaut ist. Im Gegenteil: Das Internet ist völlig chaotisch organisiert. Das Wissen liegt ungeordnet, unstrukturiert und manchmal sogar beliebig arrangiert vor. Somit gleicht das Internet eher einem neuronalen Netz, das völlig anders funktioniert als ein hierarchisch aufgebauter Wissensbaum, der, rein logischen Kriterien folgend, das Wissen säuberlich einteilt.

Früher war das Wissen hingegen in klaren Strukturen abgelegt: im Idealfall nach Sachgebiet oder wenigstens nach Alphabet. Wenn man eine Bibliothek oder eine Buchhandlung mit der Bücherordnung von Amazon vergleicht oder Wikipedia dem Brockhaus gegenüberstellt, merkt man, dass das Wissen im digitalen Zeitalter anders geordnet ist als früher. Oder anders ausgedrückt: Es kann geordnet werden, aber individuell. So ordnet Amazon beispielsweise alle Bücher für jeden Benutzer und kann so individuelle Kauf-empfehlungen abgeben. Es gibt keine über allem stehende Ordnung mehr, sondern unzählige Möglichkeiten der Ordnung. Und diese vielen Möglichkeiten können zur Beliebigkeit und damit zur Unordnung werden. Andererseits sind aber auch das gesamte Wissen und alle Informationen jederzeit und überall verfügbar.

Veraltete Lernmethoden

Obwohl sich das Lernen nicht verändert hat und unser Hirn immer noch gleich funktioniert, haben sich die Ansprüche an die Lernangebote fundamental geändert. Digitalisierung und Vernetzung verlangen, dass die Lernmethoden den beschleunigten Anforderungen des Alltags angepasst werden.

Ein erstes Stichwort zum Lernen 2.0 lautet entsprechend «fragmentiertes Lernen», leicht abschätzig auch «Lernhäppchen» genannt. Der Lernstoff muss fragmentiert, in kleinere Portionen unterteilt werden, um in unserem Alltag überhaupt noch verdaubar zu sein. Grössere Brocken oder eben längere Sequenzen oder Vorträge werden den Anforderungen eines schnell getakteten Alltags immer weniger gerecht.

Ein zweites Stichwort ergibt sich aus der ubiquitären Verfügbarkeit allen Wissens und betrifft die Rolle der Ausbildnerinnen und Ausbildner: «Coaching statt Teaching». Ausbildner sind nicht mehr das alleinige Tor zum Wissen. Oft haben die Lernenden sogar einen besseren Zugang zu Wissen und Informationen als die Lehrenden. Deshalb müssen Ausbildner richtig gute Reiseführer in der virtuellen Welt sein. Da das Wissen im Internet strukturlos vorliegt, besteht die vordringliche Aufgabe der Ausbildner darin, dieses Wissen für die Lernenden zu ordnen und zu strukturieren, denn erst wenn das Wissen geordnet ist, kann es mit anderen Inhalten sinnvoll verknüpft und im Langzeitgedächtnis abgelegt werden.

Ein drittes Stichwort zum Lernen 2.0 lautet «selbstorganisiertes Lernen». Konfuzius hat es so formuliert: «Gib einem Mann einen Fisch und du ernährst ihn für einen Tag. Lehre einen Mann zu fischen und du ernährst ihn für sein Leben.» Dieses Sprichwort war wohl noch nie so zutreffend wie in unserer vernetzten, digitalisierten und sich damit immer schneller verändernden Welt. Lernende müssen heute auch lernen, wie man lernt. Sie müssen befähigt werden, sich auf die Beschleunigung und Veränderung unserer Welt einzustellen.

Lernen findet überall statt

Beim Lernen 2.0 geht es also nicht um neue Lerntechnologien, sondern um angepasste Lehrmethoden. Diese Lehrmethoden können allerdings durchaus auf geeignete Technologien zurückgreifen. Damit tragen sie neben der Beschleunigung und Vernetzung einer dritten Veränderung unserer Gesellschaft Rechnung: der zunehmenden Mobilität. Lehren und Lernen finden nicht mehr im Hörsaal, im Seminarhotel oder im Abendkurs statt, sondern immer und überall. Das ist es, was mich hoffnungsvoll stimmt!

Live an der Personal Swiss

Dr. Mark Alder referiert an der Personal Swiss als Keynote-Speaker zum Thema «Lernen 2.0 – berufliche Weiterbildung im Zeitalter von Internet und Smartphone». Mittwoch, 15. April 2015, 
16.10 – 16.40 Uhr, Praxisforum 5.

 

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Dr. Mark Alder leitet den Bereich Digital Learning am «Center for Innovative Teaching and Learning» der ZHAW. Alder ist mehrfacher Schweizer und Europameister in Rhetorik und Keynote-Speaker im Bereich Lernen und Rhetorik.

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