HR Today Nr. 7&8/2017: Debatte

Weg mit Begleitbriefen?

Bewerbungsschreiben seien oft genauso nichtssagend wie die Stellenanzeigen, auf die sie sich beziehen, findet HR-Blogger und Personalmarketingberater Henner Knabenreich und fordert deren Abschaffung. Senior-Consultant Roman Bodenmiller hält trotz dieser Mängel an ihnen fest.

Henner Knabenreich

Was sagt uns ein Anschreiben über die Eignung des Bewerbers? Insbesondere, weil ein Anschreiben eine Reaktion auf Stellenanzeigen ist, deren Qualität und Aussagekraft oft zu wünschen übrig lassen. Interessanterweise beschweren sich Personaler über austauschbare Anschreiben ohne Aussagekraft und darüber, dass sie keine Bewerber finden – dabei ist das Problem wegen austauschbarer Stelleninserate meist selbst verursacht. Aber dessen ungeachtet: Warum sollten ein Software-Entwickler oder eine Erzieherin ein Anschreiben vorlegen? Lassen sich daraus Schlüsse über die fachliche oder gar persönliche Eignung ziehen? Sollte ein Software-Entwickler nicht einfach nur richtig gut coden und eine Erzieherin bestens mit Kindern umgehen können? Über die fachliche Qualifikation gibt doch schon der Lebenslauf oder das Profil auf Linkedin oder Xing Auskunft.

Ohnehin legen nur wenige Unternehmen verbindliche Anforderungen für eine Stelle fest. Vielmehr gehen diese auf Wunschlisten zurück, bei denen weder auf die Konsistenz zwischen Anforderungen noch zwischen Aufgaben und Anforderungen geachtet wird. Hinzu kommt, dass wir über die Wirksamkeit der Selbstselektion von Bewerbern aufgrund von Aufgabenbeschreibungen und Anforderungsprofilen nichts wissen. Während es Studien zur Gestaltung von Stellenanzeigen gibt, liegen diese über «eine bestmögliche und valide Basisrate der Bewerber durch eine realistische Selbsteinschätzung» nicht vor. Dennoch fordern Personaler ein Anschreiben, aus dem hervorgeht, warum man davon überzeugt ist, besonders gut auf die Stelle zu passen. Oft bedeutet ein fehlendes Anschreiben sogar das Aus für den Bewerber. Dabei ist die diagnostische Aussagekraft eines Anschreibens zweifelhaft, zumal dieses doch oft im Sinne einer vorteilhaften Selbstdarstellung manipuliert ist. Die Interpretation eines Anschreibens steht somit in etwa auf der Stufe des Kaffeesatzlesens.

Die Wirksamkeit der Selbstselektion ist das eine, das andere ist die Selbstcharakterisierung. Wenn sich ein Bewerber im Anschreiben als «teamfähig» bezeichnet, ist weder bekannt, welchen Massstab er oder der Personaler bei «Teamfähigkeit» anlegen, noch wie relevant diese Anforderung für die ausgeschriebene Stelle ist. Allerdings wissen die meisten Inserateverfasser dies selbst nicht. Hinzu kommt die Frage, ob man «Teamfähigkeit», «Flexibilität» oder «Begeisterungsfähigkeit» anhand eines Anschreibens beurteilen kann und inwieweit sich die Vorstellungen des Bewerbers bezüglich der einzelnen Begriffe mit dem Anforderungsprofil decken. Wenn Stelleninserate so wenig aussagekräftig sind, können wir dann aussagekräftige Bewerbungen erwarten? Wäre es nicht konsequent, auf die Anschreiben zu verzichten und die gewonnenen Ressourcen sinnvoll zu investieren? Einige Unternehmen haben erkannt, dass das Anschreiben eine zusätzliche Hürde für den händeringend gesuchten Nachwuchs darstellt. Mit der Konsequenz, dass sie das Anschreiben abgeschafft haben.

