Cristian Hofmann
Scheitern gehört zum Alltag. Doch stellen Sie sich vor, Sie würden jeden Misserfolg auf Linkedin posten und in Ihrem CV in einer eigenen Rubrik aufführen. Muss das wirklich jeder wissen? Wird man Sie begeistert zum nächsten Bewerbungsgespräch einladen? Misserfolg ist in unseren Breitengraden ein Tabu. Wir werden an unseren Erfolgen gemessen; Misserfolge werden verurteilt oder belächelt. Scheitern ist Kopfsache.
In Coachinggesprächen sagen mir Klienten oft, dass ein Misserfolg den Anstoss zur Veränderung gegeben habe. Das Scheitern führte also letztlich zu etwas Positivem. Warum erleben wir es trotzdem als so schwierig? Psychologen weisen darauf hin, dass wir meist an den Erwartungen scheitern. Eine Niederlage schmerzt! Eben hatten Sie noch Ziele und Pläne – und plötzlich stürzen Sie auf den steinharten Boden. Sie sind verunsichert, es ist Ihnen peinlich.
Vor allem aber fürchten Sie sich vor den Reaktionen der Mitmenschen, von Vorgesetzten und Arbeitskollegen, vor Mitleid und Schadenfreude. Während Sie dem nächsten Umfeld Ihr Scheitern vermutlich erklären können, ist es ungleich schwieriger, dies Menschen gegenüber zu tun, die weder Sie noch die Umstände des Misserfolgs kennen. So führt der Misserfolg schnell zum Missverständnis. Genau deswegen brauchen Sie ihn nicht an die grosse Glocke zu hängen, indem Sie ihn öffentlich machen. Das eigene Image und die Reputation basieren auf der Wahrnehmung der anderen. Sie ergeben sich aus einem gesellschaftlichen Konsens. Dieses System können Sie nicht ändern. Solange die Gesellschaft Fehler mit Versagen gleichsetzt, vergrössert sich Ihr Problem, wenn Sie Ihr Scheitern öffentlich machen. Die Gnadenlosigkeit im Umgang mit Fehlern ist ein Produkt unserer Wettbewerbsgesellschaft und vieler Unternehmenskulturen. Ob wir wollen oder nicht: Wir messen einander ständig im Modus des Wettbewerbs an den Erfolgen, kaum ein Job ist sicher – fast jede Position kann innert kurzer Zeit zur Disposition gestellt werden. Es sind wenige Berufe, wo Fehler ausdrücklich kommuniziert werden sollen. Und auch dort werden sie kaum öffentlich gemacht, sondern anonymisiert. Kürzlich diskutierte ich mit Piloten über den Umgang mit Misserfolgen im Cockpit. Sie reflektieren ihr Verhalten in gewissen Situationen, reden über Fehler und Fehlentscheidungen. Das dient der Verbesserung ihrer Leistung, fördert ihre Erfahrung und hilft, künftig Katastrophen zu verhindern. Solche Niederlagen sind lehrreich und fördern die Persönlichkeitsentwicklung. Die Diagnose ist klar: Misserfolge sind alltäglich. Sie zu überwinden, ist oft der Schlüssel zu künftigem Erfolg. Wer mit Fehlern umzugehen lernt, kann aus der nächsten Krise gestärkt hervorgehen. Das eröffnet neue Kapitel in der Karriere. Oft sind es Erfolgsgeschichten! Solange unser Image von Dritten geprägt ist und die Wettbewerbsgesellschaft nicht für eine neue Fehlerkultur bereit ist, bringt es nichts, das eigene Scheitern öffentlich kundzutun. Es genügt, wenn Sie dies im direkt betroffenen Umfeld offen und ehrlich kommunizieren und souverän damit umgehen.