 

Ramon Bodenmiller

Bewerbungsschreiben sind kein Auslaufmodell. Im Gegenteil, meine Erfahrungen bestätigen mir, dass Bewerbungsschreiben bis heute zu jeder seriösen Bewerbung eines Jobsuchenden gehören. Ergänzend gilt es diese jedoch im Gesamtkontext der Bewerbungsteile zusammen mit dem Lebenslauf und den Zeugnissen zu gewichten.

Jeder HRler richtet seinen Fokus zuerst auf den Lebenslauf. Bewerber haben im Durchschnitt sechs bis zwölf Sekunden Zeit, um von sich zu überzeugen. Wenige Sekunden entscheiden, ob eine Bewerbung auf dem Absagehaufen landet oder unsere Aufmerksamkeit gewinnt – bei Letzterem geht er meist zum Bewerbungsschreiben über. Dieses erfüllt den Zweck, einen ersten Eindruck bei einer Firma zu hinterlassen, wobei jeder von uns diese Bewerbungsanschreiben anders gewichtet. Einige messen ihnen eine grosse Bedeutung bei, andere überfliegen diese oder lesen nicht mal zu Ende.

Fakt ist, dass ein Jobsuchender nur einer von vielen ist. Je nach Wirtschaftslage, Branche und Tätigkeit suchen zwischen 50 und 80 Prozent der Arbeitnehmenden aktiv nach einer neuen Herausforderung. Aus Kosten-, Zeit- und Effizienzgründen messen viele Personaler deren Anschreiben und Zeugnissen jedoch nur wenig Bedeutung bei. Wann passiert so etwas? Meist dann, wenn wir eine Vielzahl an Bewerbungen erhalten, die mehr oder weniger aus austauschbaren Bewerbungsschreiben sowie identischen, unqualifizierten und standardisiert formatierten Lebensläufen mit hippen künstlerischen Designs bestehen.

Hier möchte ich innehalten und die Wichtigkeit des Bewerbungsschreibens hervorheben: Dieses vermittelt neben der Individualität auch Authentizität, denn Zeugnisse sind vorgegeben und Lebensläufe ähneln sich mehr denn je! Es muss Bewerbern ein Anliegen sein, ihre Persönlichkeit sowie den  Cultural fit auf Papier vermitteln zu können – was aber nicht ganz einfach ist.

Man mag HR-lern beziehungsweise Personalberatern vorwerfen, dass diese oft nicht wissen, worin die Stellenanforderungen bestehen und was die Wünsche der Linie sind. Ich nehme jedoch bei allen Parteien eine Wandlung wahr: Wir beginnen immer mehr, gemeinsam mit der Linie die Stellenanforderungen und das Personenprofil zu bearbeiten, zu durchforschen und zu finalisieren. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit gibt es aber bestimmt noch Verbesserungsbedarf. Letzten Endes obliegt es unserer Verantwortung, sich dieser Herausforderungen zu stellen und dem Bewerbungsschreiben den Wert beizumessen, den es verdient, denn fachliche Kenntnisse sind eher vermittelbar als menschliche Kompetenzen. Das müssen wir uns eingestehen und sind es den Kandidaten auch schuldig. Unsere Belohnung fällt dabei nicht nur monetär aus, sondern wird auch mit Vertrauen, Anerkennung und Wertschätzung seitens der Kandidaten bezahlt.

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Henner Knabenreich ist Geschäftsführer der Knabenreich Consult GmbH und HR-Blogger sowie Referent und Buchautor. In seinem Blog personalmarketing2null schreibt er über Personalmarketing, Employer Branding sowie Recruiting.

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Ramon Bodenmiller ist Senior Consultant bei der Freestar-People AG. Als Personalberater unterstützt er Firmen bei der Gewinnung von Fachkräften und begleitet Einzelpersonen bei der Stellensuche als Sparring-Partner.

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